von Rechtsanwalt Boris Glameyer, Fachanwalt für Bank- und Kapitalanlagerecht

Freie Anlageberater und Anlagevermittler sehen sich auf dem Markt zunehmend komplexeren Produkten gegenüber hinsichtlich derer sie ihre Kunden beraten bzw. die sie ihren Kunden vermitteln. Mit der wachsenden Komplexität der Produkte sind die von der Rechtsprechung verlangten Prüfungsanforderungen im Hinblick auf die Frage, ob ein zu vermittelndes Anlageprodukt plausibel ist, ebenfalls stetig gewachsen.

Enttäuschte Anleger, deren Produkte sich aus verschiedensten Gründen wirtschaftlich nicht so entwickelt haben, wie sie es erwartet haben oder wie es ihnen versprochen worden ist, suchen oftmals anwaltlichen Rat, um prüfen zu lassen, ob die schlechte wirtschaftliche Entwicklung ihres Anlageproduktes normal und zu akzeptieren ist, oder ob möglicherweise entweder der Produktgeber aufgrund falscher Informationen haften könnte oder möglicherweise auch der Anlageberater der das Produkt vermittelt hat.

Dabei treffen die geschädigten Anleger mittlerweile zunehmend auf Anwaltskanzleien die sich auf die Beratung und Vertretung geschädigter Kapitalanleger spezialisiert haben. Auch diese Anwaltskanzleien sind Wirtschaftsunternehmen und denken betriebswirtschaftlich. Stellt der um Rat gefragte Anwalt fest, dass der Anlageberater möglicherweise Fehler im Rahmen der Anlageberatung gemacht hat, weil etwa das Produkt nicht zum Anleger gepasst hat etc. so folgt hier oft ein für den Anwalt arbeitsintensiver und damit wenig wirtschaftlicher Prozess in einem Einzelfall und für den Kunden ein Prozess mit völlig ungewissem Ausgang und hohem Prozess- und Kostenrisiko. Für beide Seiten, sowohl den Anwalt als auch den geschädigten Anleger ein oft unbefriedigender Lösungsansatz.

Wird hingegen der Ansatz der fehlenden Plausibilität als Produktes gewählt, ist dies sowohl für den geschädigten Anleger als auch für den ihn vertretenen Anwalt ein oft wesentlich besserer Ansatzpunkt. Der geschädigte Anleger muss beweisen, dass das ihm vermittelte Produkt nicht plausibel gewesen ist, vgl. BGH III ZR 139/15, Urteil vom 30.03.2017. Er muss darlegen und beweisen, dass der Anlageberater bei ordnungsgemäßer Prüfung die fehlende Plausibilität hätte erkennen können. Führt die Überprüfung zu dem Ergebnis, dass der Anlageberater die fehlende Plausibilität damals erkennen konnte, führt dies ursächlich zum Anlegerschaden, vgl. BGH III ZR 55/12, Urteil vom 15.11.2012. Ob der Anlageberater eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt hat und falls ja wie, ist dann irrelevant. Die Rechtsprechung kommt dem Anleger zusätzlich zu Hilfe, indem sie unterstellt, dass der geschädigte Anleger, wäre er von seinem Anlageberater ordnungsgemäß über die fehlende Plausibilität des Anlageproduktes aufgeklärt worden, dieses nicht gezeichnet hätte und damit der Schaden nicht entstanden wäre. Infolgedessen steht dem geschädigten Anleger in der Regel ein Schadensersatzanspruch gegen den Anlageberater zu.

Für die Anwaltskanzlei des geschädigten Anlegers wird deren Tätigkeit wirtschaftlich sehr lukrativ, wenn sie es schafft, möglichst viele geschädigte Anleger eines nicht plausiblen Anlageproduktes zu vertreten, dessen fehlende Plausibilität die Anlageberater hätten erkennen können. Dann kann sie mit relativ geringem Aufwand extrem viele gleich gelagerte Prozesse gegen die jeweiligen Anlageberater führen, da der Vorwurf gegen den Anlageberater und damit der Prozessstoff in allen Verfahren identisch ist. Dies ist für viele spezialisierte Anwaltskanzleien wirtschaftlich sehr lukrativ.

Deshalb sind Anwaltskanzleien vermehrt bestrebt, Anlageberatungsfehler vor allem im Rahmen der „massentauglichen“ Haftung aufgrund fehlerhafter oder unterlassene Plausibilitätsprüfung der Anlageberater zu suchen und auch zu finden. Für die Anlageberater ist dies sehr gefährlich, da sie ein Produkt in der Regel nicht nur einem Kunden, sondern einer Vielzahl von Kunden vermittelt haben. Haften sie aber aufgrund einer fehlerhaften oder unterlassenen Plausibilitätsprüfung für die fehlerhafte Vermittlung eines bestimmten Produktes, dann dürften sie in der Regel jedem ihrer Kunden, dem sie dieses Produkt vermittelt haben, auf Schadenersatz haften. Dies macht den Haftungsansatz der fehlerhaften Plausibilitätsprüfung für Anlageberater und Anlagevermittler so gefährlich.

