Abgewiesen
Landgericht Oldenburg
Urteil vom 14.10.2020
Aktenzeichen: 13 O 2068/20

Stichwörter: abschließende Aufzählung, keine Intransparenz

Urteil

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit der Klage Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Er ist Inhaber des in … gelegenen Restaurants „…“ mit Außerhausverkauf und Partyservice. Seit dem 01.01.2017 unterhält er bei der Beklagten zur Vers.-Nr. … den Versicherungsvertrag „…“, der auch eine Versicherung für die Betriebsschließung infolge einer Seuchengefahr umfasst. Der Versicherungsschein vom 04.11.2019 (Anlage K1, Bl.9ff. d.A.) sieht eine Haftzeit von höchstens 60 Tagen, eine Tagesentschädigung für Betriebsschließungsschäden in Höhe von höchstens 3.000,- € mit einem Selbstbehalt je Versicherungsfall in Höhe von 2 Arbeitstagen sowie eine Entschädigung für den Warenschaden in Höhe von höchstens 30.000 € je Versicherungsfall mit einer Selbstbeteiligung 500 € vor. Dem Versicherungsvertrag liegen u.a. die als Anlage K2 (Bl.22 ff. d.A.) eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (im Folgenden: AVB) zugrunde. Darin ist unter Ziff. 1.2 „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ Folgendes geregelt:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…)“.

Daran schließt sich eine Auflistung von namentlich genannten Krankheiten (lit. a) sowie Krankheitserregern (lit. b) an.

Am 21.03.2020 erging eine Allgemeinverfügung des Landkreises … (Nr. 16/20), nach der Restaurants, Speisegaststätten u.dgl. für den Publikumsverkehr zu schließen waren. Der Außerhausverkauf und gastronomische Lieferdienste waren davon ausgenommen. Aufgrund dieser Anordnung musste der Kläger sein Restaurant in der Zeit vom 22.03.2020 bis mindestens zum 18.04.2020 schließen. Vor der Schließung hatte der Betrieb jeweils dienstags einen Ruhetag.

Der Kläger behauptet, dass er seinen Betrieb über den 18.04.2020 hinaus wegen der Verordnung des Landes Niedersachsens zur Beschränkung sozialer Kontakte anlässlich der Corona-Pandemie vom 27.03.2020 bis zum 10.05.2020 habe geschlossen halten müssen. Der Außerhausverkauf bestehe bei ihm nur darin, dass Kunden sich bestellte Gerichte selbst abholen könnten. Hierauf komme es aber nicht entscheidend an, da die AVB dahin auszulegen seien, dass auch eine Teilschließung als mitversichert anzusehen sei.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die in Ziff. 1.2 AVB enthaltene Aufzählung der Krankheiten und Erreger nicht abschließend sei. Es sei von einer dynamischen Verweisung auf die §§ 6 und 7 IfSG auszugehen, da die ausdrückliche Bezugnahme auf diese Vorschriften überflüssig wäre, wenn sich die versicherten Krankheiten und Erreger ohne Weiteres bereits aus der Auflistung in den Versicherungsbedingungen ergäben. Für eine dynamische Verweisung spreche zudem, dass die Bedingung ohne Einschränkung auf § 6 IfSG verweise, sodass der Verweis auch die Ziff. 5 des ersten Absatzes von § 6 IfSG umfasse, wonach auch solche Krankheiten meldepflichtig seien, die in den Nrn. 1-4 des § 6 IfSG nicht aufgezählt seien. Ein verständiger Versicherungsnehmer würde deshalb davon ausgehen, dass alle unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Erreger und Krankheiten als Grundlage für die versicherte Betriebsschließung in Betracht kämen, mithin auch das Corona-Virus. Die Beklagte schulde ihm für 43 Tage der Betriebsschließung gem. Ziff. 2.1 AVB eine Versicherungsleistung i.H.v. insgesamt 123.000 €. Es handele sich um eine Summenversicherung, bei der die frei vereinbarte Taxe zu zahlen sei. Daneben stehe ihm aus Ziff. 7.1 AVB ein Anspruch auf Entschädigung für den Warenschaden zu. Insoweit behauptet er, dass er infolge der Schließung Waren im Wert von netto 2.479,74 € habe entsorgen müssen.

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 123.000 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 16.5.2020 zu zahlen,
  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.979,74 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.084,40 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass aufgrund des gestatteten Außerhausverkaufs und des Partyservice nur von einer Teilschließung auszugehen sei. Ein versicherter Fall sei aber nur bei vollständiger Betriebsschließung anzunehmen. Darüber hinaus bestehe auch deshalb kein Versicherungsschutz, weil es an der nach dem Wortlaut der AVB erforderlichen betriebsbezogenen Schließungsverfügung durch die zuständige Behörde fehle. Der Landkreis … sei keine Behörde. Es handele sich auch nicht um eine Verfügung, die gerade gegen den Betrieb des Klägers oder die dort tätigen Betriebsangehörige gerichtet sei, was nach den AVB aber Voraussetzung sei. Die Allgemeinverfügung sei nicht wirksam, da sie als Ermächtigungsgrundlage fehlerhaft § 28 Abs. 1 IfSG anstatt § 16 IfSG nenne. Das habe die Nichtigkeit mit Wirkung ex tunc zur Folge. Vor allem aber bestehe jedenfalls schon deshalb kein Versicherungsschutz, weil die Auflistung der Krankheiten und Erreger in Ziffer 1.2 AVB abschließend sei. Das Corona-Virus (COVID-19) sei unstreitig nicht in der Auflistung der Ziff.

