Abgewiesen
Landgericht Hamburg
Urteil vom 10.12.2020
Aktenzeichen: 332 O 238/20

Stichwörter: Abschließende Aufzählung, namentlich genannte Krankheiten

Urteil

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer Betriebsschließungsversicherung

aufgrund von behördlichen Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie.

Der Kläger betreibt in Hamburg das Restaurant … . Zwischen den Parteien besteht eine

Firmenversicherung … unter der Versicherungsnummer … . Vereinbart waren unter

anderem die „Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen …“ der Beklagten

(im Folgenden: „AVB“), welche unter Teil B II. 4 der AVB insbesondere auch eine

Betriebsschließungsversicherung beinhaltet, in der es auszugsweise wie folgt heißt:

„II. 4 Betriebsschließungsversicherung

  • 1 Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet – soweit dies im Versicherungsschein oder den gültigen Nach –

trägen zum Versicherungsschein dokumentiert ist – Entschädigung, wenn die zuständige

Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten

beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim

Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe § 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte des versicherten Betriebes

zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder

Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche

Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer

Betriebsschließung gleichgestellt;

(…)

  • 2 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und

Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im IfSG in der Fassung

vom 20.07.2000 in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und

Krankheitserreger;

(…)“

Unter Nr. 1 und 2 folgen sodann eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserreger,

die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in den §§ 6 und 7 IfSG

genannt waren, SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 sind daher nicht in den Bedingungen genannt.

Indessen handelte es sich nicht um eine vollständige Aufzählung aller zu diesem Zeitpunkt

in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger, da jedenfalls die „humane

spongiforme Enzephalopathie“ nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d) IfSG nicht in Teil B II. 4 § 2

Nr. 1 der AVB genannt ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlagenkonvolut K 1 zur Akte

gereichten Versicherungsschein nebst den als Anlagenkonvolut B 1 zur Akte gereichten

Versicherungsbedingungen verwiesen.

Mit Wirkung zum 01.02.2020 wurde durch die Verordnung „2019-nCoV“ eine Meldepflicht

nach §§ 6 und 7 IfSG für das neuartige Coronavirus bzw. COVID-19 angeordnet. Mit

Wirkung zum 23.05.2020 wurde COVID-19 in § 6 Abs. 1 Nr. 1 t) IfSG und SARS-CoV-2 in §

7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG aufgenommen.

Aufgrund der Ausbreitung der Corona-Pandemie erließ die Behörde für Gesundheit und

Verbraucherschutz Hamburg am 16.03.2020 die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des

Coronavirus in Hamburg, welche am 17.03.2020 in Kraft trat. Demnach mussten

Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes für den Publikumsverkehr geschlossen

werden. Speiselokale durften davon abweichend unter bestimmten

Sicherheitsbestimmungen von 6 Uhr bis 18 Uhr Speisen zum Verzehr vor Ort anbieten

(Ziffer 8 der Allgemeinverfügung). Nach 18 Uhr mussten auch Speiselokale wie jenes des

Klägers schließen und durften Speisen und Getränke nur noch zum Mitnehmen verkaufen.

Mit Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 20.03.2020

wurde mit sofortiger Wirkung der Betrieb von Gaststätten wie der des Klägers zu allen

Zeiten untersagt (Ziffer 9 der Allgemeinverfügung). Lediglich die Auslieferung von Speisen

und Getränken sowie der Abverkauf zum Mitnehmen blieb erlaubt. Der Kläger schloss

aufgrund dieser Allgemeinverfügung am 20.03.2020 ihr Restaurant für den

Publikumsverkehr. Durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Hamburgischen SARSCoV-

2-Eindämmungsverordnung, welche am 13.05.2020 in Kraft trat, wurde der Betrieb

von Gaststätten gemäß § 13 wieder unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen erlaubt.

Der Kläger nahm daraufhin den Betrieb mit Publikumsverkehr jedenfalls am 18.05.2020

wieder auf.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das neuartige Coronavirus vom Versicherungsschutz

umfasst sei. Relevant sei stets die aktuelle Fassung des IfSG. Etwas anderes ergebe sich

auch nicht daraus, dass in Teil B II. § 1 (vor Nr. 1) sowie in § 2 der AVB auf das IfSG „in

der Fassung vom 20.07.2000“ verwiesen werde. Denn hierbei handele es sich lediglich um

die erste Fassung des IfSG, nicht hingegen um einen Verweis auf das IfSG in der zum

Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages maßgebliche Fassung. Bereits bis

zum Oktober 2007 (Datum des Stands der Versicherungsbedingungen) sei das IfSG

mehrfach geändert worden. Der Versicherungsnehmer müsse nicht damit rechnen, dass

der Versicherer auf eine veraltete Fassung eines Gesetzes tatsächlich (statisch) Bezug

nehmen wolle. Zudem werde in den AVB uneinheitlich auf das IfSG verwiesen. Zum Teil

werde statisch wie oben beschrieben, verwiesen. In Teil B II. 4 § 1 Nr. 5 der AVB werde

hingegen § 25 und § 29 IfSG verwiesen, ohne dass dort ein Verweis auf die Fassung vom

20.07.2000 erfolge. Auch in Teil B II. 4 § 10 werde in Absatz 1 nur auf die „Bestimmungen

des Infektionsschutzgesetzes“ als solches verwiesen, ohne Verweis auf eine bestimmte

Fassung. Zugunsten des Versicherungsnehmers müsse daher davon ausgegangen werden,

dass die AVB auf das IfSG vom 20.07.2000 in der jeweils geltenden Fassung verweise.