Welch ungeheure Gefahr dies für die Anlageberater nach sich zieht, lässt sich gut am bekannten Beispiel der P&R Container veranschaulichen. Nachdem die Gesellschaften der P&R Gruppe im Frühjahr 2018 Insolvenz anmelden mussten, gab es 54.000 geschädigte Anleger. Viele von ihnen haben die Containerprodukte von Banken und Anlageberatern vermittelt bekommen die verpflichtet gewesen sind, die Produkte vor deren Vermittlung auf Plausibilität zu überprüfen. Offensichtlich haben weder die Banken noch die Anlageberater die Produkte der P&R Gruppe vor deren Vermittlung auf Plausibilität überprüft. Denn die Produkte sind erkennbar nicht plausibel gewesen.

Allein bei sorgfältigem Durchlesen des auf einer DIN A4 Seite befindlichen „Kauf- & Verwaltungsvertrag“ genannten Zeichnungsscheins der P&R Gruppe hätte jeder Anlageberater erkennen können, dass der Anleger entgegen den vollmundigen Versprechungen und einem der Hauptverkaufsargumente in allen Produktunterlagen der P&R Gruppe natürlich kein Eigentum an irgendeinem konkreten Container erwirbt. Aus dem Zeichnungsschein ergab sich, dass der Anleger eine bestimmte Anzahl eines bestimmten Containertyps erwerben sollte, ohne dass konkrete einzelne Container bestimmbar gewesen wären. Im Hinblick auf die Eigentumsübertragung hat der „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ darauf verwiesen, dass die Übergabe des/der Containers (welcher genau?) durch den auf der gleichen Seite abgedruckten Verwaltungsvertrag ersetzt werden solle. In diesem Verwaltungsvertrag war dann geregelt, dass der Anleger die P&R mit der Verwaltung des/der im vorstehenden „Kauf- und Verwaltungsvertrag“ genannten Containers beauftragt. Mehr nicht. Damit ist für jeden Anlageberater bei sorgfältigem Durchlesen der auf einer DIN A4 Seite befindlichen Verträge unschwer erkennbar gewesen, dass kein Anleger Eigentum an einem konkreten Container erwerben konnte, denn – und dies hat jeder Anlageberater zu wissen – Eigentum kann man nur in einem konkret bestimmten Container erwerben.

Deshalb hat das OLG Düsseldorf in einem von der Anwaltskanzlei Glameyer für einen geschädigten Anleger wegen fehlerhafter Anlageberatung gegen die vermittelnde Bank geführten Verfahren folgerichtig festgestellt, dass die vermittelnde Bank dem geschädigten Anleger der P&R Gruppe vollumfänglich zum Ersatz des entstandenen Schadens auch deshalb verpflichtet ist, weil sie es unterlassen hat, das von ihr vermittelte Produkt auf Plausibilität zu prüfen, zumindest unstreitig den Kläger nicht darauf hingewiesen hat, dass das Produkt im Hinblick auf das versprochene Eigentum an den Containern nicht plausibel gewesen ist, OLG Düsseldorf I-6 U 36/21, Urteil vom 03.02.2022. Das Urteil ist rechtskräftig.

Damit steht aber auch dem Grunde nach fest, dass jede einem Anleger diese Produkte der P&R Gruppe vermittelnde Bank sowie auch jeder diese Produkte vermittelnde Anlageberater seinen Kunden wegen der von ihm unterlassenen oder fehlerhaft durchgeführten Plausibilitätsprüfung grundsätzlich auf Schadenersatz in Höhe des vollständigen investierten Kapitals haftet, außer sie haben den entsprechenden Kunden zuvor auf diesen Umstand der unterlassenen Plausibilitätsprüfung hingewiesen. Dies dürfte jedoch kaum der Fall gewesen sein, da solchermaßen aufgeklärte Kunden das Produkt nicht mehr gezeichnet hätten. An diesem Beispiel lässt sich sehr schön die ungeheure Gefahr einer unterlassenen oder fehlerhaft durchgeführten Plausibilitätsprüfung für Anlageberater verdeutlichen.

Deshalb sollte jeder Anlageberater die ihm obliegende Plausibilitätsprüfung mit der gebotenen Sorgfalt durchführen und dokumentieren. Sollte er sich dazu nicht in der Lage sehen und unterlässt eine entsprechende Plausibilitätsprüfung, so hat er den interessierten Anleger darauf hinzuweisen, BGH II ZR 17/18, Urteil vom 05.03.2009.

Jeder Anlageberater ist jedenfalls gut beraten, seinen Anlageberatungsprozess grundlegend zu hinterfragen, auf mögliche Haftungsrisiken hin zu überprüfen und entsprechend anzupassen. Gegebenenfalls sollte dafür eine spezialisierte Anwaltskanzlei zu Rate gezogen werden, um mögliche zukünftige Schäden insbesondere „Massenschäden“ aufgrund einer Vielzahl von Kunden vermittelter nicht plausibler Produkte zu vermeiden.