Abgewiesen
Landgericht Hamburg
Urteil vom 18.12.2020
Aktenzeichen: 306 O 256/20

Stichwörter: abschließende Auflistung

Tatbestand

Die Klägerin, die ein Hotel- und Gastronomiebetrieb unterhält, begehrt Leistungen aus einer bei dem Beklagten gehaltenen Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit dem Erlass von Allgemeinverfügungen und Verordnungen in der Freien und Hansestadt Hamburg aus Anlass der COVID-19-Pandemie.

Dem Vertrag mit Versicherungsbeginn zum 01.01.2016 zur Versicherungsscheinnummer… , der Leistungen bei Eintritt des Versicherungsfalles unter anderem in Form einer Tagesentschädigung in Höhe von 36.830 EUR bis zur Dauer von 30 Schließungstagen vorsieht, liegen die einbezogenen „Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge von Infektionsgefahr (Betriebsschließung)“ (im Folgenden: AVB) und die „Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung)“ (im Folgenden: BBR) jeweils in der Textfassung vom 01.01.2015 zugrunde.

  • 1 Nummer 1 AVB lautet betreffend den Versicherungsumfang auszugsweise wie folgt:

„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; […]“
  • 1 Nummer 2 AVB „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ hat den folgenden Wortlaut:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“

Das Wort „folgenden“ ist durch Fettdruck hervorgehoben. Es schließt sich eine Auflistung von 18 einzelnen Krankheiten (Buchstabe a) und von 49 einzelnen Krankheitserregern (Buchstabe b) an. Die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und das Coronavirus (SARS-CoV-2) werden nicht aufgeführt. Sie werden auch nicht in Nummer 2 BBR erwähnt, der eine Erweiterung des Versicherungsschutzes um sieben zusätzliche Krankheiten vorsieht. Im Einzelnen wird auf die zur Akte gereichten Vertragsunterlagen (Anlage K1) Bezug genommen und verwiesen.

Die Klägerin stellte den Betrieb des von ihr betriebenen Restaurants „E.“ zwischen dem 17.03.2020 und dem 14.05.2020 und des Hotels „E.“ im Zeitraum zwischen dem 20.03. bis einschließlich zum 17.05.2020 aus betriebswirtschaftlichen Gründen aus Anlass ergangener behördlicher Anordnungen und Verordnungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie ein.

Mit E-Mail vom 16.03.2020 fragte die Klägerin bei dem Beklagten sinngemäß an, ob ein Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung bestehe. Mit E-Mail vom selben Tag antwortete der Beklagte – zusammengefasst –, dass das Coronavirus im Rahmen der Bedingungen mitversichert sei (Anlage K8).

Die Klägerin zeigte dem Beklagten hierauf mit anwaltlichem Schreiben vom 25.03.2020 an, dass der Versicherungsfall eingetreten sei (Anlage K9). Mit Schreiben vom 09.04.2020 lehnte der Beklagte Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ab (Anlage K12).

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr ständen unter Bezugnahme unter anderem auf erstinstanzliche Rechtsprechung (darunter LG München I, Urteil vom 22.10.2020, Az.: 12 O 5868/20; LG Hamburg, Urteil vom 04.11.2020, Az.: 412 HKO 91/20), die zu mit dem Streitfall gleichgelagerten Sachverhalten ergangen sei, sowie unter Verweis auf Ausführungen in der Aufsatzliteratur (u.a. Fortmann, VersR 2020, 1075) nach den dem Vertrag zugrundeliegenden Bedingungen Leistungen infolge der Betriebsschließung zu.

Insbesondere messe ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer der Aufzählung in § 1 Nummer 2 AVB (jedenfalls) nicht zwingend einen abschließenden Charakter bei. Insofern fehlten wichtige sprachliche Klarstellungen (scil. „nur“) mit der Folge, dass davon ausgegangen werden könne, die sodann namentlich angeführten Krankheiten und Krankheitserreger seien jedenfalls versichert, worin der Versicherungsnehmer angesichts des Umstandes noch bestärkt werde, dass zwischen den Klauselteilen „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden“ und „im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ ein Komma stehe.

