Abgewiesen
Landgericht Ravensburg
Urteil vom 12.10.2020
Aktenzeichen: 6 O 190/20
Stichwörter: abschließende Aufzählung
Urteil
Tatbestand
Mit der Klage verfolgt die Klägerin Leistungen aus einer Betriebsunterbrechungsversicherung.
Die Klägerin betreibt in … die …. Sie unterhält bei der Beklagten unter der Versicherungs-Nr. … eine sog. „…“, die u.a. eine Betriebsschließungsversicherung umfasst. Vertragsgrundlage sind die Versicherungsbedingungen Stand …, die im Abschnitt C die Betriebsschließungsversicherung regeln.
Gemäß deren Ziffer 1.1. a) leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.
Gemäß Ziffer 1.2 sind meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: ….
Gemäß Ziffer 2 und 2.1 der Versicherungsbedingungen haftet der Versicherer für den Unterbrechungsschaden, der innerhalb der vereinbarten Haftzeit entsteht. Die Haftzeit beginnt mit der behördlichen Anordnung. Je nach Umfang ersetzt der Versicherer den Schaden im Falle einer angeordneten Schließung des Betriebs in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Tage, an den der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.
In der Leistungsübersicht auf S. 19 des Versicherungsscheins wird als Versicherungsschutz für die Entschädigung für den Warenschaden eine Höchstersatzleistung je Versicherungsfall von … € und ein Selbstbehalt je Versicherungsfall von … € genannt; als Tagesentschädigung für Betriebsschließungsschäden wird eine Höchstersatzleistung je Versicherungsfall von … € bei einem Selbstbehalt von 2 Arbeitstagen je Versicherungsfall genannt.
Das Bundesministerium für Gesundheit verkündete am 01.02.2020 die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“). Nach § 1 dieser Verordnung wurde die Pflicht zur namentlichen Meldung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Infektionsschutzgesetzes auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion ausgedehnt, die durch das erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretene neuartige Coronavirus („2019-nCoV“) hervorgerufen wird.
Das IfSG wurde mit Wirkung ab 23.05.2020 geändert: § 6 Abs. 1 Ziffer 1 wurde um t) „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“ und § 7 Abs. 1 wurde um Ziffer 44a. „Severe-Acute-Resiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) und Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2)“ erweitert.
Die Regierung des Landes Baden-Württemberg verkündete am 20.03.2020 die Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 17.03.2020. Gem. § 4 Abs. 1 Ziffer 10 dieser Verordnung wurde der Betrieb von Gaststätten bis zum 19.04.2020 untersagt. Gem. § 4 Abs. 3 Ziffer 3 und 4 waren von der Untersagung ausgenommen u.a. Abhol- und Lieferdienste sowie der Außer-Haus-Verkauf von Gaststätten.
Aufgrund dieser Verordnung vom 17.03.2020 erfolgte im Zeitraum vom 22.03.2020 bis 17.05.2020 eine Schließung der Kuppelnau-Gaststätte. Die Klägerin organisierte für die Zeit vom 02.05.2020 bis 17.05.2020 einen Außer-Haus-Verkauf.
Die Klägerin behauptet, ihre Gaststätte wäre grundsätzlich auch ohne die behördliche Schließung an Samstagen geschlossen gewesen mit der Option, die Gaststätte für geschlossene Gesellschaften zu öffnen. Im Zeitraum vom 22. März bis 17. Mai 2020 wären 2 geschlossene Gesellschaften an Samstagen gebucht gewesen. Durch die behördlich angeordnete Betriebsschließung seien 51 Ausfalltage entstanden. Unter Berücksichtigung des Selbstbehalts von 2 Tagen fordert die Klägerin eine Entscheidung in Höhe von täglich 3.000,- €, so dass sich für 49 Tage ein Betrag in Höhe von 147.000,- € errechnet. Des Weiteren behauptet die Beklagte einen Warenschaden in Höhe von 870,- €, sodass sie unter Berücksichtigung des Selbstbehalts von 500,- € einen Betrag in Höhe von 370,- € geltend macht.
