Abgewiesen
Landgericht Ellwangen
Urteil vom 17.09.2020
Aktenzeichen: 3 O 187/20
Stichwörter: abschließende Aufzählung der Krankheiten
Urteil
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus einem
Betriebsschließungsversicherungsvertrag die Zahlung von € 31.243,76 nebst Zinsen und
den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. € 1.239,40 nebst Zinsen.
Die Klägerin betreibt unter der Firma Gaststätte K., Inhaber: F. und J. W. ein Restaurant
mit gehobener Gastronomie in einer ländlichen Gegend. Sie beschäftigt 14 Mitarbeiter,
darunter einen Auszubildenden und 6 Minijobber.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand für die Gaststätte/Gastwirtschaft der
Klägerin seit 07.06.2019 eine umfassende Betriebsrisikoversicherung, die auch eine
Betriebsschließungsversicherung für die Betriebsschließung infolge einer Seuchengefahr
umfasste. Für diese Betriebsschließungsversicherung gilt Abschnitt C der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen, in denen unter Punkt 1 die Voraussetzungen eines
Versicherungsfalls niedergelegt sind und unter Punkt 1.2 die meldepflichtigen Krankheiten
und Krankheitserreger.
Die Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19) (s. § 6 Abs. 1 Nr. 1 t) IfSG) ist hier nicht
aufgeführt.
Für die Betriebsschließungsversicherung war eine Haftzeit von 60 Tagen versichert, wobei
eine Tagesentschädigung von € 3.000,00 bei einem Selbstbehalt von 2 Arbeitstagen
vereinbart war. Hinsichtlich des Warenschadens war die Entschädigung auf € 30.000,00
beschränkt, wobei hier ein Selbstbehalt i.H.v. € 500,00 galt.
Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie und der Verordnung der Landesregierung
Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des
Virus SARS-CoV-2 schloss die Klägerin ihre Gaststätte vom 17.03.2020 bis 17.05.2020,
wobei die behördliche Verfügung ab 21.03.2020 galt. Mit E-Mail vom 23.03.2020 zeigte die
Klägerin die Betriebsschließung der Beklagten an (Anlage K 3). Die Beklagte lehnte eine
Eintrittspflicht ab.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin für 12 Kalendertage (für den Zeitraum vom
21.03.2020 bis 01.04.2020) eine Entschädigung von € 3.000,00 geltend, was bei
Berücksichtigung von 2 Arbeitstagen Selbstbehalt einen Betrag von € 30.000,00 ausmacht.
Außerdem macht sie einen Warenschaden i.H.v. € 1.243,76 (€ 1.743,76 abzüglich eines
Selbstbehalts i.H.v. € 500,00) geltend.
Die Klägerin trägt vor:
Es seien die Voraussetzungen für eine Entschädigung wegen einer behördlichen
Betriebsschließung aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von
Infektionskrankheiten bei Menschen (IfSG) gegeben. Unter die meldepflichtigen
Krankheiten nach Ziffer 1.2 a) der Versicherungsbedingungen der
Betriebsschließungsversicherung falle auch COVID-19, auch wenn diese Krankheit nicht
ausdrücklich genannt sei. Es finde das Infektionsschutzgesetz in der Fassung Anwendung,
die bei Eintritt des Schadensfalls gelte. Der SARS-CoV-2-Virus falle unter § 7 Abs. 2 IfSG.
Außerdem sei nach der CoronaV/MeldeV vom 30.01.2020 eine Corona-Virus-Erkrankung
meldepflichtig.
Wenn die Beklagte gewollt habe, dass nur bei einer Betriebsschließung wegen der unter
Ziffer 12 der Vertragsbedingungen namentlich genannten Krankheiten und
Krankheitserreger der Versicherungsfall gegeben sein sollte, hätte sie in die
Versicherungsbedingungen nicht die Verweisung auf § 6 und § 7 IfSG aufnehmen dürfen.
Es sei auch nicht Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalles, dass es sich um
einen betriebsinternen Schließungsgrund handle.
Die behördliche Anordnung der Betriebsschließung sei nicht rechtswidrig. Die Klägerin
sei auch nicht verpflichtet gewesen, gegen die Anordnung der Betriebsschließung
Rechtsmittel einzulegen.
Unter Berücksichtigung des Selbstbehalts von 2 Tagen habe die Beklagte für den
Zeitraum vom 21.03.2020 bis 01.04.2020 eine Entschädigung i.H.v. € 30.000,00 zu
leisten. Außerdem sei der Klägerin ein Warenschaden i.H.v. € 1.743,76 entstanden; nach
Abzug des Selbstbehalts i.H.v. € 500,00 könne die Klägerin für den Warenschaden den
Betrag von € 1.243,76 verlangen.
Die Klägerin betreibe in ihrer Gaststätte weder einen Abhol-/Lieferdienst noch einen
Außer-Haus-Verkauf. Durch die behördliche Maßnahme habe eine vollständige Schließung
des Restaurants vorgelegen. Die Klägerin habe auch nicht auf einen Abhol- und
Lieferservice umstellen können; die Klägerin sei für diese Art der Geschäftstätigkeit auch
nicht eingerichtet gewesen.
Staatliche Entschädigungsleistungen oder staatliche Soforthilfen seien auf die
Versicherungsleistung nicht anzurechnen.
Bei der Ermittlung der Anzahl der Tage für den Haftzeitraum seien die Ruhetage nicht
auszunehmen.
Wenn es auf den Umsatzausfall im Geschäftsbetrieb der Klägerin ankomme, sei zu
berücksichtigen, dass sich der Jahresumsatz im Jahr 2019 auf € 945.820,69 belaufen habe.
Hinsichtlich des Warenschadens sei zu beachten, dass es der Klägerin nicht zuzumuten
sei, etwa Speiseeis und Erfrischungsgetränke an der Türe zu verschleudern; eine Rückgabe
sei bei diesen Waren nicht möglich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 31.243,76 nebst Zinsen i.H.v. 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 25.03.2020 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v.
€ 1.239,40 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit
25.03.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bringt vor:
Der Versicherungsfail sei beim vorliegenden Versicherungsvertrag die behördliche
Anordnung einer Betriebsschließung, und zwar aufgrund der in den AVB tabellarisch als
versichert aufgeführten Krankheiten bzw. Krankheitserreger (§ 1 Ziffer 2 AVB). Hier sei
aber eine Erkrankung am SARS-CoV-2-Virus nicht aufgeführt.
Eine dynamische Verweisung liege nicht vor. Auch wenn SARS-CoV-2 aufgrund einer
Eilverordnung des Bundesgesundheitsamtes vom 30.01.2020 mit Wirkung vom 01.02.2020
als temporär meldepflichtige Krankheit bzw. meldepflichtiger Krankheitserreger auf der
Grundlage von § 15 Abs. 2 IfSG erklärt worden sei, ändere das nichts daran, dass dieser
Erreger nicht im Gesetzestext von § 7 IfSG enthalten sei. Erst mit Wirkung ab dem
23.05.2020 sei SARS-CoV 2 in § 7 IfSG aufgenommen worden. Der in § 7 Abs. 1 Ziffer 31
a IfSG aufgenommene Erreger MERS-CoV sei nicht die maßgebliche SARS-Variante. Zudem
sei bei der Auslegung von AVB nach allgemeiner Auffassung auf den Zeitpunkt des
Vertragsschiusses abzustellen.
Außerdem werde die Wirksamkeit der Rechtsverordnung gerügt, die zur Anordnung der
Betriebsschließung geführt habe, da eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage
angegeben worden sei; es gehe nicht um § 28 IfSG, sondern um § 16 IfSG. Zudem sei
gegen das zwingend zu beachtende Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verstoßen
worden.
Die Betriebsschließung sei aus generalpräventiven Gesichtspunkten erfolgt. Solche
abstrakt-generellen Gesundheitsmaßnahmen seien nicht Gegenstand einer
Betriebsschließungsversicherung, bei der es nur um betriebsinterne Gefahren gehen könne.
Der Betrieb der Klägerin sei außerdem nicht von einer Behörde vollständig geschlossen
worden. Es habe kein allgemeines Tätigkeitsverbot oder gar eine Betretungsverbot
gegeben. Abhol- und Lieferdienste und der Außer-Haus-Verkauf von Gaststätten sei welter
gestattet gewesen.
Zudem sei die Klägerin verpflichtet gewesen, Ansprüche gegen Dritte (z.B. Soforthilfe,
Kurzarbeitergeld) anzumelden und ggf. durchzusetzen.
Auch die Höhe der geltend gemachten Entschädigung werde bestritten. Die Klägerin
habe die Ruhetage nicht herausgerechnet. Auch der Warenschaden werde nach Grund und
Höhe bestritten. Manche Waren (Speiseeis, Erfrischungsgetränke, Bier) hätten kurzfristig
verwertet oder zurückgegeben werden können.
Die Klägerin habe auch den tatsächlichen Schaden nicht mitgeteilt. Bei der
Betriebsschließung könne es auch keinen Wareneinsatz und keine verbrauchsabhängigen
Kosten, wie Gas, Strom, Wasser, Heizung, etc., geben. Auch die Personalkosten seien
reduziert.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter, die
vorgelegten Anlagen und die Angaben der Gesellschafterin Jessica Wörle bei ihrer
informatorischen Anhörung im Termin vom 14.07.2020 (Bl. 60 f d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig.
II.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Der Klägerin stehen wegen der behördlichen Verordnung, den Gaststättenbetrieb wegen
der Corona-Pandemie ab 21.03.2020 einzustellen, für den Zeitraum vom 21.03.2020 bis
01.04.2020 keine Leistungen i.H.v. € 31.243,76 aus der abgeschlossenen
Betriebsschließungsversicherung zu.
- Durch den Abschluss der Betriebsschließungsversicherung war eine
Betriebsschließung wegen des Auftretens einer Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19)
bzw. wegen des SRS-CoV-2-Erregers nicht versichert. Die Aufführung der Krankheiten nach
Ziffer 1.2a AVB und der Krankheitserreger nach Ziffer 1.2b AVB ist abschließend. Die
Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in Ziffer 1.2 AVB
macht für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur
für diese besonderen, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will.
Nach Ansicht der Kammer ergibt sich daraus, dass in den AVB nicht formuliert wurde
„sind die folgenden, namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“, sondern
„sind die folgenden im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten
Krankheiten und Krankheitserreger“, nichts anderes. Versichert sind Schließungsfolgen
wegen des Auftretens der folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger, die
sich auch in § 6 IfSG und § 7 IfSG finden. Bezeichnend ist nach Ansicht der Kammer, dass
etwa in Ziffer 1 a) AVB die in § 6 Abs. 1 Nr. 2-4 IfSG aufgeführten Krankheiten
übernommen wurden, nicht aber die in der Allgemeinklausel des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG, die
nun die Fassung hat: „der Verdacht einer Erkrankung, die übertragbare Krankheit, die nicht
bereits nach den Nummern 1-4 meldepflichtig ist“ und vor dem 25.06.2017 die Fassung
„soweit nicht nach den Nummern 1-4 meldepflichtig das Auftreten a) einer bedrohlichen
Krankheit oder b) von 2 oder mehr gleichartigen Erkrankungen, bei denen ein epidemischer
Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, wenn dies auf eine schwerwiegende
Gefahr für die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht
kommen, die nicht in § 7 genannt sind“ hatte und nach dem 25.07.2017 zunächst die
Fassung „das Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach
den Nummern 1-4 meldepflichtig ist“ hatte.
Das zeigt, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben
wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die noch auftreten konnten. Wenn
Letzteres dem Versicherungsnehmer zugestanden worden wäre, hätte in Ziffer 1.2 die
Formulierung „die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 genannten Krankheiten und
Krankheitserreger, insbesondere …“ nahegelegen (s. auch OLG Hamm, Beschluss vom
15.07.2020, Az.: 20 W 21/20, wobei in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall
die Klausel in den Versicherungsbedingungen lautete: „nur die im Folgenden aufgeführten
(vgl. §§ 6 und 7 IfSG)“.
In dem von der Kammer zu entscheidenden Fall sind die Krankheiten namentlich
aufgeführt, anders als in dem der Entscheidung des Landgerichts Mannheim entschiedenen
Fall (Urteil vom 29.04.2020, Az.: 11 O 66/20), bei dem in den AVB keine enumerative
Aufzählung erfolgt war, sondern nur auf die §§ 6 und 7 IfSG verwiesen wurde.
- Da somit bereits kein versicherter Fall einer Betriebsschließung gegeben war, kommt
es auf die weiteren Fragen, ob die Allgemeinverfügung wirksam war, ob eine vollständige
Schließung der Gaststätte vorlag und inwieweit die Ansprüche der Höhe nach berechtigt
wären, nicht an.
- Da der Hauptsacheanspruch nicht gegeben ist, kommt auch kein Anspruch auf Frsatz
der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Betracht.
- Somit war die Klage insgesamt abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und Satz 2
ZPO.
Der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 25.08.2020 und der Schriftsatz der
Klägervertreterin vom 03.09.2020 gaben keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung
wiederzueröffnen