Der Wortlaut von Teil B II. 4 § 2 der AVB „namentlich“ sei als „insbesondere“ zu

verstehen, so dass die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht

abschließend gemeint sein könne. Bei einer anderen Auslegung liefe der

Versicherungsschutz des Klägers leer, da der Katalog der §§ 6 und 7 IfSG mehrfach

erweitert und reduziert wurde. Nur die Annahme einer dynamischen Verweisung auf das

IfSG würde dem Versicherungszweck genügen. Jedenfalls sei die Nr. 2 der

Versicherungsbedingungen intransparent und folglich unwirksam. Denn es hätte eines

ausdrücklichen Hinweises in den Versicherungsbedingungen dahingehend bedurft, dass die

Auflistung in Teil B II. 4 § 2 der AVB nicht alle vom IfSG umfassten Krankheiten bzw.

Krankheitserreger umfasst und auch für erst zukünftig in das IfSG aufgenommene

Krankheiten bzw. Krankheitserreger kein Versicherungsschutz bestehe.

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 179.356,55 nebst Zinsen
  2. a) in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 21.03.2020 bis zum 14.04.2020 sowie
  3. b) in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen.
  4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn nicht anrechenbare vorgerichtlichen

Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.273,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5

Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das neuartige Coronavirus sei keine versicherte Gefahr.

„Namentlich“ sei als „namentlich genannt“ zu verstehen und ließe auf eine abschließende

Aufzählung schließen. Die Versicherungsbedingungen seien auch wirksam. Dies gelte

insbesondere, da sich eine Betriebsschließungsversicherung ausschließlich an Kaufleute

richte.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zur Ergänzung des

Tatbestandes auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug

genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 179.356,55 EUR

aus der zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung.

Insbesondere ergibt sich ein dahingehender Entschädigungsanspruch nicht aus Teil B II. 4

  • 3 Nr. 1 1.1 lit. a) der AVB aufgrund der im Versicherungsschein vereinbarten

Tagesentschädigung von 75% des Tagesumsatzes des dem Schließungszeitraum

entsprechenden Zeitraums für die Dauer von max. 30 Schließungstagen.

15Durch die streitgegenständliche Untersagung des Betriebs von Gaststätten durch die

Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 20.03.2020,

aufgrund derer der Kläger seinen Restaurantbetrieb für den Publikumsverkehr bis Mitte Mai

2020 geschlossen hat, ist kein Versicherungsfall im Sinne der

Betriebsschließungsversicherung eingetreten. Denn nach Teil B II. 4 § 1 der AVB sind nur

solche Betriebsschließungen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes versichert, die

aufgrund der in Teil B II. 4 § 2 der AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger

erfolgt sind. Die genannte Allgemeinverfügung erging jedoch nicht aufgrund einer der in

Teil B II. 4 § 2 Nr. 1 der AVB aufgezählten Krankheiten oder der in Teil B II. 4 § 2 Nr. 2 der

AVB genannten Krankheitserreger, sondern aufgrund des dort nicht genannten, erst nach

Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrags in das Infektionsschutzgesetz

aufgenommenen SARS-CoV-2-Virus bzw. der COVID-19-Erkrankung.

Die Auslegung dieser Versicherungsbedingungen ergibt, dass es sich bei der dortigen

Aufzählung um eine abschließende Aufzählung von Krankheiten bzw. Krankheitserreger

handelt, für die Versicherungsschutz besteht (hierzu unter 1.). Die so verstandene Klausel

ist auch wirksam, insbesondere ist sie weder überraschend, noch unklar. Auch hält sie

einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand (hierzu unter 2.).

  1. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergibt, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-

2 nicht Teil des versicherten Risikos gemäß Teil B II. 4 § 2 der AVB sind. Allgemeine

Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher

Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger

Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren

Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH, Urteil vom 06. Juli 2016 – IV ZR 44/15 -, Rn.

17, juris). In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (BGH, Urteil

vom 06. Juli 2016 – IV ZR 44/15 -, Rn. 17, juris).

Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Teil B II. 4 § 2 der AVB

musste ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer – insoweit ist vorliegend auf einen nicht

geschäftsunerfahrenen Kaufmann abzustellen, da sich die Versicherung an Firmeninhaber

richtet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09 -, Rn. 22, juris) – als

abschließend verstehen. In Teil B II. 4 § 1 der AVB wird der Versicherungsumfang, mithin

der Versicherungsfall für die Betriebsschließungsversicherung definiert, wonach

insbesondere bei Betriebsschließungen nach dem IfSG Entschädigung geleistet wird „beim

Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe § 2)“. Bereits dort

wird also auf die weitere Risikobegrenzung des Teils B II. 4 § 2 der AVB verwiesen, wonach

„meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen […] die

folgenden, im IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich

genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ sind, die sodann in den folgenden Nrn. 1

und 2 aufgezählt werden.

Der verständige Versicherungsnehmer kann diese Aufzählung nur so verstehen, dass es

sich bei dieser Aufzählung um eine abschließende Aufzählung der Krankheiten bzw.

Krankheitserreger handelt, durch die ein Versicherungsfall eintreten soll. Dies bedarf im

Grunde keiner weiteren Erläuterung. Der einzige Sinn der umfangreichen Aufzählung kann

nur darin liegen, die Einstandspflicht der Beklagten gerade auf die dort aufgezählten Fälle

zu begrenzen. Hierzu braucht es gerade auch nicht einer weiteren zusätzlichen

Verdeutlichung, in dem etwa nochmals betont wird, dass „nur“ die folgenden Krankheiten

bzw. Krankheitserreger einen Versicherungsfall darstellen. Zudem wird die vorliegende

abschließende Aufzählung noch einmal dadurch besonders deutlich, dass in Teil B II. 4 § 2

der AVB gerade hervorgehoben wird, dass die „im Sinne dieser Bedingungen“ erfassten

Krankheiten und Krankheitserreger in der folgenden Aufzählung enthalten sind. Hierdurch

wird nochmals deutlich, dass die nun folgende Aufzählung nicht zwingend alle Krankheiten

und Krankheitserreger erfasst, die im Infektionsschutzgesetz – gleich welcher Fassung –

genannt sind.

Einen anderen Sinn könnte der verständige Versicherungsnehmer der vorliegenden

Aufzählung in Teil B II. 4 § 2 der AVB lediglich dann beimessen, wenn etwa durch das Wort

„insbesondere“ vor der Aufzählung deutlich gemacht wird, dass es sich um eine lediglich

beispielhafte Aufzählung eines nicht abgeschlossenen Katalogs von insbesondere nach dem

IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern handeln soll. Dies ist hier aber

gerade nicht der Fall. Zu dem Ergebnis einer lediglich beispielhaften Aufzählung der

erfassten Krankheiten und Krankheitserregern kann der verständige Versicherungsnehmer

auch nicht durch den in Teil B II. 4 § 2 der AVB enthaltenen Einschub gelangen, wonach es

sich bei den „folgenden, im IfSG in der Fassung vom 20.07.2000 in den §§ 6 und 7 IfSG

namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ um meldepflichtige Krankheiten

und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen handelt. Richtig ist es zwar, dass das

Wort „namentlich“ unter anderem die Bedeutung „hauptsächlich“ oder „besonders“ haben

kann, was auf eine nur beispielhafte Aufzählung schließen ließe. Hier ist jedoch für einen

verständigen Versicherungsnehmer erkennbar, dass „namentlich“ als „mit Namen genannt“

zu verstehen ist. Dies wird durch die Satzstellung des Wortes „namentlich“ deutlich. Wäre

„namentlich“ als „hauptsächlich“ zu lesen, so müsste es am Ende des Satzes vor der

Aufzählung stehen. Zudem dürfte Teil B II. 4 § 2 der AVB nicht das Wort „folgende“

enthalten, durch das die sich anschließende abschließende Aufzählung deutlich wird. Also

lediglich dann, wenn Teil B II. 4 § 2 der AVB die Formulierung enthalten würde, wonach

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die in

den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind, namentlich:“

könnte die Klausel als eine nicht abschließende Aufzählung der im IfSG genannten

Krankheiten und Krankheitserreger verstanden werden. So ist die Klausel jedoch gerade

nicht formuliert.

Bei der hier vorliegenden Satzstellung kommt dem Wort „namentlich“ daher vielmehr die

Funktion zu, die Generalklauseln der §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG vom

Versicherungsschutz auszunehmen und den Schutz auf die dort namentlich genannten

Erreger und Krankheiten zu beschränken. Vor diesem Hintergrund schlägt im Übrigen auch

der Einwand nicht durch, der Hinweis auf die §§ 6 und 7 IfSG sei ohne dynamische

Verweisung auf das IfSG überflüssig. Denn der Hinweis auf das IfSG verdeutlicht, dass die

nachfolgende Aufzählung nicht aus der Luft gegriffen wurde, sondern Grundlage

behördlichen Handelns zum Infektionsschutz sein kann.

Insbesondere vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen vermag bereits

nicht die Auffassung des Klägers zu überzeugen, wonach sich aus dem Verweis auf „die

folgenden, im IfSG in der Fassung vom 20. Juli 2000 in den §§ 6 und 7 namentlich

genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ in Teil B II. 4 § 2 der AVB ergebe, dass

hinsichtlich der erfassten Krankheiten und Krankheitserreger – unabhängig von der

Aufzählung in der Bedingung selbst – stets auf die aktuelle Fassung der §§ 6, 7 IfSG und

den dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger verwiesen werde. Wie sich hier

etwas anderes gerade aus dem (über dem Wortlaut anderer Bedingungswerke

hinausgehenden) statischen Verweis auf das „IfSG in der Fassung vom 20.07.2000“

ergeben soll, erschließt sich der Kammer von vorn herein nicht. Richtig ist allein, dass es

sich bei der Fassung des IfSG vom 20.07.2000 lediglich um diejenige der ursprünglichen

Ausfertigung des Gesetzes handelt. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Bedingungswerks der

Beklagten mit Stand Oktober 2007 (wann der streitgegenständliche Versicherungsvertrag

erstmals abgeschlossen wurde, wurde nicht mitgeteilt) ist das IfSG indessen bereits

mehrfach geändert worden, so dass jedenfalls bei einem sog. Vollverweis auf die im

Oktober 2007 geltende Fassung ein Verweis auf das „IfSG vom 20.07.2000, das zuletzt

durch Art. 5 des Gesetzes vom 19.06.2020 geändert worden ist“ bzw. auf das „IfSG in

seiner ab dem 01.08.2007 geltenden Fassung“ hätte erfolgen müssen. Hieraus kann jedoch

der durchschnittliche, juristisch nicht vorgebildete Versicherungsnehmer – auf den insoweit

abzustellen ist, gerade nicht schließen, dass jedenfalls im Hinblick auf die vom

Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im

Sinne des Teils B II. 4 § 2 der AVB dynamisch entgegen der Aufzählung auf die jeweils

aktuelle Fassung des IfSG verwiesen wird. Vielmehr muss er den Verweis auf eine

bestimmte Fassung des IfSG so verstehen, dass insoweit gerade kein dynamischer Verweis

gewollt ist. Hinzu kommt, dass die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen hat, dass es zwar

bis zum Oktober 2007 zu mehrfachen Gesetzesänderungen gekommen war, jedoch der

Wortlaut der §§ 6, 7 IfSG bzgl. der erfassten Krankheiten und Krankheitserreger seit der

Ausfertigung des Gesetzes im Jahr 2000 gleich geblieben ist, so dass insoweit die

Bezugnahme auf die Ausfertigung des Gesetzes insoweit nach wie vor zutreffend gewesen

ist. Zu insoweit relevanten Änderungen der §§ 6, 7 IfSG ist es vielmehr erst im Jahr 2013

gekommen. Ob durch den grundlegenden Verweis auf das „IfSG in der Fassung vom

20.07.2000“ in Teil B II. 4 § 1 der AVB im Übrigen stets statisch (etwa in Teil B II. 4 § 1

Nr. 5 der AVB mit Verweis auf § 25 und § 29 IfSG oder in Teil B II. 4 § 10 mit Verweis auf

„Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes“) auf das IfSG verwiesen wird, braucht hier

indessen nicht entschieden zu werden.

Systematisch spricht weiter der große Umfang des Katalogs für eine abschließende Liste

und gegen eine nur beispielhafte Aufzählung. Auch ist einem verständigen

Versicherungsnehmer bewusst, dass der Versicherer bestrebt ist, seine Haftung auf

bekannte und daher vorhersehbare Fälle zu begrenzen, um sein Risiko kalkulieren zu

können. Das Interesse des Versicherungsnehmers an einem möglichst umfangreichen

Versicherungsschutz ist dadurch gewahrt, dass er schon bei Vertragsschluss anhand der

enumerativen Aufzählung leicht feststellen kann, in welchen Fällen die

Betriebsschließungsversicherung greift. An diesem Ergebnis ändert auch der Ausschluss für

Prionenerkrankungen in Teil B II. 4 § 4 Nr. 4 der AVB nichts. Zwar ist diese Art der

Erkrankung in der Auflistung in Teil B II. 4 § 2 der AVB nicht enthalten, durch den

Ausschluss wird aber für den verständigen Versicherungsnehmer nicht zum Ausdruck

gebracht, dass die abschließend zu verstehende Liste wieder geöffnet wird. Vielmehr wird

hierdurch klargestellt, dass der Versicherer für Erkrankungen dieser Art keinen

Versicherungsschutz übernehmen will.

Aus Sicht des verständigen Versicherungsnehmers lässt sich daher die

streitgegenständliche Versicherungsklausel in Teil B II. 4 §§ 1 und 2 der AVB allein

dahingehend auslegen, dass CO- VID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht Teil des versicherten

Risikos sind (so im Ergebnis auch LG Oldenburg, Urt. v. 21.10.2020, Az. 13 O 1637/20 –

zitiert nach juris; Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 253; Schreier in VersR 2020, 513;

Günther/Pionthek in RuS 2020, 242; a.A. LG Hamburg, Urt. v. 04.11.2020, Az. 412 HKO

91/20, Rn. 64 – zitiert nach juris; Werber in VersR 2020, 661, 664; Rolfes in VersR 2020,

1021; Armbrüster in RuS 2020, 506, 508).

  1. Das Klauselwerk in Teil B II. 4 §§ 1 und 2 der AVB ist auch wirksam.
  2. a) Es handelt sich insbesondere um keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c

Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift wird eine Bestimmung in Allgemeinen

Versicherungsbedingungen, die nach den jeweiligen Umständen, insbesondere nach dem

äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, überraschend ist, nicht Vertragsbestandteil.

Entscheidend für die Einordnung einer Klausel als überraschend ist es, ob zwischen den

Erwartungen des Versicherungsnehmers und dem Klauselinhalt eine deutliche Diskrepanz

besteht, mit der der Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (st.

Rspr.; BGH, Beschluss vom 06.07.2011, Az. IV ZR 217/09, Rn. 19 m.w.N. – zitiert nach

juris).

27Danach ist die streitgegenständliche Regelung nicht überraschend. Ein durchschnittlicher

verständiger Versicherungsnehmer kann und muss damit rechnen, dass der Versicherer

den Versicherungsschutz auf im Vertrag ausdrücklich genannte Fälle beschränkt und

gerade keinen Versicherungsschutz für künftig auftretende, jedoch bei Vertragsschluss

unbekannte meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger bieten will, deren

Gefahrenpotential er bei Vertragsschluss nicht kalkulieren und deshalb auch nicht bei der

Bemessung von Versicherungsumfang und – prämien berücksichtigen konnte.

  1. b) Auch ist die streitgegenständliche Regelung nicht mehrdeutig im Sinne von § 305c

Abs. 2 BGB. Die Klausel ist klar formuliert und erweckt keine Fehlvorstellung über den

Umfang des Versicherungsschutzes. Bereits durch die Verwendung der Worte „die

folgenden“ wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen können, dass

allein die danach genannten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz

umfasst sein sollen (vgl. Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 254). Hierzu bedarf es

auch nicht eines ausdrücklichen Hinweises, dass es sich „nur“ bei den folgenden

meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger um solche im Sinne der Bedingungen

handelt. Ebenso wenig können in den vorliegenden Wortlaut gedanklich die Worte

„beispielsweise“ oder „im Wesentlichen“ eingefügt werden, ohne dass der eigentliche

Wortlaut: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen

sind die folgenden […] Krankheiten und Krankheitserreger“ verändert wird. Im Übrigen

wird insoweit auf die Ausführungen zur Auslegung der Versicherungsbedingung unter Ziffer

  1. 1. der Entscheidungsgründe verwiesen.
  2. c) Schließlich hält die Klausel auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.
  3. aa) Zunächst verstößt die Klausel nicht gegen das in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB

niedergelegte Transparenzgebot. Danach ist der Verwender Allgemeiner

Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners

möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Es kommt insoweit nicht nur darauf an,

dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer

verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen

Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert

werden kann (BGH, Beschluss vom 11.02.2009 – IV ZR 28/08, Rn. 14, juris).

Die streitgegenständliche Klausel genügt diesen Anforderungen. Durch den eindeutigen

Wortlaut wird bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht

die Erwartung geweckt, dass noch andere als die Teil B II. 4 § 2 der AVB genannten

Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Allein der

Umstand, dass man die Klausel – etwa durch eine ausdrückliche Klarstellung, dass der

nachfolgende Katalog abschließend ist – noch klarer hätte fassen könne, reicht für die

Annahme einer Verletzung des Transparenzgebots nicht aus (vgl. Lüttringhaus/Eggen in

RuS 2020, 250, 254).

Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung

des BGH zu den den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklauseln (so aber LG

München I, Urt. v. 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20, Rn. 106; LG Hamburg, Urt. v.

04.11.2020, Az. 412 HKO 91/20, Rn. 42; jeweils zitiert nach juris). Hinsichtlich solcher

Ausschlussklauseln wird durch die Rechtsprechung gefordert, dass dem

Versicherungsnehmer die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit nach den

Umständen möglich, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden

Umfang des Versicherungsschutzes erkennen kann (BGH, Urt. v. 23.06.2004, Az. IV ZR

130/03, Rn. 29 – zitiert nach juris). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht

nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Klausel ihm dies

hinreichend verdeutlicht (BGH, Versäumnisurteil v. 10.04.2019, Az. IV ZR 59/18, Rn. 21 –

zitiert nach juris). Bei der vorliegenden Klausel handelt es sich jedoch nicht um eine (den

zunächst gewährten Versicherungsschutz einschränkende) Ausschlussklausel, vielmehr wird

in Teil B II. 4 §§ 1 und 2 der AVB überhaupt erst der Versicherungsfall als solcher, also der

überhaupt gewährte Versicherungsschutz, definiert, so dass bereits vor diesem Hintergrund

die genannte BGH-Rechtsprechung nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden

kann. Dem Versicherungsnehmer wird durch die Klausel auch ausreichend vor Augen

geführt, welchen Versicherungsschutz er erhält. Es geht vorliegend auch nicht darum, dass

der Versicherungsnehmer erst durch den Abgleich der Auflistung in den AVB mit dem

Gesetzestext den Versicherungsschutz erkennen kann (so aber wohl LG München I, Urt. v.

01.10.2020, Az. 12 O 5895/20, Rn. 121 – zitiert nach juris), denn der gewährte

Versicherungsschutz ergibt sich hier aus den Bedingungen selbst. Insofern würde ein

Abgleich auch gar nichts nützen, da zum Zeitpunkt des Abschlusses des

Versicherungsvertrages zukünftige Erreger noch gar nicht im Gesetz enthalten sein können.

Richtig ist allein, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die risikobegrenzende

Definition der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in Teil B II. 4 § 2 der

AVB erkennen können muss. Dies ist jedoch – wie ausgeführt – der Fall, da dieser aufgrund

des Wortlauts der Bedingung gerade nicht berechtigt davon ausgehen kann, dass dieser

Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend ist und sich mit dem IfSG deckt.

Vielmehr muss er – wie ausgeführt – mit einer Risikobegrenzung aufgrund der gewählten

Formulierungen gerade rechnen.

  1. bb) Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die in Teil B II. 4 § 2 der AVB

aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger führt auch nicht zu einer

Vertragszweckgefährdung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet eine Begrenzung des

Leistungsumfangs für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung in diesem

Sinne, sondern bleibt grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des

Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim

Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt. Eine Gefährdung des Vertragszwecks

im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den

Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und damit in Bezug auf das zu versichernde

Risiko zwecklos macht (BGH, Beschluss vom 11.02.2009, Az. IV ZR 28/08; Beschluss vom

06.07.2011, Az. IV ZR 217/09 – jeweils zitiert nach juris).

Nach dieser Maßgabe ist hier keine Vertragszweckgefährdung gegeben. Die

Einschränkung des Versicherungsschutzes auf die in Teil B II. 4 § 2 der AVB ausdrücklich

genannten Krankheiten und Krankheitserreger begrenzt lediglich den Leistungsumfang,

ohne dabei den Versicherungsschutz auszuhöhlen (a.A. Werber, VersR 2020, 661, 666). Es

bleibt im Hinblick auf den umfangreichen Katalog versicherter Krankheiten und

Krankheitserreger vielmehr ein weiter Anwendungsbereich der

Betriebsschließungsversicherung bestehen. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu

befürchten, dass bei entsprechender Weiterentwicklung des Infektionsschutzgesetzes eine

Situation entstehen könnte, in der keine der im aktuellen Infektionsschutzgesetz

genannten Krankheiten und Krankheitserreger mehr in den Versicherungsbedingungen

genannt ist. In diesem Fall würde der Versicherungsschutz tatsächlich leerlaufen. Jedoch ist

dieser Einwand rein theoretischer Natur und aufgrund der Vielzahl an genannten

Krankheiten und Krankheitserreger höchst unwahrscheinlich. Die Gesetzgebungsgeschichte

des IfSG zeigt, dass die Liste der Krankheiten und Krankheitserreger ganz überwiegend

erweitert und nicht etwa beschränkt wurde.

37cc) Im Übrigen liegt in der abschließenden Aufzählung der vom Versicherungsschutz

umfassten Krankheiten und Krankheitserreger auch keine unangemessene Benachteiligung

des Versicherungsnehmers. Die Versicherer sind grundsätzlich in ihrer Entscheidung frei, in

welchem Umfang sie im Hinblick auf Gefahren aus dem Infektionsschutzgesetz

Versicherungsschutz bieten. Insbesondere ist eine Einschränkung nach einem „Alles-odernichts-

Prinzip“ – also entweder Versicherungsschutz für alle im Infektionsschutzgesetz

genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger oder überhaupt keine

Deckung – rechtlich nicht erforderlich (vgl. Fortmann in VersR 2020, 1073, 1076 f.). Die

abschließende Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und

Krankheitserreger in Teil B II. 4 § 2 der AVB erscheint vielmehr interessengerecht. Die

darin enthaltene, unmissverständlich formulierte enumerative Aufzählung der vom

Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger

ermöglicht es dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer gleichermaßen, den Umfang

des Versicherungsschutzes nachzuvollziehen. Die Regelung trägt auch dem berechtigten

Interesse des Versicherers Rechnung, das versicherte Risiko nicht zuletzt in Bezug auf die

Prämienhöhe seriös einschätzen zu können. Dies dient auch dem Schutz der

Versichertengemeinschaft und ist für einen durchschnittlichen verständigen

Versicherungsnehmer auch erkennbar (vgl. LG Bochum, Urt. v. 15.07.2020, Az. 4 O

215/20; LG Stuttgart, Urt. v. 30.09.2020, Az. 16 O 305/20 – jeweils zitiert nach juris).

II.

Mangels Erfolgs in der Hauptsache sind auch die geltend gemachten Nebenforderungen

(Zinsen, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen

Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.

Zitiervorschlag:

LG Hamburg Urt. v. 10.12.2020 – 332 O 238/20, BeckRS 2020, 34910

Neu: Jetzt auch Haftung für unehrlich, unredlich und unprofessionell!

