Anmerkungen zum aktuellen Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.03.2023 – Az. 12 U 268/22

Sehr geehrte Mandantinnen und Mandanten, liebe Versicherungsmaklerinnen und Versicherungsmakler,

die Umdeckung von Versicherungsverträgen beschäftigt die deutschen Gerichte leider zunehmen häufiger. Noch häufiger beschäftigt dieser Thermenkreis allerding die Zunft der Versicherungsmakler. Für Makler gehört es zum Tagesgeschäft, den Versicherungsschutz ihrer Kunden von einem Risikoträger auf den anderen umzudecken. Anlässe und Gründe für eine Umdeckung gibt es viele. Mal stellt der Makler im Wege turnusmäßiger Überprüfung von sich aus fest, dass sich am Markt preiswertere Deckungen etabliert haben. Mal klopft der Kunde an und signalisiert, dass sich seine Versicherungsbedürfnisse verändert haben. Selten bleibt der Inhalt des betroffenen Versicherungsvertrags gänzlich gleich. Nicht ungewöhnlich ist, dass die Kunden – und leider mit ihnen auch einige Makler – die Umdeckung im Vergleich zum Neuabschluss mit weniger Aufmerksamkeit verfolgen. Es darf vermutet werden, dass dieser Umstand vielleicht darin begründet liegt, dass die grundsätzliche Risikoabsicherung zum Zeitpunkt der Umdeckung bereits gegeben ist.

Diese Einordnung der Gemengelage ist wenigstens in rechtlicher Hinsicht trügerisch und falsch, wie ein aktuelles Urteil des OLG Karlsruhe vom 07. März 2023 (Az. 12 U 268/22) erneut zeigt. Hiernach ist der Makler im Rahmen der Umdeckung verpflichtet, den Versicherungsnehmer im Wege seiner Beratungspflicht gem. § 61 Abs. 1 S. 1 VVG auf alle leistungs- und beitragsrelevanten Unterschiede zwischen bestehender und angebotener Versicherung hinzuweisen. Es gelten dieselben Pflichten wie bei der Vermittlung neuen Versicherungsschutzes. Der Makler hat die Umdeckung insbesondere nach Maßgabe des § 61 Abs. 1 S. 2 VVG umfassend zu dokumentieren. Die Ausführungen des OLG Karlsruhe sind insoweit zwar weder neu noch überraschend, aber in jedem Fall instruktiv. Da Umdeckungen weiterhin zu den fehleranfälligsten Bereichen der Maklertätigkeit gehören, lohnt es im Sinne der Haftungsprävention ihre rechtlichen Implikationen anhand dieses aktuellen Urteils erneut nachzuvollziehen.

Versicherungsnehmerin und Makler streiten über Beratung im Zusammenhang der PKV

In dem Fall, den das OLG Karlsruhe zu entscheiden hatte, erhob die Versicherungsnehmerin im Zusammenhang mit dem Wechsel ihrer privaten Krankenversicherung, der vom Makler Ende 2018 empfohlen worden war, Klage. Anfang 2021 meldete die Versicherungsnehmerin einen Leistungsfall, dessen Regulierung in zweierlei Hinsicht problematisch war. Zum einen stellte der Versicherer fest, dass die Versicherungsnehmerin eine Vorerkrankung verschwiegen hatte. Eine Vertragsaufhebung konnte dann nur gegen einen erheblichen Prämienrisikozuschlag vermeiden werden. Zum anderen sah der neue Versicherungsvertrag im Gegensatz zur vorherigen Deckung weder Krankenhaustage- noch Krankentagegeld vor. Die Versicherungsnehmerin trug vor, dass der Makler es pflichtwidrig unterlassen habe, über die Risiken eines Wechsels und die Bedeutung der Gesundheitsfragen aufzuklären. Sie beantragte unter anderem, festzustellen, dass der Makler sie vom Prämienrisikozuschlag freihalten sowie für den eingetretenen und alle künftigen Versicherungsfälle Krankenhaus- und Krankentagegeld zahlen muss. Der Makler trug vor, die Versicherungsnehmerin umfassend und wunschgemäß beraten zu haben, sodass Klagabweisung geboten sei.

Die rechtliche Würdigung des Gerichts begann, wie nahezu alle Urteile in Maklerhaftungsfällen beginnen. Nämlich mit der Zitierung der heute noch wegweisenden Sachwalterentscheidung, nach der die Pflichten des Versicherungsmaklers weit gehen. Dieser strenge Maßstab sowie das Fehlen des Krankenhaus(tage)geldbausteins wurden dem Makler zum Verhängnis. Zwischen den Parteien war so gut wie alles streitig. Uneinigkeit bestand auch dahingehend, was Anlass der Beratung aus 2018 gewesen war und, was zwischen den Parteien ausgetauscht worden war. Unstreitig hingegen war, dass der neue Versicherungsvertrag keine Deckung für Krankenhaustage- und Krankentagegeld beinhaltet. Dieser Umstand genügte dem Gericht nahezu allein, um eine vollumfängliche Verurteilung des Maklers zu rechtfertigen. Daher illustriert das Urteil des OLG Karlsruhe eindrucksvoll, weshalb bei der Versicherungsvermittlung und insbesondere bei der Umdeckung von Verträgen stets höchste Sorgfalt geboten ist.

