von Rechtsanwalt Dr. Jan Freitag, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte
Schon während der Corona-Krise war offenbar bei vielen Arbeitgebern der Eindruck entstanden, es bestünde nun ein neues Arbeitsrecht. In der Beratung in unserer Kanzlei kamen Fragen nach (nicht vorhandenen) anderen Kündigungsfristen, nach (ebenfalls nicht vorhandenen) Möglichkeiten, einseitig Kurzarbeit anzuordnen und viele andere Themen.
Das deutsche Rechtsystem, auch das deutsche Arbeitsrecht, ist naturgemäß nicht in Gänze auf eine Pandemie vorbereitet gewesen. Die Rechtsystematik selbst bleibt jedoch verlässlich und letztlich unangetastet.
Mögliche Insolvenzsituation nach der Corona-Krise
Es ist leider abzusehen, dass nach der Corona-Krise auch wirtschaftlich vieles nicht mehr so sein wird, wie vorher. Viele Firmen wählen richtigerweise den Weg, jedenfalls eine Insolvenzberatung wahrzunehmen. Denn die Insolvenzaussetzung während der Pandemie kennte leider viele Fallstricke für Unternehmen. Hier können wir als Kanzlei gern Kontakte zu Kooperationspartnern (Insolvenzverwalter-Kanzleien) herstellen, die in diesen Zeiten die Begrifflichkeit von entstehenden „Zombie-Unternehmen“ verwenden. Viele Unternehmen sollten bzw. müssten eigentlich schon lange den Weg eines Insolvenzverfahren gehen, hoffentlich mit dem Ziel einer Fortführung der Geschäfte.
Für den Arbeitgeber ist es wichtig, sich rechtzeitig beraten zu lassen. Denn es drohen nicht unerhebliche Haftungsfälle, bis hin zu strafrechtlichen Vorwürfen, wenn man zum Beispiel Insolvenzsituationen „verschleppt“.
Als Arbeitgeber muss man aber auch wissen, dass man spätestens ab dem Moment der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedenfalls phasenweise „das Heft aus der Hand gibt“. In die bisherige Position zum Beispiel des Geschäftsführers eines Versicherungsmaklers tritt dann der Insolvenzverwalter, der zu agieren, aber letztlich auch zu haften hat. Er führt die Firma.
Über den Titel „Arbeitsrecht in der Insolvenz“ ist nun einiges an Besonderheiten in dieser Phase zu beachten:
Beendigungsmaßnahmen werden von dem Insolvenzverwalter durchgeführt. Zum Beispiel bei Kündigungsschutzklagen von Arbeitnehmern ist dieser Insolvenzverwalter, nicht das Unternehmen zu verklagen. Dabei muss man wissen, dass die Insolvenzverwaltung häufig ein „Massengeschäft“ ist. So hat auch der Insolvenzverwalter eine Fülle von Formalien zu beachten. Wenn ein Insolvenzverwalter zum Beispiel fälschlicherweise noch auf dem Briefpapier der Firma kündigt und nicht kenntlich macht, dass er passiv legitimiert wäre, dürfte diese zu Grunde liegende Kündigung sogar deswegen unwirksam sein.
Sowieso wäre der Eindruck falsch, dass es eine insolvente Firma leichter habe, sich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen. Zwar gibt es insofern eine Erleichterung, als dass über den § 113 InsO eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses schon mit einer Höchstfrist von 3 Monaten möglich ist, dass man also zum Beispiel Arbeitnehmer, die längere Kündigungsfristen haben, weil sie sehr lange in dem Betrieb beschäftigt sind oder längere arbeitsvertragliche Kündigungsfristen haben, mit kürzerer Frist kündigen kann.
Hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung gilt aber, trotz der Insolvenzsituation (!), weiterhin das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Mithin bedarf es auch für die insolvente Firma wirksamer Kündigungsgründe, z.B. im betriebsbedingten Bereich. Betriebsbedingte Kündigungsgründe müssen aber nicht nur vorliegen, es muss auch die Sozialauswahl berücksichtigt werden, also auch die insolvente Firma muss den „richtigen“ Arbeitnehmer kündigen.
Zwar ist das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes in einer solchen Situation in der Regel nahliegender, als in sonstigen Fällen. Besondere Schwierigkeiten gibt es hier jedoch zum Beispiel, wenn es während der Insolvenzphase zu einem Verkauf der Firma (bei Maklerfirmen reicht schon ein Bestandsverkauf) kommen sollte. Denn für den Fall, dass der Verkauf der Firma vor dem Ende der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers liegt, muss der betriebsbedingte Kündigungsgrund auch zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegen, was in diesem Fall bei Betriebserwerbern zu prüfen ist und dort vermutlich nicht vorliegt, weil die ankaufende Firma naturgemäß nicht insolvent sein dürfte.
Aber auch die Sozialauswahl bleibt ein wichtiger Prüfungspunkt. Zwar kann man über § 113 InsO Kündigungsfristen verkürzen. Aber langjährige Mitarbeiter oder Mitarbeiter, die besondere Versorgungslasten haben, haben weiterhin in der im Kündigungsschutzgesetz notwendigen Sozialauswahl einen erheblichen Vorteil.
Die insolvente Firma hat aber durchaus Möglichkeiten, selbst wenn die insolvente Firma keinen Betriebsrat hat, über Instrumente, die es sonst nur in Firmen mit Betriebsrat gibt, hinsichtlich der zu kündigenden Mitarbeitern zu steuern, zum Beispiel über das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO.
Zusammengefasst gibt es in der Tat eine Reihe von Besonderheiten im „Arbeitsrecht in der Insolvenz“. Es gibt aber kein besonderes Arbeitsrecht in der Insolvenz, sondern viele bekannte arbeitsrechtliche Diskurse gibt es auch in der Insolvenzsituation.
Wir hoffen sehr, dass Sie, Ihre Firma und Ihre Kunden die Corona-Krise gut überstehen und dass Sie sich solche Fragen für Sie nicht stellen.
Wenn sich diese Fragen stellen, liegt es aber an den (Pandemie-)Umständen und wir unterstützen Sie sehr gern auch arbeitsrechtlich in dieser schwierigen Phase.
(Hamburg, den 13.08.2021)