Soweit die Bedingungen auf das Infektionsschutzgesetz verweisen würden, sei die Bezugnahme zudem als dynamischer Verweis zu verstehen und auch aus dem Bedingungszusammenhang, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausschlüsse in § 3 AVB, sowie unter der gebotenen engen Auslegung von Risikoausschlüssen gelange man zumindest zu dem Ergebnis zwei rechtlich vertretbarer Auslegungsalternativen (§ 305c Absatz 2 BGB).

Im Rahmen der Auslegung von AVB komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Bezugnahme auch als statischer Verweis verstanden werden könne; vielmehr sei erforderlich, dass die entsprechenden Klauseln zwingend einzig in diesem Sinne ausgelegt werden müssten, was vorliegend gerade nicht der Fall sei. Unabhängig davon sei die Klägerin wie auch der Beklagte vor Vertragsschluss davon ausgegangen, dass es sich um eine dynamische Verweisung handele.

Darüber hinaus halte § 1 Nummer 2 AVB einer AGB-rechtlichen Wirksamkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Transparenz nicht stand.

Mit ihrer dem Beklagten am 06.07.2020 zugestellten Klage beantragt die Klägerin:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.280.345,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent pro Jahr aus 1.280.345,70 EUR seit dem 26.03.2020 bis zum 16.04.2020 sowie fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.280.345,70 EUR seit dem 17.04.2020 zu zahlen;
  2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.668,45 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf das wechselseitige Parteivorbringen nebst den zur Akten gereichten Anlagen Bezug genommen und verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung. Nach den dem Vertrag zugrundeliegenden AVB und BBR sind Betriebsschließungen aufgrund öffentlicher Anordnungen zur Eindämmung der Krankheiten und Krankheitserreger COVID-19 und SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

Dies folgt aus der Auslegung der streitgegenständlichen Klauseln (dazu unter 1. – 3.), deren objektiver Inhalt nicht vom Vorliegen einer Individualvereinbarung nach § 305b BGB beeinflusst wird (dazu unter 4.) und die auch einer Wirksamkeitskontrolle nach § 307 BGB standhalten (dazu unter 5.).

1.

Nach der ständigen Rechtsprechung des für das Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer des mit der Klausel angesprochenen Adressatenkreises – hier mithin ein durchschnittlicher geschäftserfahrener Versicherungsnehmer, der im kaufmännisch-gewerblichen Bereich selbst mit Allgemeinen Versicherungsbedingungen gleichstehenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu arbeiten pflegt – sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (zuletzt Urteil vom 20.11.2019, Az.: IV ZR 159/18).

2.

Ein solcher Versicherungsnehmer erkennt, dass Betriebsschließungen im Zusammenhang mit COVID-19 und SARS-CoV-2 nicht zu den vertragsrelevanten Krankheiten und Krankheitserregern (im Folgenden auch: „versicherte Gefahren“) der Versicherungsfalldefinition gehören.

a)

Nach der mit „Versicherungsumfang“ überschriebenen Klausel § 1 Nummer 1 AVB leistet der Versicherer Entschädigung, „wenn die zuständige Behörde […] beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger (siehe Nr. 2)“ den Betrieb schließt.

Durch den Klammerzusatz „siehe Nr. 2“ wird dabei für den verständigen Versicherungsnehmer nachvollziehbar verdeutlicht, dass § 1 Nummer 1 und § 1 Nummer 2 AVB die versicherte Gefahr beschreiben und folglich zunächst nur solche Krankheiten und Krankheitserreger eine Einstandspflicht des Versicherers auslösen, die der aufzählenden Regelung des § 1 Nummer 2 AVB unterfallen. Bereits die Verwendung tabellarisch angeführter Krankheiten und Krankheitserreger veranschaulicht, dass der Versicherer eben nur für diese besonders aufgezählten Gefahren einstehen will.