Der Versicherungsmakler ist seit dem 23.02.2018 auch nach § 1a VVG verpflichtet, bei der Beratung, der Vorbereitung, dem Abschluss sowie der Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen stets ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse des Versicherungsnehmers zu handeln. Den Versicherungsmakler treffen nach §§ 59 Absätze 1 und 3, 60 und 61 VVG entsprechend ausgestaltete Beratungs- und Dokumentationspflichten. Verstößt der Versicherungsmakler gegen die Beratungs- und Dokumentationspflichten, ist er seinem Kunden auch aus § 280 BGB, § 63 VVG und neuerdings nach § 1a VVG zum Ersatz eines dadurch entstandenen Schadens verpflichtet. Die endgültige Verjährung für diese Ansprüche beträgt 10 Jahre, oder 3 Jahre nach Kenntnis.

Für den Versicherungsmakler, der seinen Kundenbestand verkaufen und übertragen will, stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob und in welchem Umfang er nach der Veräußerung der Gesellschaftsanteile einschließlich des Gesamtbestandes („share deal“) oder nach der Veräußerung eines (Teil-) Bestandes („asset deal“) einer Nach-Haftung ausgesetzt ist und ob eine vielleicht sogar nicht versicherte Haftung für (Beratungs-) Fehler des Veräußerers beim Käufer entsteht?

Grundsätzlich sind Haftungsansprüche des Kunden gegen den Versicherungsmakler aus dem laufenden Betrieb durch die seit Mai 2007 vom Versicherungsmakler verpflichtend zu unterhaltenden Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (VSH) gedeckt. Wird die VSH beendet, weil der Bestand verkauft und das Gewerbe insoweit nicht mehr ausgeübt wird, beginnt die als „Nachhaftung“ bezeichnete Nachmeldefrist. Die Nachhaftung stellt sicher, dass auch Ansprüche des Versicherungsnehmers aus Pflichtverletzungen des Versicherungsmaklers gedeckt sind, die erst nach dem Versicherungsablauf bekannt geworden sind und daraufhin geltend gemacht werden.

Je nachdem, wie der Bestand von dem verkaufenden Versicherungsmakler auf den Käufer übergehen soll, können Risiken insbesondere für den Käufer bestehen, die von der Nachhaftung eventuell nicht erfasst sind.

1) Share deal

Ist der Versicherungsmakler als juristische Person organisiert, können einfach die Anteile der Gesellschaft auf den Käufer übertragen werden. Mit den Anteilen gehen dann die Inhalte und Werte der Firma, also auch der Bestand auf den Käufer über. Zeitgleich übernimmt der Käufer die volle Haftung für alle Verbindlichkeiten aus der Vortätigkeit des Verkäufers. Die VSH der Gesellschaft tritt zwar nach wie vor für Pflichtverletzungen aus der Vortätigkeit ein. Allerdings richtet sich der jeweilige Versicherungsschutz nach dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung. Daher besteht für den Käufer das Risiko, dass die Versicherungssumme zum damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend hoch war oder die Versicherung im Fall einer wissentlichen oder vorsätzlichen Pflichtverletzung nicht eintritt. Soweit der Käufer eine neue VSH für die übernommene Gesellschaft abschließt, ist diese für Schäden aus Pflichtverletzungen vor der Übertragung der Anteile grundsätzlich nicht eintrittspflichtig. In Einzelfällen könnten VSH-Versicherer bereit sein, ihre Deckung, zumindest hinsichtlich des Risikos einer unzureichenden Versicherungssumme, bei entsprechender Erhöhung der Versicherungsprämie, zu erweitern oder eine Rückdeckung abzuschließen.

Wenn also Kunden nunmehr Schadenersatzansprüche geltend machen, weil der Vormakler nicht ehrlich, redlich oder professionell beraten hatte, so wäre ab dem 23.02.2018 dieser Schadenersatzanspruch auch noch zusätzlich vom Käufer und der VSH-Versicherung der Gesellschaft zu tragen, sodass sich das Risiko der Überschreitung der Versicherungssumme und Bewertung auch anderer Deckungslücken erhöht. Dies gilt es neuerdings bei der Vertragsgestaltung eines Unternehmenskaufs zu berücksichtigen!

2) Asset deal

Überträgt der Versicherungsmakler den gesamten Kunden-Bestand oder einen Teil des Bestandes durch einen asset deal, wird eine vollständige Haftungsübernahme des Käufers für Fehler des Vormaklers vermieden, da der Käufer den Vertrag mit dem Kunden lediglich fortsetzt. Für die Durchführung eines asset deals ist eine gute Vertragsdokumentation des veräußernden Versicherungsmaklers auch hinsichtlich bereits älterer Kunden-Verträge erforderlich. Denn es müssen für eine künftige Bearbeitung des Bestandes durch den Käufer die Rechte des Versicherungsmaklers aus den Verträgen, die den zu veräußernden Kunden-Bestand betreffen, einschließlich der den Kunden-Bestand selbst bildenden Einzelverträge mit den Kunden und dessen Vollmachten, nach §§ 398, 413 BGB auf den Käufer übertragen werden. Die Veräußerung des Kunden-Bestandes durch einen asset deal bedarf einer sehr engen rechtlichen Begleitung damit weder beim Kunden noch bei Dritten der Eindruck entsteht, der Kläger übernehme die gesamte Rechtsposition des Vormaklers oder erkläre  ungewollt „konkludent“ eine Haftungsübernahme für dessen Verhalten!

