Abgewiesen
Landgericht Stuttgart
Urteil vom 29.10.2020
Aktenzeichen: 35 O 32/20

Stichwörter: abschließende Aufzählung, keine Intransparenz

Urteil

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen das beklagte Versicherungsunternehmen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.

Für das in Stuttgart betriebene Restaurant hat die Klägerin bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten sowie die Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV 08) (Anlage K3) zugrunde. Die Bedingungen haben auszugsweise den folgenden Inhalt:

㤠2 Versicherte Gefahren

  1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; …
  1. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

  1. a) Krankheiten:

  1. b) Krankheitserreger:

  • 4 Ausschlüsse

  1. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haften nicht bei Prionenerkrankungen und dem Verdacht hierauf.“

Das Corona-Virus ist in der in § 2 Nr. 2 geregelten Aufzählung nicht enthalten.

Im Februar 2020 teilte die Beklagte dem klägerseits beauftragten Versicherungsmakler mit, dass eine eventuell erfolgende Betriebsschließung aufgrund des Corona Virus nicht von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung erfasst sei.

Durch Rechtsverordnung des Landes Baden-Württemberg wurden zum Schutz vor dem Corona-Virus im März 2020 die Öffnungszeiten von Restaurants zunächst von 6.00-18.00 Uhr beschränkt ehe dann am 20.03.2020 ein vollständige Schließung angeordnet wurde. Ein Außerhausverkauf von Speisen und Getränken blieb zulässig. Das Corona-Virus war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Infektionsschutzgesetz enthalten.

Die Klägerin trägt vor,

die Betriebsschließung sei vom Versicherungsvertrag umfasst. Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger sei insbesondere mit Blick auf die Verwendung des Wortes „namentlich“ und den Verweis auf das Infektionsschutzgesetz nicht als abschließend anzusehen. Ein Außerhausverkauf sei aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfolgt. Nachdem die Beklagte im Februar eine Einstandspflicht abgelehnt habe, sei über einen Makler eine zusätzliche Betriebsschließungsversicherung bei der S. abgeschlossen worden. Am 10.03.2020 habe die S. der Klägerin vorläufigen Deckungsschutz gewährt, wobei eine 14-tägige Karenzzeit vereinbart sei. Nunmehr lehne die S. eine Eintrittspflicht für den Monat April 2020 aber ab. Im Zeitraum vom 18.03.2020 bis zum 01.04.2020 sei ihr ein Gewinn in Höhe von 67.644,92 € entgangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 67.644,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

das Corona-Virus gehöre nicht zu den versicherten Gefahren. Der in den Versicherungsbedingungen enthaltene Katalog der Krankheitserreger sei abschließend. Dies folge bereits aus dem Wortlaut. Auch gebe es ein erkennbar berechtigtes Interesse des Versicherers, die versicherten Gefahren abschließend zu definieren, da ansonsten keine Preiskalkulation möglich sei. Auch sei keine Betriebsschließung im Sinne der Versicherungsbedingungen erfolgt, da ein Außerhausverkauf möglich geblieben sei. Ferner sei nur eine Betriebsschließung versichert, die darauf beruhe, dass die Gefahren aus dem Betrieb verursacht worden seien. Jedenfalls sei die Beklagte leistungsfrei, da die Klägerin eine Mehrfachversicherung nicht angezeigt habe.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2020 (Bl. 91 ff. d.A.) verwiesen. Der Schriftsatz der Klägerin vom 13.10.2020 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

 Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, da die durch Rechtsverordnung zur Eindämmung des Corona-Virus angeordnete Betriebsschließung nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren zählt.

  1. Die in den unstreitig einbezogenen Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend, so dass keine Erstreckung auf das Corona-Virus erfolgen kann.
  1. a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedinungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar ist (BGH v. 10.04.2019 – IV ZR 59/18 Rn. 17).
  1. b) Die vorliegenden Versicherungsbedingungen verweisen hinsichtlich des Versicherungsumfangs in § 2 Nr. 1 auf meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger i.S.v. Nr. 2. Dort sind die Krankheiten und Krankheitserreger im Einzelnen aufgezählt. Durch diese Aufzählung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass eben nur bei Betriebsschließungen aufgrund der genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
  1. c) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird. Zwar macht die Klägerin zutreffend geltend, dass das Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Synonym für die Wörter „hauptsächlich“, „vor allem“ oder „insbesondere“ verwendet wird. Durch die konkrete Satzstellung kann man dem Wort aber diesen Sinn nicht geben, da dann der gesamte Satz keinen Sinn ergeben würde. Dies wird deutlich, wenn man an Stelle des Worts „namentlich“ ein oben genanntes Synonym einsetzt. Daher war es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass das Wort „namentlich“ nicht als „insbesondere“ sondern als „mit Namen bezeichnet“ zu verstehen ist.
  1. d) Auch die Nennung von §§ 6 und 7 IfSG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis sondern nur den Hinweis, dass die im folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Eine dynamische Verweisung ist damit nicht verbunden, da es in diesem Falle einer Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf die Normen, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Daher kann ein Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen, dass sämtliche von § 6 und § 7 IfSG erfasste Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von § 6 und § 7 IfSG umfassten Bereich verweist, nachdem die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die noch auftreten konnten (so auch LG Ellwangen v. 17.09.2020 – 3 O 187/20; Schreier, VersR 2020, 513, 515; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 253; vgl. auch OLG Hamm v. 15.07.2020 – 20 W 21/20; a.A. allerdings LG München I v. 01.10.2020 – 12 O 5895/20; Rolfes, VersR 2020, 1021, Armbrüster, VersR 2020, 577, 583).
  1. e) Schließlich kann der Versicherungsnehmer aus dem Ausschluss von Prionenerkrankungen nicht entnehmen, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Zwar weist die Klägerin insoweit zutreffend darauf hin, dass ein solcher Ausschluss für eine nicht abschließende Aufzählung spräche, wenn der Ausschluss Krankheiten und Krankheiterreger umfassen würde, die in der Aufzählung nicht enthalten sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aber im vorliegenden Fall nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder mehrere in der Aufzählung genannten Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen auch keine Schlüsse ziehen.
  1. f) Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB (Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 253; a.A. allerdings Fortmann, VersR 2020, 1073, 1075).
  1. Die Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken (Fortmann, VersR 2020, 1073, 1075 f.; vgl. auch Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 250, 253). Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte. Auch ist die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar mag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die medizinischen Fachbegriffe nicht kennen. Die Bedeutung kann aber durch die Nutzung eines medizinischen Wörterbuches erschlossen werden. Dies ist ausreichend. Ansonsten wären alle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 1 ZPO.