Die Klägerin ist der Auffassung, die streitgegenständliche Betriebsschließung im Zeitraum vom 22.03.2020 bis 07.05.2020 sei vom Versicherungsschutz nach Ziffer 1.2 der Versicherungsbedingungen umfasst. Die Versicherungsbedingungen mit Stand 01.07.2016 könnten durch den Verweis auf die §§ 6 und 7 IfSG keine abschließende Regelung darstellen, da es am 01.07.2016 Corona noch nicht gegeben habe. Im Januar 2020 sei Corona in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen worden. Deshalb unterfalle Corona der vertraglichen Regelung. Über die Unklarheitenregelung nach § 305 c Abs. 2 BGB sei Versicherungsschutz zu gewähren.
Die Klägerin beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin … € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 20.06.2020 zu bezahlen.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin erstattungsfähige Rechtsanwaltskosten in Höhe von … € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt
Klagabweisung.
Sie ist der Ansicht, das durch die enumerative Auflistung von Krankheiten in den maßgeblichen Versicherungsbedingungen die Leistungspflicht der Beklagten auf die in den Versicherungsbedungen genannten Krankheiten beschränkt sei. Da die Krankheit Covid-19 und der Erreger SARS-CoV2 erst mit Wirkung zum 23.05.2020 in die §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen wurden, könne für den streitgegenständlichen Versicherungsfall keine Leistungspflicht bestehen.
Des Weiteren sei ein Versicherungsschutz auch deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtsverordnung vom 17.03.2020 unwirksam sei. Außerdem umfasse der Versicherungsschutz nur betriebsinterne Gefahren, nicht dagegen eine Betriebsschließung aufgrund eines allgemeinen „Shutdown“. Pro Schließungstag sei auch nicht die im Versicherungsschein genannte Höchstsumme zu ersetzen, sondern allenfalls nur der tatsächlich entstandene Schaden. Hilfsweise sei eine feste Taxe nach § 76 VVG nicht bindend, da eine Abweichung von mehr als 10 % vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nicht begründet. Der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung besteht nicht.
Die Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in Ziffer 1.2 der vereinbarten Bedingungen ist abschließend. Der Wortlaut „die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ beinhaltet kein dynamische Verweisung. Die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern macht dem – für die Auslegung maßgeblichen – durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will. Weil sich darunter das zum Zeitpunkt der Bedingungskonstruktion noch gar nicht bekannte SARS-CoV-2-Virus und die Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19) nicht befinden, fehlt es an einer Eintrittspflicht des Versicherers.
Auch im Wege der Analogie ist eine Auslegung der Klausel nicht dahingehend auslegbar, dass Covid-19 und der SARS-CoV-2-Virus ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst sind. Dass den meisten Markteilnehmern im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Abfassung der Versicherungsbedingungen unklar war, dass ein neues verheerendes Virus drohen könnte, ist insoweit irrelevant. Dass der Versicherungsnehmer an einem umfassenden Versicherungsschutz interessiert war, ist – selbstverständlich – richtig, vermag aber an dieser Auslegung nichts zu ändern (OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020, Az: 20 W 21/20; Rixecker in Schmidt, Covid-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Auflage 2020, § 11 Rn. 61 ff.).
Da der Wortlaut der Versicherungsbedingung eindeutig ist und keiner Auslegung zugänglich ist, scheidet auch eine Auslegung gem. § 305 c Abs. 2 BGB dahingehend, dass bei einer Betriebsschließung wegen Covid-19 eine Leistungspflicht der Beklagten besteht, aus. Der Umstand, dass die Versicherung den Namen „Helvetia Business All Inclusive Police“ trägt, führt ebenfalls nicht zu einer anderen Auslegung. Bereits im Versicherungsschein wird zu den versicherten Risiken ausgeführt, dass Versicherungsschutz auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und den nachfolgenden Bestimmungen besteht. Die Police umfasst eine Vielzahl von versicherten Risiken (Betriebs- und Berufshaftpflichtrisiko, Umwelthaftpflichtrisiko, Umweltschadenrisiko, Privathaftpflichtrisiko, Geschäftsinhalts- und Ertragsausfallversicherung, Elektronikversicherung, Betriebsschließungsversicherung). Auch aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kann nicht erwartet werden, dass lediglich aus der Bezeichnung „All Inklusive“ ein Versicherungsschutz vereinbart wurde, der über die Regelungen in den Versicherungsbedingungen hinausgeht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Der nachgereichte Schriftsatz der Klägervertreter vom 05.10.2020 gab keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.