Der Versicherungsnehmer wird hierin auch dadurch bestärkt, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Nummer 2 AVB nicht pauschal auf das Auftreten meldepflichtiger Krankheiten nach dem IfSG, sondern auf das Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Erreger „im Sinne dieser Bedingungen“ ankommt. Der Versicherungsnehmer erkennt vor diesem Hintergrund auch, dass die Aufzählung einzelner meldepflichtiger Krankheiten und Erreger nicht lediglich zu dem Zweck erfolgt, ihn über seine Verpflichtung nach dem IfSG gegenüber öffentlichen Stellen zu unterrichten, zumal ihn eine Fußnote zu § 1 Nummer 1 IfSG zusätzlich darüber unterrichtet, dass ihm auf Wunsch Auszüge aus den genannten Gesetzestexten zur Verfügung gestellt werden. Die Aufzählung der Krankheiten und Erreger im Katalog des § 1 Nummer 2 AVB zielt ersichtlich gerade nicht auf inhaltliche Vollzähligkeit und Deckungsgleichheit mit dem IfSG in seiner zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles geltenden Fassung ab.

Weiter wird der Versicherungsnehmer, der den Umfang der vertraglichen Leistungspflicht des Versicherers ermitteln will, auch die Regelung nach Nummer 2 BBR in den Blick nehmen.

Hiernach wird ihm deutlich vor Augen geführt, dass über den Katalog nach § 1 Nummer 2 AVB hinaus nur die sodann durch Nummer 2 BBR ebenfalls im Einzelnen angeführten Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen geeignet sind, den Versicherungsfall auf erster Stufe – d.h. den Eintritt einer nach dem Versicherungsvertrag relevanten Gefahr – zu verwirklichen. Dass eine inhaltliche Vollzähligkeit nach der Festlegung der vertragsrelevanten Gefahren gemäß § 1 Nummer 2 AVB mit dem IfSG nicht beabsichtigt ist, folgt insoweit auch vor dem Hintergrund, dass nicht bereits nach dieser Klausel, sondern lediglich aufgrund der Erweiterung nach Nummer 2 BBR die Krankheit „Keuchhusten“ – die das IfSG in § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe h) IfSG anführt – vom Versicherungsschutz bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen erfasst wird.

Auch der Zweck der Regelungs(-technik) spricht für eine abschließende Aufzählung der nach dem Vertrag relevanten Krankheiten und Krankheitserreger.

Der Bundesgerichtshof hat mehrfach hervorgehoben, dass es den Versicherern frei stehe, selbst zu bestimmen, welche Gefahren sie versichern wollen, wie also das zu versichernde Gefahrereignis und damit der Versicherungsfall beschaffen sein sollen (BGH, Urteil vom 18.12.1954, Az.: II ZR 206/53; s.a. BGH, Urteil vom 14.11.1957, Az.: II ZR 176/56). Auch ist einem verständigen Versicherungsnehmer, der die versicherungstechnischen Grundlagen in seiner Laiensphäre nachvollzieht, durchaus bewusst, dass die Festlegung von versicherten Gefahren hierbei dem Ergebnis der versicherungstechnischen Risikokalkulation folgt, die erforderlich ist, damit der Versicherer beurteilen kann, ob er das angetragene Risiko in seiner konkreten Ausgestaltung überhaupt übernehmen will und gegebenenfalls zu welchen Konditionen.

Insoweit verfolgt der Versicherer das anerkennenswerte Interesse, eben nur für die nach dem Versicherungsvertrag maßgeblichen Krankheiten und Krankheitserreger im Rahmen seiner Haftzeit Versicherungsleistungen zu erbringen, nicht aber für neuartige und zumindest schwer kalkulierbare Risiken.

Dem Interesse des Versicherungsnehmers, der stets möglichst weitreichenden Versicherungsschutz anstrebt, wird über die Prämienhöhe sowie damit Rechnung getragen, das er der tabellarischen Aufzählung der nach dem Vertrag relevanten Krankheiten und Krankheitserreger unschwer entnehmen kann, in welchen Fällen er Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung in Anspruch nehmen kann.

b)

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Auflistung nur beispielhaften Charakter mit der Folge besitzt, dass auch im Einzelnen nicht erfasste Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz (zudem) nach der jeweils gültigen Fassung des IfSG vom Versicherungsschutz umfasst sind, bestehen nicht.

Aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers wäre für den Fall, dass die Aufzählung in § 1 Nummer 2 AVB sowie Nummer 2 BBR trotz der gegenteiligen Erwartungshaltung, die nach der Benennung im Einzelnen aufgeführter Krankheiten und Erreger hervorgerufen wird, lediglich beispielhaften Charakter haben soll, die Verwendung entsprechender Zusätze („insbesondere“, „beispielsweise“, „unter anderem“ oder „etwa“) zu erwarten gewesen.

Daran fehlt es hier. Insbesondere kann auch die Verwendung des Begriffs „namentlich“ nicht in einem solchen Sinne verstanden werden. Dies folgt aus der Satzstellung des Begriffes, d. h. aus dem konkreten Verwendungszusammenhang, in den der Begriff gestellt worden ist. Vorliegend wird der Begriff ersichtlich im Sinne von „mit ihrem Namen benannt“ gebraucht. Anderenfalls hätte die Klausel lauten müssen, „[…] namentlich die folgenden Krankheiten […]“.

Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Begriff „namentlich“ mit der entsprechenden Formulierung in § 6 Absatz 1 IfSG identisch ist, wonach die unter anderem in Nummer 1 dieser Vorschrift angeführten Krankheiten „namentlich zu melden sind“. Hier ist schon fraglich, ob ein zwar geschäftserfahrener und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauter, jedoch juristisch oder versicherungsrechtlich nicht vorgebildeter Versicherungsnehmer zu einer solchen Transferleistung überhaupt in der Lage ist.

Indem der Begriff nach dem IfSG das „Wie“ der Meldung nach den §§ 67 IfSG (vgl. §§ 910 IfSG) beschreibt und in der Folge eine namentliche Meldepflicht für solche Krankheiten normiert, bei deren Auftreten ein Interesse auch an der Identität der zu meldenden, erkrankten Person besteht (vgl. etwa Thiery, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg,), BeckOK Infektionsschutzrecht, Einf. zu § 9 IfSG), ist dem lediglich gleichlautenden Begriff in § 1 Nummer 2 AVB offensichtlich nicht diese Bedeutung nach dem IfSG beizumessen.

Auch aus der Bezugnahme auf das IfSG nach § 1 Nummer 1 AVB sowie aus § 1 Nummer 2 AVB, der seinerseits die §§ 6 und 7 IfSG benennt, folgt kein abweichendes Klauselverständnis.

Auch diese Inbezugnahmen sind nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den übrigen Klauselbestandteilen zu betrachten, da auch ein verständiger Versicherungsnehmer das Bedingungswerk so lesen wird. Insbesondere durch den Begriff der „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger, die sodann im Einzelnen aufgeführt werden und die – wie ausgeführt – gerade nicht sämtliche zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger umfassen, ist für den Versicherungsnehmer klar ersichtlich, dass der Beklagte als Verwender der AVB den Versicherungsfall nach dem streitgegenständlichen Vertrag eigenständig festgelegt hat. Hinzu kommt, dass der Begriff „folgenden“ im Fettdruck hervorgehoben wird, sodass er auch einem Versicherungsnehmer, der das Bedingungswerk lediglich flüchtig zur Hand nimmt, unmittelbar ins Auge springen muss.

Darauf, dass es bei einer ohnehin abschließenden Aufzählung der vertragsrelevanten Krankheiten und Krankheitserreger insoweit einer Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG regelungstechnisch nicht bedurft hätte, kommt es insoweit ebenso wenig wie auf die Gründe an, die den Versicherer gleichwohl zu einer Benennung dieser Vorschriften bewogen haben (etwa, dass es sich auch bei den aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserregern um medizinische Fachbegriffe handelt, die die zuständige Behörde zu Maßnahmen aufgrund des IfSG ermächtigen, dazu noch unter 5 b)).

Für eine an den oben ausgeführten Grundsätzen orientierte objektive Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (vgl. nur BGH, Urteil vom 27.06.2012, Az. IV ZR 212/10), solange – wie hier – diese Vorstellung keinen eindeutigen Niederschlag im Bedingungswerk gefunden hat.

Erst Recht liegen aufgrund der gewählten Formulierung keine Anhaltspunkte für eine dynamische Verweisung mit der Folge vor, dass auch nach Vertragsschluss neu aufgetretene Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind, von denen weder der Versicherungsnehmer noch der Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis hatten. Wie aufgezeigt ist der Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG jedenfalls keine den Anspruch des Versicherungsnehmers aus dem Vertrag erweiternde Bedeutung beizumessen. Insoweit kommt es auch nicht entscheidend darauf an, dass diese Vorschriften des IfSG ihrerseits Öffnungsklauseln bzw. Auffangtatbestände für nicht bereits im Gesetz aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger enthalten (vgl. §§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5, 7 Absatz 2 IfSG).

Das in Bezug genommene IfSG ist auch weder mit seinem nach dem Vertrag relevanten Gültigkeitsdatum unverwechselbar gekennzeichnet noch enthalten die Klauseln einen Zusatz „in der jeweiligen Fassung“. Sofern und soweit eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es im Übrigen nahegelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten und allgemein auf die Regelungen der §§ 6 und 7 IfSG zu verweisen.

Anhaltspunkte für ein abweichendes Verständnis ergeben sich bei verständiger Würdigung schließlich auch nicht unter Berücksichtigung des Ausschlusses nach § 3 Nummer 4 AVB für Prionenerkrankungen, worunter unter anderem der sog. „Rinderwahn“ fällt.

In Ermangelung ihrer Benennung in § 1 Nummer 2 AVB / Nummer 2 BBR gehört diese Erkrankung – die dem Tatbestand der „humanen spongiforme Enzephalopathie“ in § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe d) IfSG unterfällt – zwar von vorneherein nicht zu den vertragsrelevanten, versicherten Gefahren nach dem Katalog des § 1 Nummer 2 AVB. Der Versicherungsnehmer wird angesichts der nach Anzahl und Gewicht gegen eine lediglich beispielhafte Benennung sprechenden Gründe hieraus jedoch nicht folgern, dass nunmehr sämtliche Krankheiten und Erreger nach dem IfSG, deren Auftreten Anlass für ein entsprechendes behördliches Handeln geben, zum Eintritt des Versicherungsfalls führen.

Im Rahmen einer vernünftigen, widerspruchsfreien Auslegung, zu der auch der Versicherungsnehmer ansetzt, drängt sich ihm vielmehr auf, dass dem Ausschluss insoweit lediglich klarstellende Bedeutung zukommt.

Hinzu tritt, dass der Ausschluss nach § 3 Nummer 4 AVB für Prionenerkrankungen weiterreicht, als der Umfang des Versicherungsschutzes, der sich selbst bei einer (korrespondierenden) Aufnahme von humanen spongiformen Enzephalopathien in den Katalog der vertragsrelevanten Krankheiten nach § 1 Nummer 2 AVB / Nummer 2 BBR ergeben würde. Die in § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe d) IfSG angeführte und von § 1 Nummer 2 AVB nicht umfasste humane spongiforme Enzephalopathie schließt nach dem IfSG die familiär-hereditären Formen der Krankheit aus. Durch die Erstreckung auch auf vererbliche Prionenerkrankungen ist der Anwendungsbereich des Ausschlusses des § 3 Nummer 4 AVB mithin weiter als die Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe d) IfSG.

d)

Dass Klauseln, die den Versicherungsschutz einschränken, grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen sind, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Dabei kann dahinstehen, ob diese Auslegungsregel bei der Festlegung der nach dem Versicherungsvertrag relevanten Gefahren überhaupt zur Anwendung gelangt. Selbst wenn man der Ansicht folgen würde, der zufolge § 1 Nummer 1 AVB den Umfang des Versicherungsschutzes als primäre Risikobeschreibung festlegt und § 1 Nummer 2 AVB im Sinne einer sekundären Risikobegrenzung ein einschränkender Charakter zukäme, folgt daraus nicht, dass Betriebsschließungen im Zusammenhang mit COVID-19 und SARS-CoV-2 vom Versicherungsschutz gedeckt wären.

Eine enge Auslegung mit dem Ziel, die Aufzählung von nach dem Bedingungswerk relevanten Krankheiten und Erregern zu erweitern, kommt nicht in Betracht.

3.

Die Voraussetzungen nach § 305c Absatz 2 BGB liegen im Streitfall nicht vor.

Zweifel bei der Auslegung bestehen nicht. Solche setzen voraus, dass nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden unbehebbare Unsicherheiten verbleiben und ein unterschiedliches Verständnis der Klausel möglich bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 14.06.2017, Az.: IV ZR 161/16). Außer Betracht zu bleiben haben dabei Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind (vgl. BGH, Urteil vom 09.05.2012, Az.: VIII ZR 327/11).