Richterrechtliche Beweislastumkehr und Vermutungsregeln machen Verteidigung fast unmöglich

Das Gericht knüpfte an die fehlenden Deckungsbausteine an und verwies darauf, dass die Beratungspflicht des Maklers auf der Linie der Sachwalterentscheidung weit auszulegen sei. Im Falle der Umdeckung beinhalte dies gerade die umfangreiche Gegenüberstellung der vertragsgemäßen Leistungen und den expliziten Hinweis auf etwaige Unterschiede. Der Makler müsse im Wege seiner sekundären Darlegungslast substantiiert vortragen, inwieweit er die dahingehend behauptete Pflichtverletzung gerade nicht begangen habe. Dem Makler unterlief insoweit der große Fehler, die Beratung nicht lückenlos zu dokumentieren. Unter Anwendung der bekannten BGH-Rechtsprechung wurde dem Makler die Beweislast auferlegt, da er kein Protokoll vorlegen konnte, das einen Hinweis auf den Deckungsunterscheid beinhaltete. Sogar mit dem angebotenen Zeugenbeweis, demzufolge die Versicherungsnehmerin im Rahmen der Beratung erklärt habe, eine Absicherung von Krankenhaustage- und Krankentagegeld nicht zu wünschen, drang der Makler bei den Richtern des LG Heidelberg nicht durch. Weil das Oberlandesgericht als Revisionsinstanz an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz gebunden ist, war diese Beweiswürdigung auch für das hier berichtete Verfahren entscheidend.

Das Verfahren war damit für den Makler praktisch schon verloren. Denn in Maklerhaftungsfällen greift die sog. Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens, die genauso wie die Beweislastumkehr infolge unzureichender Dokumentation vom BGH bestätigt ist. Diese Vermutungsregel erleichtert dem Kläger den Beweis für die Kausalität zwischen festgestellter Beratungspflichtverletzung und vorgetragenem Schaden. Unter Anwendung der Vermutungsregel unterstellte das OLG Karlsruhe, dass die Versicherungsnehmerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Leistungsunterschiede den alten Versicherungsvertrag fortgeführt hätte. Dem Makler war zwar die Möglichkeit des Gegenbeweises eröffnet, er konnte ihn aber nicht erfolgreich führen. In solchen Konstellationen ist der Gegenbeweis so gut wie niemals möglich, da nur in den aller seltensten Fällen Beweismittel zur Verfügung stehen, die objektiven Aufschluss über die innere Abschlussentscheidung des Versicherungsnehmers ermöglichen.

Weitreichender Schadenbegriff ist für den Makler nachteilig

Nach der im deutschen Zivilrecht maßgeblichen Naturalrestitution war die Versicherungsnehmerin so zu stellen, wie sie ohne das schadenursächliche Ereignis, das hier in der angenommenen unzureichenden Beratung lag, gestanden hätte. Bei Fortführung des alten Versicherungsvertrags hätte sie nach wie vor eine Deckung für Krankenhaustage- und Krankentagegeld, während es auch nicht zum Prämienrisikozuschlag infolge unrichtiger Beantwortung der Antragsfragen in der Neuversicherung gekommen war. Daher sprach das Gericht der Versicherungsnehmerin einen umfassenden Ersatzanspruch zu. Die Auslegung des OLG Karlsruhe ist konsequent, aber insoweit besonders bemerkenswert, als dass die weite Auslegung des Schadenbegriffs auch den Prämienrisikozuschlag konsumiert, obwohl dieser gerade auf das wahrheitswidrige und insoweit eigenverantwortliche Verhalten der Versicherungsnehmerin zurückzuführen war. Für ein Mitverschulden, dass sich aus der eigenverantwortlichen Falschbeantwortung der Antragsfragen und einer mangelnden Lektüre der Antragsunterlagen hätte ergeben können, ist nach Ansicht des Gerichts kein Raum, da es mit dem Schutzzweck der Beratungspflicht aus § 61 Abs. 1 S. 1 VVG nicht vereinbar sei.

Das Urteil zeigt einmal mehr, wie streng der gerichtliche Kontrollmaßstab in Maklerhaftungsfällen ist. Aus Sicht des Versicherungsnehmers braucht es regelmäßig nur wenig, um erfolgreich gegen den eigenen Makler vorzugehen. Es wird auch deutlich, dass Gerichte Umdeckungen nicht anders als Neuabschlüsse behandeln. Daher sollte auch der Makler jede Umdeckung wie einen Neuabschluss behandeln. Er muss den Wechselvorgang unter allen erdenklichen Gesichtspunkten beraten. Aus dem Urteil lässt sich bei einen Produktwechsel folgern, dass der Vergleich der Leistungsbestandteile von Alt- und Neuvertrag lückenlos dokumentiert werden muss. Wenn sich eine Vollständigkeit der Dokumentation aufgrund des Umfangs des Vermittlungsvorfalls nicht realisieren lässt, sollten wenigstens die Leistungsunterschiede ausnahmslos im Beratungsprotokoll vermerkt sein. Wird eine Beratungsdokumentation vor Gericht für in wesentlichen Punkten lückenhaft befunden, drohen Beweislasterleichterungen zugunsten des klagenden Versicherungsnehmers. Damit im Fall der Fälle der schwierige Gegenbeweis doch gelingen kannte, sollte zumindest die vermittlungsbezogene Korrespondenz, zum Beispiel in Gestalt von Mailverkehr, archiviert und auch über die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen hinaus vorgehalten werden. Beherzigt der Makler diese Good Practices, kann er sich vielleicht doch erfolgreich gegen unbegründete Vorwürfe wehren.

Herzliche Grüße!

Ihr,

Stephan Michaelis LL.M.
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht