Abgewiesen
Landgericht Regensburg
Urteil vom 11.12.2020
Aktenzeichen 34 O 1277/20
Stichwörter: abschließende Aufzählung
Urteil
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.
Die Klägerin ist Betreiberin der Gaststätte H. in … R..
Am 26.07.2013 schloss die Klägerin bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung für diesen Gaststättenbetrieb ab. Die versicherten Schäden sind unter anderem der ausgefallene Gewinn und der Aufwand an fortlaufenden Kosten innerhalb der Schließzeit, sowie Lohn- und Gehaltsaufwendungen.
Die Versicherungssumme beträgt für den Betriebsgewinn und die Kosten eines Jahres 760.000,00 €, für die gesamten Waren und Vorräte 40.000,00 €. Für Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Anlage K1) Bezug genommen.
Diesem Vertrag liegen die Allgemeine Bedingungen zur Betriebsschließungsversicherung (AVBBS) – Fassung 2008 (im Folgenden: AVBBS) zugrunde; für Einzelheiten wird auf Anlage K2 zur Klage verwiesen.
Die AVBBS lauten auszugsweise wie folgt:
§ 1 Gegenstand der Versicherung
- Gegenstand der Deckung
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG in der Fassung vom 20.07.2000)
- a) den versicherten Betrieb oder eine Betriebsstätte des versicherten Betriebes zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt. Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt:
(…)
- Meldepflichtige Krankheiten
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die im Folgenden aufgeführten – nach dem IfSG meldepflichtigen –
- a) namentlich genannten Krankheiten:
– Botulismus
– Cholera
– Diphtherie
– humaner spongiformer Enzephalopathie, außer familiär-heriditärer Formen
– akuter Virushepatitis
– enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HIJS)
– virusbedingtes hämorragisches Fieber
– Masern
– Menigokokken-Meningitis oder -Sepsis
– Milzbrand
– Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt)
– Pest
– Tollwut
– Typhus abdominalis/Paratyphus
– Tuberkolose
– mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung
– akute infektiöse Gastroenteritis
– der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung
– die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers
- B) namentlich genannte Nachweise von Krankheitserregern
– Adenoviren; Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich
– Bacillus anthracis
(… aufgeführt werden 49 weitere…)
- 5 Ausschlüsse
- Nicht versicherte Schäden und Gefahren
Der Versicherer haftet nicht
- a) wenn dem Versicherungsnehmer oder seinen zuständigen Beauftragten bei der Übergabe oder Einbringung von Waren oder Vorräten in den versicherten Betrieb deren Infektion, der Verdacht einer Infektion oder eine Einschränkung der Tauglichkeit (einschließlich der Tauglichkeitserklärung im Rahmen der Fleischbeschau) bekannt waren;
- b) für Schäden
- aa) an Waren, die bereits im Zeitpunkt der Übergabe an den Versicherungsnehmer oder der Einbringung in den versicherten Betrieb durch Krankheitserreger infiziert waren.“
- 2 Nr. 1 e bleibt unberührt;
- bb) an Schlachttieren, die nach der Schlachtung im Wege der amtlichen Fleischbeschau für untauglich oder nur unter Einschränkung tauglich erklärt werden. Das Gleiche gilt für Einfuhren, die der Fleischbeschau unterliegen;
- cc) aus Prionenerkrankungen aller Art oder den Verdacht hierauf;
- dd) aus nicht namentlich unter § 1 Nr. 2 genannten Krankheiten und Krankheitserregern.
- Allgemeine Ausschlüsse
Nicht versichert sind ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen Schäden, die durch Kriegsereignisse jeder Art, Innere Unruhen, Überschwemmung, Rückstau, Erdbeben, Erdfall, Erdrutsch, Schneedruck, Lawinen, Vulkanausbruch, Grundwasser, Ableitung von Betriebsabwässern, Kernenergie (der Ersatz von Schäden durch Kernenergie richtet sich in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Atom-Gesetz) entstanden sind; es sei denn, der Versicherungsnehmer weist nach, dass der Schaden mit diesen Ereignissen in keinem Zusammenhang steht.
- 6 (…)“
Der neuartige SARS-Corona-Virus ist nicht in den AVBBS genannt.
Das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erließ am 20.03.2020 unter dem Aktenzeichen Z6a – G800-2020/122-98 eine Allgemeinverfügung, wonach es untersagt ist, Gastronomiebetriebe jeder Art zu öffnen. In Befolgung derselben schloss die Klägerin ihren Gaststättenbetrieb am 21.03.2020 bis auf weiteres und meldete der Beklagten den Schaden durch die C… GmbH. Diese lehnte eine Eintrittspflicht – auch nach nochmaliger Anspruchstellung durch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin – ab.
Die Klägerin macht Ausführungen zur Entschädigungsleistung von einer Gesamtsumme in Höhe des eingeklagten Betrags. Für Einzelheiten wird auf die Klageschrift und den Schriftsatz vom 28.10.2020 verwiesen.
Die Klägerin meint, bei ihr habe in der Zeit vom 21.03.2020 bis 17.05.2020 eine Betriebsschließung und keine Betriebseinschränkung vorgelegen. Denn die Gaststätte mit dem Biergarten und den Gaststuben sei vollständig geschlossen gewesen. Es sei zwar in der Zeit vom 21.03.2020 bis 03.05.2020 ein Außer – Haus – Verkauf an Speisen erfolgt; die Klägerin habe aber damit nur einen minimalsten Umsatz erwirtschaftet.
Die Klägerin meint, dass der Wortlaut der Allgemeinen Bedingungen zur Betriebsschließungsversicherung widersprüchlich sei, wenn die streitentscheidende Klausel einerseits auf die nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten verweise und andererseits sämtliche dort befindlichen Krankheiten aufzähle. Zudem beziehe sich die Meldepflicht gemäß der aktuellen Fassung des IfSG vom 30.01.2020 auch auf den neuartigen Coronavirus, 2019-nCoV.
Für den Eintritt des Versicherungsfalls sei es auch nicht erforderlich, dass in dem Betrieb der Klägerin tatsächlich ein Corona – Fall aufgetreten sei. Die Schließung erfolgte generalpräventiv, um die Corona – Pandemie Deutschland bestmöglich einzudämmen.
Schließlich enthalte § 1 Nr. 2 der Allgemeinen Bedingungen zur Betriebsschließungsversicherung – in der Fassung vom 2008 – der Beklagten eine dynamische Verweisung auf die im Infektionsschutzgesetz aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger.
Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in dem Regelwerk der Beklagten sei rein deklaratorischer Natur, da diese exakt dem Wortlaut des Infektionsschutzgesetzes entspräche. Die Klägerin sei bei Vertragsschluss im Jahr 2013 selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich inhaltlich mit den jeweils im IfSG aufgeführten Krankheitszuständen decke. Die optisch erschlagende Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten beziehe sich auf den Stand des IfSG vom 20.07.2000, mithin dreizehn Jahre vor Vertragsabschluss. In das IfSG seien aber mit Wirkung vom 04.08.2011, 29.03.2013, 25.07.2017 und 01.03.2020 weitere Krankheiten und Krankheitserreger aufgenommen worden.
Zudem ergäbe sich aus § 1 Nr. 2 der Bedingungen ein Widerspruch, wenn einerseits ausgeführt werde, dass sämtliche, meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem Infektionsschutzgesetz und andererseits die namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger zur Betriebsschließung führen müssten. Dieser Widerspruch gehe zulasten des Verwenders der Allgemeinen Bedingungen zur Betriebsschließungsversicherung.
Gemäß dem objektiven Empfängerhorizont sollten nicht nur die aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger, sondern auch die im Infektionsschutzgesetz aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger den Versicherungsfall auslösen. Wegen des Wortlautes des § 1 Nr. 1. a) komme es nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht darauf an, dass Krankheitserreger in den gesetzlichen Katalog der §§ 6, 7 des IfSG aufgenommen wurden.
Seit dem 31.01.2020 beziehe sich die Meldepflicht nach § 6 Abs. 1, S. 1, Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes auch auf das neuartigen SARS – Corona Virus. Dieser Zeitpunkt liege vor der verfügten Betriebsschließung.
Die umfassende Aufzählung der Erkrankungen sei daher bereits bei Vertragsschluss im Juli 2013 nicht mehr aktuell gewesen, worauf die Klägerin durch die Beklagte nicht hingewiesen worden sei. Die Klägerin hätte den Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen in der Kenntnis, dass trotz der rasenden Entwicklung der virologischen Erkenntnisse und den jährlich hinzutretenden, den Menschen bedrohenden Erkrankungen die versicherten Krankheiten und Krankheitserreger immerwährend und statisch die in den Bedingungen Aufgezählten sind, ohne dass dies explizit kenntlich gemacht wurde.
Daher habe das Landgericht München I in seinen Entscheidungen vom 01.10.2020 und 22.10.2020 geurteilt, dass eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift in ihrer Tragweite erkennbar ist, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt ist, intransparent ist.
Der Klägerin als juristischem und medizinischem Laie sei es vor Vertragsschluss mit der Beklagten nicht zumutbar gewesen, dass sie den Gesetzestext des IfSG mit dem in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten vergleiche, um zu erkennen, dass bereits im Jahr 2013 der Gesetzeswortlaut mit den aufgeführten Krankheiten in der Klausel nicht übereinstimmte.
Der Verstoß gegen das Transparenzverbot gemäß § 307 Absatz 1. S. 2 BGB führe zur Unwirksamkeit des § 1 Nr. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten gemäß § 307 Absatz 1, S. 1 BGB.
Darüber hinaus stelle die Ausschlussklausel des § 5 Nr. 1. b) dd) der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten eine überraschende Klausel dar.
Während sich alle Paragrafenziffern vor § 5 Nr. 1. b) dd) mit dem Vorsatz und der groben Fahrlässigkeit des Betriebsinhabers im Hinblick auf die Untauglichkeit seiner Waren, und der sich daraus resultierenden Schäden befassten, versuche die letzte Ziffer den Gegenstand der Deckung einzuschränken.
Die Klägerin müsse nicht damit rechnen, dass unter dem Leistungsausschluss des § 5 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vermerkt ist, dass die Aufzählung in der intransparenten Klausel nach § 1 Nr. 2 abschließend sein soll.
Hätte die Beklagte den Gegenstand der Deckung auf die namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger beschränken wollen, so hätte sie unmissverständlich und für jeden objektiven Dritten erkennbar nicht auf das IfSG in § 1 Nr. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen verweisen dürfen.
Entgegen der Ausführungen der Beklagten komme es auf den Erlass einer konkreten Verfügung in Form eines wirksamen individuellen Verwaltungsaktes gegenüber der Klägerin nicht an, um die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs zu erfüllen, da die rein tatsächliche Anordnung der Schließung nach dem Wortlaut der Bedingungen ausreiche.
Die Klägerin habe Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, weil sich die Beklagte seit dem 15.05.2020 im Schuldnerverzug befunden habe.
Die Klägerin beantragt:
- Die Beklagte wird dazu verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 124.614,30 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
- Die Beklagte wird dazu verurteilt, die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.417,90 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte meint, der neuartige Corona-Virus (früher als „2019-nCov“, jetzt als „SARS-CoV-2“ bezeichnet) und die durch ihn ausgelöste Krankheit („Covid-19“) seien über die bei der Beklagten bestehende Betriebsschließungsversicherung nicht versichert, weil nur die in den Versicherungsbedingungen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien. Aus den Versicherungsbedingungen könne nicht abgeleitet werden, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer hierin eine „dynamische Verweisung auf das IfSG“ sehen könnte, mit der Folge, dass alle nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert wären. Dies würde in § 5 Nr. 1 b) dd) unter „Ausschlüsse“ auch noch einmal hervorgehoben.
Auch sei es so, dass der neuartige Coronavirus und die durch ihn ausgelöste Krankheit erst seit dem 23.05.2020 in die §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen wurden. Die Aufnahme erfolgte durch das 2. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 (Bundesgesetzblatt 1 1018), das am 23.05.2020 in Kraft getreten ist.
In § 6 Abs. 1 Satz 1 IfSG wurde folgender Buchstabe t) angefügt:
„t) Corona-Virus-Krankheit 2019 (COVID-19)“.
In § 7 IfSG wurde nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 44 folgende Nr. 44 a. eingefügt.
„44 a. Severe-Acute-Respiratory-Syndrom-Coronavirus (SARS-CoV) und Severe-Acute-Respiratory-Syndrom-Coronavirus-2 (SAR-CoV-2)“.
Der gesetzliche Katalog der §§ 6, 7 IfSG werde durch die vom Kläger herangezogene Rechtsverordnung, entgegen der Rechtsansicht der Klägerin, nicht erweitert. Das Bundesministerium für Gesundheit habe zwar im Eilverfahren am 30.01.2020 eine Rechtsverordnung erlassen hat, wonach die Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 1 IfSG und § 7 Absatz 1 Satz 1 IfSG auf den neuartigen Corona-Virus und die durch ihn ausgelöste Krankheit vorübergehend ausgedehnt wurde. Durch diese Rechtsverordnung seien der neuartige Coronavirus und die durch ihn ausgelösten Krankheiten aber gerade nicht in den Kanon der ausdrücklich in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger aufgenommen worden.
Zudem seien in dem bei der Beklagten versicherten Betrieb der neuartige Corona-Virus oder die durch ihn ausgelöste Krankheit überhaupt nicht aufgetreten, was aber nach den Versicherungsbedingungen erforderlich sei, um den Versicherungsschutz auszulösen. Es liege zudem überhaupt keine vollständige Schließung des versicherten Betriebs durch eine behördliche Maßnahme vor, sondern allenfalls eine Betriebseinschränkung, die aber nicht versichert sei, Bestritten werde, dass eine rechtlich wirksame behördliche Maßnahme vorliege.
Eine konkrete Verfügung bzgl. der Klägerin, also ein „individueller“ Verwaltungsakt, liege nicht vor, sondern eben nur eine Allgemeinverfügung, die, wie sich aus deren Begründung ergebe, überhaupt nicht auf die spezifischen Gefahren im bei der Beklagten versicherten Betrieb eingehe, sondern aus generalpräventiven Gesichtspunkten Kontakte in der Bevölkerung durch eine Art „Shutdown“ drastisch reduzieren wollte.
Insoweit sei, da eine solche Anordnung Anspruchsvoraussetzung ist, eine öffentlich-rechtliche Inzidenzprüfung vorzunehmen, denn ohne eine wirksame „behördliche Anordnung“ fehle es an einer Tatbestandsvoraussetzung des § 1 AVBBS.
Die Allgemeinverfügung leide an solch gravierenden Mängeln, die zu deren Unwirksamkeit führten, sodass es im Ergebnis an einer wirksamen behördlichen Anordnung fehle.
Die Beklagte bestreitet ferner, dass der Klägerin überhaupt ein Schaden entstanden sei, da hierzu substantiierter Sachvortrag fehle. Schließlich bestehe kein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung gegen die Beklagte insoweit sie Schadensersatz auf Grund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beanspruchen könne.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Mit Zustimmung der Parteien wurde im schriftlichen Verfahren entschieden, Schriftsätze, die bis 02.12.2020 bei Gericht eingingen, wurden bei der Entscheidung berücksichtigt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe der Klageforderung aus der zwischen den Parteien im Jahre 2013 vereinbarten Betriebsschließungsversicherung.
Denn es liegt kein Versicherungsfall nach § 1 Nr. 1 a, Nr. 2 der unstreitig vereinbarten AVBBS (2008) vor. Denn die Betriebsschließung erfolgte zur Vermeidung der Ausbreitung des Corona-Virus, weiches nicht in der Liste der namentlich genannten, versicherten Krankheiten und Krankheitserregern der AVBBS genannt ist.
Dies ergibt die Auslegung der streitgegenständlichen AVBBS. Dabei ist grundsätzlich auf den Klauselwortlaut (BGH VersR 2012, 48 Rn. 14) und auf die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen, der die AVB aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges – würdigt (BGHZ 123, 83 = VersR 1993, 957; BGH VersR 2012, 48 Rn. 13 ff.; BGHZ 211, 51 = VersR 2016, 1177 Rn. 17; OGH VersR 2006, 1286). Es handelt sich um eine objektive Auslegung (BGH VersR 2012, 89 Rn. 5) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH VersR 2009, 1617).
Nach ihrem Wortlaut versteht der verständige Versicherungsnehmer den Gegenstand der Versicherung so, dass es sich bei § 1 Nr. 2 AVBBS um eine Konkretisierung bzw. nähere inhaltliche Definition von § 1 Nr. 1 AVBBS und nicht um eine Einschränkung des Versicherungsumfangs handelt. § 1 Nr. 2 der AVBBS zählt insoweit abschließend die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger auf, bei deren Auftreten eine behördlich angeordnete Betriebsschließung versichert wäre. Das Corona-Virus ist in dieser Aufzählung nicht enthalten.