Zu einer im Sinne des § 305c Absatz 2 BGB unklaren Regelung führt insbesondere der Umstand nicht, dass der Wortlaut des § 1 Nummer 2 AVB gleichwertig dahin ergänzt werden könnte, dass es hieße (erstens): „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind [nur] die folgenden ….“ oder aber (zweitens): „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind [beispielsweise / im Wesentlichen] die folgenden …“ Einerseits stehen diese Einschübe nach dem Ergebnis der objektiven Auslegung gerade nicht einander gleichwertig gegenüber; zum anderen sind AVB nur aus sich selbst heraus zu interpretieren, wobei vom tatsächlichen Wortlaut der Bestimmung und somit nicht von einem – eine Mehrdeutigkeit erst schaffenden – erweiterten Wortlaut auszugehen ist.

Indem die objektive Auslegung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers fragt, es mithin insoweit nicht auf den Willen und die Vorstellungen der jeweiligen Vertragsschließenden ankommt, ist von vorneherein ebenfalls unbeachtlich, dass ein Mitarbeiter der Beklagten mit E-Mail vom 16.03.2020 dem Versicherungsmakler der Klägerin mitteilte, das Coronavirus sei im Rahmen der Bedingungen mitversichert.

  • 305cAbsatz 2 BGB ist auch nicht bereits dann anzuwenden, wenn Streit über das Ergebnis der Auslegung besteht, sondern erst dann, sofern und soweit die Auslegung zu einem objektiv mehrdeutigen Ergebnis führt, wobei keines den klaren Vorzug verdient.

Allein das Bestehen von Auslegungsdifferenzen in Literatur und Rechtsprechung, die überdies – neben weiteren Anforderungen zumindest auch – zwingend erforderlich sind, um der Sache überhaupt erst ihre grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ZPO zu geben (zuletzt BGH, Beschluss vom 18.03.2020, Az.: IV ZR 52/19) eröffnet daher den Anwendungsbereich von § 305c Absatz 2 BGB nicht.

In der Folge kann dahinstehen, ob derartige Auslegungsdifferenzen ohnehin nur dann zur Unklarheitenregel führen, wenn – wie hier nicht – die Auslegung von Rechtsbegriffen in Rede steht (in diesem Sinne wohl Präve, in: Graf v. Westphalen (Hrsg.), Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Rn. 251, m. w. N.).

4.

Eine von dem Ergebnis der objektiven Auslegung abweichende Individualvereinbarung nach § 305b BGB besteht im Streitfall nicht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beklagte und die Klägerin über ein von dem Ergebnis der objektiven Auslegung abweichendes Verständnis des Sinngehalts der Regelungen in § 1 Nummer 1 und 2 AVB – auch nicht durch schlüssiges Handeln – geeinigt haben.

Bereits aus dem Gesamtverhalten der Parteien nach Vertragsschluss, dem insoweit indizielle Bedeutung zukommt, ergibt sich vielmehr das Gegenteil. Eine (rechts-) verbindliche Auskunft über eine individuellen Vertragsabreden gleichstehende übereinstimmende Vorstellung der Parteien stellt die E-Mail vom 16.03.2020 ersichtlich nicht dar.

Insoweit kommt auch nicht in Betracht, in dieser Erklärung ein Leistungsanerkenntnis oder aber ein auf die Änderung des Vertrages gerichtetes Angebot der Beklagten zu sehen, dessen Annahme die Klägerin gegenüber der Beklagten nach § 151 BGB nicht hätte erklären müssen.

5.

Die Risikobeschreibung nach § 1 Nummer 1 und 2 AVB hält einer AGB-rechtlichen Wirksamkeitskontrolle gemäß § 307 Absatz 1 und 2 BGB stand. Insbesondere genügt § 1 Nummer 2 AVB dem Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.

a)

Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (st. Rspr., zuletzt BGH, Urteil vom 20.11.2019, Az.: IV ZR 159/18).

b)

Mit den in § 1 Nummer 1 und 2 AVB sowie Nummer 2 BBR verwendeten Formulierungen wird dem Versicherungsnehmer keine unzumutbare Subsumtionslast auferlegt. Er muss lediglich feststellen, ob diejenigen Krankheiten und Krankheitserreger, auf deren Auftreten behördliche Maßnahmen nach dem IfSG zu ihrer Eindämmung gestützt werden, vom Katalog dieser Klauseln umfasst werden. Dass es sich jedenfalls überwiegend um medizinische Fachbegriffe handelt, die allgemeinsprachlich nicht verwendet werden, ist nicht zu beanstanden. Der Versicherungsnehmer erkennt auch durch die Bezugnahme auf das IfSG in § 1 Nummer 2 AVB, dass es sich um Fachausdrücke handelt, die einen zweifelsfrei bestimmbaren Inhalt haben.