Darüber hinaus ist zur Einhaltung der Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des anzupassenden Art. 20 Absatz 2 Datenschutzkodex des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft „Code of Conduct“ seit dem 25.05.2018 erforderlich, dass der veräußernde Versicherungsmakler rechtzeitig vor der Bestandskundenübertragung eine ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Kunden zur Datenweitergabe an den Käufer einholt. Soll ein Bestand übertragen werden, dürfte es in der Praxis für den Versicherungsmakler schwierig sein, von unzählig vielen Kunden kurzfristig einen hohen Rücklauf an Einwilligungserklärungen zu erhalten. Eine Einwilligung zur Weitergabe der Daten zum Zwecke einer möglichen Bestandsübertragung sollte daher von den Kunden schon frühzeitig, z. B. mit Vertragsschluss des Maklervertrages oder bei laufenden Verträgen mit der zu unterzeichnenden Kenntnisnahme der Datenschutzerklärung eingeholt werden!

Auch wenn die Haftung für Pflichtverletzungen des (Vor-) Versicherungsmaklers aus der Zeit vor der Übertragung des Kunden-Bestandes beim Vormakler bzw. dessen VSH verbleibt, wird in der Praxis oft irrtümlich der Käufer in Anspruch genommen. Kommt es zu einem Rechtsstreit, ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht gelegentlich einen Schuldbeitritt, eine Schuldübernahme oder eine Rechtscheinhaftung annimmt und dem Kunden gegen den Käufer einen Zahlungsanspruch zuspricht. Diesen Schaden kann der Käufer dann auch nicht von seiner VSH ersetzt bekommen, da diese frühere Pflichtverletzungen des (Vor-) Versicherungsmaklers nicht umfasst. Daher bleiben dem Käufer in diesen Fällen nur die Streitverkündung im Prozess sowie der anschließende Regress bei dem hoffentlich solventen (Vor-) Versicherungsmakler und bei dessen VSH.

Zur Abwendung der Folgen des vorbezeichneten Risikos einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme könnte der Käufer mit dem Versicherungsmakler vereinbaren, dass ein Teil des Kaufpreises auf einem Treuhandkonto als Sicherheit zur Begleichung etwaiger titulierter Ansprüche der Kunden zurückgehalten wird. Alternativ könnte es für den Käufer sinnvoll sein, seinen VSH-Vertrag um eine Subsidiär-Deckung hinsichtlich des erworbenen Bestandes zu erweitern. Der Vorteil einer Versicherungslösung wären die feststehenden Kosten, die bereits bei Vertragsschluss bei der Berechnung des Kaufpreises berücksichtigt werden könnten.

Fazit

Ungeachtet, ob der gesamte Bestand des Versicherungsmaklers im Wege des share deals oder ein (Teil-) Bestand im Wege des asset deals auf den Käufer übertragen werden soll, stellt sich regelmäßig die Frage der Werthaltigkeit der Verträge. Meist lässt sich die Höhe der abzutretenden Courtageansprüche gegen die Versicherungen gut berechnen oder bei umfangreichen Bestandsübertragungen auch das zu erwartende Neugeschäft gut schätzen.

Problematisch gestaltet sich oft die Berechnung von Abschlägen wegen vom Käufer übernommener oder diesem aufgebürdeter bekannter oder unbekannter Haftungsrisiken. Ist der veräußernde Versicherungsmakler bzw. der veräußernde Gesellschafter nicht bereit oder in der Lage, den Käufer bezüglich einer möglichen Inanspruchnahme durch den Kunden unter dem Maklervertrag wegen in der Vergangenheit begangener nicht hinreichend versicherter Pflichtverletzungen freizuhalten oder Sicherheiten zu stellen, wird sich der Käufer das zu übernehmende Risiko durch einen Preisabschlag zur Abdeckung des maximalen Risikos, „abkaufen“ lassen. Zur Einschätzung des Risikos wird sich der Käufer regelmäßig Abschriften des aktuellen VSH-Vertrages, aller Vorverträge sowie den Versicherungsverlauf jedenfalls für die letzten 5-10 Jahre vorlegen lassen. Bei divergierenden Risikoeinschätzungen und Preisvorstellungen sollten Sie in Betracht ziehen, zur Unterstützung der Vertragsverhandlungen ein Wertgutachten anfertigen zu lassen.

Achten Sie daher auf mögliche „unsichtbare“ Haftungsrisiken, die der Verkäufer gesetzt haben könnte, deren Realisierung aber „irgendwann“ noch aussteht. Sie wollen sich doch nicht nur Haftung einkaufen?!