1.2 AVB enthalten und sei zudem erst nach dem Ende der behaupteten Betriebsschließung durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite v. 19.5.2020 mit Wirkung zum 23.5.2020 als lit. t) in § 6 Abs. 1 IfSG aufgenommen worden. Schließlich bestreitet die Beklagte den Anspruch der Höhe nach. Sie ist der Ansicht, dass – da es sich um eine Sachversicherung handele – als Schaden nur der Erlösverlust ersatzfähig sei. Jedenfalls sei aber das zwingende versicherungsvertragliche Bereicherungsverbot zu beachten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

 Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

  1. Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Leistungen aus der bestehenden Betriebsschließungsversicherung wegen eines Betriebsschließungs- oder Warenschadens, der ihm durch die auf der Corona-Pandemie beruhenden Schließung seines Betriebes entstanden ist. Ein solcher Anspruch folgt weder aus Ziff. 1.1. i.V.m. Ziff. 2.1 (Betriebsschließungsschaden) noch aus Ziff. 1.1. i.V.m. Ziff. 7 (Warenschaden) der AVB.

Dem Anspruch steht allerdings nicht entgegen, dass die Schließung des Restaurants zunächst durch Allgemeinverfügung des Landkreises und im Anschluss durch Rechtsverordnung des Landes angeordnet worden ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert ein Anspruch nicht daran, dass die Schließung nicht auf einer einzelfall- und betriebsbezogenen Schließungsverfügung beruht. Da Ziff. 1.1 AVB ohne nähere Ausgestaltung verlangt, dass die (zuständige) Behörde (…) den Betrieb schließt, und da die Versicherungsbedingungen keine verwaltungsrechtlichen Rechtsbegriffe verwenden, ist nach den Bedingungen allein entscheidend, dass die Schließung – wie hier – für den Kläger verpflichtend angeordnet worden ist. Ob die Anordnung der Schließung nach öffentlichrechtlichen Vorschriften rechtmäßig war und ob sie einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten würde, ist nicht entscheidend (s. auch Urteil des Landgerichts München v. 17.9.2020, 12 O 7208/20).

Es fehlt vorliegend aber deshalb an einem Versicherungsfall, weil die durch das Corona-Virus ausgelöste Krankheit bzw. das Corona-Virus nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten und Erregern im Sinne der Bedingungen zählt.

Ob die COVID-19-Erkrankung oder das Corona-Virus (Sars-Cov2) eine Krankheit oder einen Erreger im Sinne der Bedingungen darstellt, ist anhand von Ziff. 1.2 AVB zu beurteilen. Danach sind meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen „die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…)“. Das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bekannte Corona-Virus wird in Ziff. 1.2 AVB weder unter lit. a) noch unter lit. b) der auf die Definition folgenden ausführlichen Auflistung genannt. Diese Auflistung ist abschließend.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Auslegung es maßgeblich ankommt, wird bei verständiger Würdigung schon angesichts der Verwendung des Wortes „folgende“ in Ziffer 1.2 AVB nur davon ausgehen, dass allein die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen (so auch Lüttringhaus, r+s 2020, 250 (254)). Für eine abschließende Auflistung spricht zudem, dass in Ziff. 1.2 AVB keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung des Wortes „insbesondere“, „u.a.“ oder „beispielsweise“ enthalten ist (Günther, Anm. zum Beschl. des OLG Hamm v. 15.07.2020 (20 W 21/20), FD-VersR2020, 431078). Gerade aufgrund der konkreten Formulierung kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass das Wort „namentlich“ in Ziff. 1.2 AVB als Synonym für das Wort „insbesondere“ verwendet wurde. Denn sie steht an einer Stelle, an der auf die §§ des IfSchG verwiesen wird, und bezieht sich eindeutig nicht auf den Teil des Satzes, der die „folgende“ Auflistung betrifft.

Auch der Umstand, dass die §§ 6 und 7 IfSG in Ziff. 1.2 AVB ohne weitere Eingrenzung etwa durch die Nennung von Absätzen und Nummern in Bezug genommen werden, spricht entgegen der Ansicht des Klägers nicht dafür, dass sämtliche unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Krankheiten und Erreger als Grundlage der Betriebsschließung in Betracht kommen sollten. Denn durch die Verwendung des Wortes „namentlich“ im unmittelbaren Anschluss an die §§ 6 und 7 IfSG wird deutlich, dass gerade nur die namentlich in §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Erreger gemeint waren. Durch das Wort „folgende“ erfolgt eine weitere Eingrenzung dergestalt, dass nur die folgenden, d.h. die in den Bedingungen genannten Krankheiten und Erreger zu bedingungsgemäßen Krankheiten zählen.

Die Klausel ist auch nicht etwa deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S.2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Erreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Erreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Erreger auch nicht ausgehöhlt. Die Kammer folgt den Rechtsausführungen der Klägervertreter in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz nicht.

Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Auch gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Ziff. 1.2 AVB („folgende (…) namentlich genannte Krankheiten (…)“) sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Erreger und Krankheiten einstehen will, nicht jedoch für die bei Vertragsschluss unbekannten Erreger (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 (20 W 21/20), Noll, jurisPR-VersR 4/2020 Anm. 1). Damit ist der Umstand, dass die Coronavirus-Krankheit nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.5.2020 namentlich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das streitgegenständlichen Verfahren unbeachtlich.

Auf die Frage, ob ein Leistungsanspruch auch im Falle einer Teilschließung besteht, kam es deshalb nicht mehr an. Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung außerhalb der Schriftsatzfrist eingegangene Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 06.10.2020 gibt keinen Anlass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO). Er ist gemäß § 296 a ZPO verspätet.

  1. Da der Kläger keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat, steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten zu.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.