Danach ist ihm ohne Schwierigkeiten und ohne unzumutbaren zeitlichen Aufwand möglich, zu erkennen, ob im konkreten Fall ein Gefahrenereignis vorliegt, bei dessen Realisierung der Versicherungsfall auf der ersten Stufe eingetreten ist. Ein jeweiliger Verweis auf einzelne Tatbestände nach dem IfSG wäre der geforderten Transparenz demgegenüber sogar abträglich.

Auch vor dem Auftreten von Krankheiten und Krankheitserregern kann der Versicherungsnehmer den Umfang des Versicherungsschutzes klar bestimmen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Beklagte die Bedingungen noch klarer durch einen Zusatz hätte fassen können, wonach nicht sämtliche der im IfSG angeführten Krankheiten und Erreger auch nach dem Vertrag relevant sind. Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verlangt lediglich „gebotene und mögliche Klarheit“ (siehe nur BGH, Urteil vom 30.04.2008, Az.: IV ZR 241/04).

Daraus folgt weiter, dass ein Verstoß gegen das dem Transparenzgebot unterfallende Bestimmtheitsgebot auch nicht darin liegt, dass der Beklagte nicht vom Versicherungsschutz umfasste, in den §§ 6 und 7 IfSG angeführte Krankheiten und Krankheitserreger nicht explizit als nicht-versicherte oder als ausgeschlossene Gefahrenumstände bezeichnet hat. Eine diesbezügliche, für den Versicherungsumfang lediglich deklaratorische Bestimmung würde zudem erfordern, die insoweit gültige Fassung des IfSG zu benennen, da der gesetzliche Katalog der §§ 6 und 7 IfSG den tatsächlichen Umständen und damit etwa bei Auftreten neuer Krankheiten und Krankheitserreger fortwährend angepasst wird.

Dass es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um eine relative neue Versicherungsart handele, ist bereits unrichtig (siehe etwa Schmidt-Hidding: Die Neuordnung der Betriebsschließungsversicherung, VerBAV 1970, 229; grundlegend zur Konzeption bereits Feldmann, VerBAV 1956, 149 ff.). Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, weshalb diesem Umstand im Rahmen der Transparenzkontrolle überhaupt Bedeutung zukommen soll.

c)

Im Ergebnis kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Anwendungsbereich von § 307 Absatz 2 Nummer 2 BGB vorliegend eröffnet ist. § 1 Nummer 2 AVB führt, auch soweit die Bestimmung als sekundäre Risikobeschreibung anzusehen wäre, ersichtlich nicht zu einer Aushöhlung des Versicherungsschutzes, die nicht bereits mit jeder Leistungsbegrenzung, sondern erst dann anzunehmen ist, wenn sie den Vertrag seinem Gegenstand nach in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht.

Wesentliche Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers werden nicht dadurch beeinträchtigt, dass neben der Vielzahl eine Deckung nach dem Vertrag auslösenden Infektionsgefahren eine neu auftretende, bislang unbekannte Pandemie nicht erfasst wird. § 1 Nummer 2 AVB umfasst 18 einzelne Krankheiten (Buchstabe a) und 49 einzelne Krankheitserreger (Buchstabe b). Hinzu kommen die in Nummer 2 BBR angeführten sieben Krankheiten als versicherte Gefahren. Es verbleibt mithin trotz der abschließenden Auflistung in diesen Bestimmungen ein weiter Anwendungsbereich der Betriebsschließungsversicherung.

II.

Der auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageanspruch zu 2. unterfiel aus den genannten Gründen ebenfalls der Abweisung.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidung beruhen auf § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO (Kostenentscheidung) sowie auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).