Denn aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers wäre eine nicht abschließende Aufzählung durch die Verwendung von Wörtern wie „insbesondere“, „beispielsweise“ oder „etwa“ (ähnlich LG Ellwangen, a.a.O. Rn. 36) gekennzeichnet. Derartige Einschränkungen enthält § 1 Nr. 2 AVBBS vorliegend jedoch nicht, sondern definiert schlicht wie folgt: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die im Folgenden aufgeführten – nach dem lfSG meldepflichtigen – a) namentlich genannten Krankheiten: (…)“
Ersichtlich handelt es sich damit um eine eigene Definition und nicht um einen Verweis auf das IfSG. Die kumulative Verwendung von „sind“, „im Folgenden“ und „namentlich genannten“ macht hierbei deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit Namen genannten“ gebraucht wird. Hier muss der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung des Begriffs „folgenden“ daher davon ausgehen, dass die nachfolgende Liste abschließend ist. Dafür spricht auch, dass eben die Generalklauseln des IfSG nicht „namentlich genannt“ werden und auf diese auch nicht konkret verwiesen wird. Durch die Tatsache der Aufzählung von bestimmten „namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserregern drängt es sich dem verständigen Versicherungsnehmer auf, dass diese Aufzählung nicht deckungsgleich mit allen nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern sein wird, da sie ansonsten überflüssig wäre. Hierfür streitet auch der erkennbare Sinn und Zweck der Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherer keinen Schutz für insbesondere künftige, bisher unbekannte meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht im Hinblick auf die Prämienkalkulation einschätzen kann, sondern eben nur für die bekannten, aufgezählten.
Eine dynamische Verweisung auf das IfSG ist für den verständigen Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht der Klagepartei dem Wortlaut der AVBBS nicht zu entnehmen. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten. Vielmehr sollen offenbar die Versicherungsbedingungen ohne solche Verweise auskommen und definieren daher selbst die Begriffe „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“. Denn das IfSG wird nur im ersten Absatz des § 1 Nr. 1 AVBBS genannt, um klarzustellen, dass die Betriebsschließung aufgrund des IfSG ergehen muss, um versichert zu sein. Ferner wird in § 1 Nr. 2 IfSG mitgeteilt, dass es sich bei den genannten Krankheiten um „meldepflichtige nach dem IfSG -“ handelt. Aus diesen zwei Hinweisen auf das IfSG kann aber keine dynamische Verweisung auf das IfSG dergestalt abgeleitet werden, dass jegliche Krankheiten, die das IfSG in seiner jeweils aktuellen Form als meldepflichtig bezeichnet, als Auslöser der Betriebsschließung versichert sein sollen. Denn diese Hinweise auf das IfSG haben lediglich informatorischen Charakter. Aus dem Fehlen der konkreten Bezugnahme auf das IfSG und aus der weitreichenden und erschöpfenden Aufzählung in § 1 Nr. 2 AVBBS kann wiederum geschlossen werden, dass das IfSG eben nicht maßgeblich sein soli, sondern dass die AVBBS aus sich heraus verständlich sein sollen und den Versicherungsumfang selbst definieren wollen, sodass der Liste keine bloß klarstellende Funktion zukommen soll. Eine solche Funktion könnte diese Liste im Hinblick auf neu hinzutretende oder abgeschaffte Meldepflichten auch überhaupt nicht erfüllen.
Bei Abschluss der Versicherung im Jahr 2013 konnte die Klägerin nach Lektüre der AVBBS nicht erwarten, die Beklagte wolle auch Versicherungsschutz für alle künftig auftretenden neuartigen Krankheitserreger während des gesamten Laufs des Vertragsverhältnisses bieten.
- 5 Nr. 1 b) dd) AVBBS hat folglich klarstellende Funktion und ist nicht überraschend imSinne des § 305 c BGB. Denn dieser weist unter der ausdrücklichen Überschrift „Ausschlüsse für Schäden“ lediglich darauf hin, dass Schäden aus Krankheiten und Krankheitserregern, die – wie das Corona-Virus – nicht unter § 1 Nr. 2 AVBBS genannt sind, nicht versichert sind.
Im Ergebnis sind die streitgegenständlichen AVBBS für den Versicherungsnehmer ersichtlich objektiv darauf ausgelegt, aus sich heraus verständlich zu sein. Eine abschließende Aufzählung ist nicht ungewöhnlich und soll beiden Vertragspartnern Sicherheit geben sowie Auslegungsprobleme gerade vermeiden. Ferner kann der Versicherer auf dieser Grundlage sein Risiko und damit die Prämie kalkulieren, was für den verständigen Versicherungsnehmer erkennbar ist.
Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist § 1 AVBBS in sich auch nicht widersprüchlich. Zwar ist richtig, dass in Nr. 1 a) die Betriebsschließung aufgrund „von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern“ versichert ist, ohne eine diesbezügliche Eingrenzung zu enthalten. Jedoch steht dort auch nichts „von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern nach dem IfSG“. Da also die „meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger“ nach § 1 Nr. 1 a) AVBBS definierungsbedürftig sind, wurde § 1 Nr. 2 AVBBS eingefügt, und zwar in Form einer abschließenden Liste, siehe oben. Nach alledern wird der Versicherungsnehmer gerade nicht auf das IfSG und die dortigen Definitionen und Generalklauseln in widersprüchlicher Weise verwiesen. Um den Versicherungsumfang zu erkennen, muss der Versicherungsnehmer vorliegend gerade keinen Vergleich mit dem IfSG anstellen, sondern die Lektüre der AVBBS zeigt ihm klar und eindeutig, welche Krankheiten und Krankheitserreger unter den Gegenstand der Versicherung fallen, nämlich nur die bekannten, aufgezählten.
Auch im Wege der Analogie ist eine Auslegung der Klausel nicht dahingehend möglich, dass das Corona-Virus und die Krankheit Covid-19 ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst sind, Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH, NJW 2006, 1876 Rn. 8; Rixecker, in: Schmidt (hrsg.): COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17; vgl. auch BGH, NJW 1992, 753). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die Coronavirus-Pandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts (ebenso Rixecker, a.a.O. Rn. 18 u. 62; Rolfes, VersR 2020, 1021 (1022). Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (Rixecker, a.a.O. Rn, 62), Hierfür streitet auch der für den Versicherungsnehmer erkennbare Sinn und Zweck der umfassenden Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherer keinen Schutz für künftige meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht einschätzen kann. Die Pandemie als unerwartete Gefahrenlage wäre im Übrigen als ähnlich den „Großschadensereignissen“ zu bewerten, welche in § 5 Nr. 2 AVBBS unter dem Punkt „Allgemeine Ausschlüsse“ gerade nicht versichert sind.
Die Klauseln, über die das Landgericht München I in seinen Endurteilen vom 01.10.2020 (Az. 12 O 5895/20) und vom 22.10.2020 (Az. 12 O 5868/20) zu entscheiden hatte, sind nicht identisch mit den streitgegenständlichen, von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen, sodass auf diese Urteile nicht weiter einzugehen ist. Es bleibt festzustellen, dass die hier streitgegenständliche Klauseln aufgrund der obigen Ausführungen nicht gegen § 305c BGB und § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoßen. Da § 1 Nr. 2 AVBBS als Teil der Definition und gerade nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen ist (siehe oben), stellt sich die Frage einer überraschenden oder den Versicherten unangemessen benachteiligenden Klausel hier nicht. Insgesamt ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer aus dem Gesamtbild der Regelung des § 1 AVBBS im relevanten Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf ausreichend transparente Weise, dass der Versicherer nicht für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch unbekannte Infektionskrankheiten einstandspflichtig sein wollte, sondern eben nur hinsichtlich jener Krankheiten und Erreger, die bereits bekannt waren und explizit im Rahmen der Aufzählung aufgeführt wurden. Gerade im Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegt auch der grundlegende, wesentliche Unterschied zur Entscheidung LG München 1 vom 01.10.2020 (NJW-RR 2020, 3461). Im dortigen Fall wurde ausweislich des Versicherungsbeginns am 01.03.2020 der Versicherungsvertrag bereits in Kenntnis der neuartigen Krankheit bzw. des neuartigen Coronavirus geschlossen.
Nachdem schon kein Versicherungsfall vorliegt, können die von der Beklagtenpartei zusätzlich geäußerten bedenkenswerten Argumente gegen ihre Haftung dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. Der Streitwert bestimmt sich nach dem Klageantrag, § 3 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem
Oberlandesgericht Nürnberg
Fürther Str, 110
90429 Nürnberg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.
Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.
Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem
Landgericht Regensburg
Augustenstr. 3
93049 Regensburg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Das elektronische Dokument muss
– mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder
– von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.
Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:
– auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
– an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts.
Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130 a Absatz 4 der Zivilprozessordnung verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.