Zugesprochen
Landgericht Mannheim
Urteil vom 29.04.2020
Aktenzeichen: 11 O 66/20
Stichwörter: Auslegung von Bedingungen, dynamische Verweisung
Urteil
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin begehrt von der Verfügungsbeklagten Leistungen aus einer Betriebsunterbrechungsversicherung im Wege der einstweiligen Verfügung.
Sie betreibt unter anderem folgende drei Hotels mit Restauration
– … Hotel, B.
– … Hotel, B.
– … Hotel, H.
Zwischen den Parteien bestehen für diese Hotels jeweils Betriebsunterbrechungsversicherungsverträge (Anlagen ASt 1-3). Die Haftzeit bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen beträgt bei allen Verträgen 30 Tage. Es ist jeweils ein Tageshöchstsatz vereinbart.
Die für diese Verträge geltenden … Bedingungen 2010 (ASt 4) für die Betriebsunterbrechungs- und Mehrkostenversicherung von Hotels und Pensionen lauten auszugsweise:
- 5
- Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
- a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
(…)
- Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.
(…)
- 7
- Versicherungswert sind
- a) in der Betriebsunterbrechungsversicherung der Betriebsgewinn und die Kosten, die der Versicherungsnehmer ohne Unterbrechung des Betriebes in dem Bewertungszeitraum erwirtschaftet hätte;
- b) (…)
- Der Bewertungszeitraum umfasst zwölf Monate. Soweit eine Haftzeit von mehr als 12 Monaten, längstens jedoch 24 Monaten vereinbart ist, beträgt der Bewertungszeitraum 24 Monate. Er endet mit dem Zeitpunkt, von dem an ein Unterbrechungsschaden und versicherte Mehrkosten nicht mehr entstehen, spätestens jedoch mit dem Ablauf der Haftzeit (…).
Aufgrund der epidemischen Ausbreitung des Corona-Virus sind in B. und H. Regelungen getroffen worden, welche unter anderem den Betrieb von Hotels und Gaststätten betreffen. Am 16.03.2020 erließ die Hansestadt H. im Wege der Allgemeinverfügung unter anderem folgende Regelung:
„(…)
- Übernachtungsangebote im Beherbergungsgewerbe dürfen nicht für touristische Zwecke bereitgestellt werden. Der Betriebsinhaber muss vor Abschluss eines Beherbergungsvertrags den Zweck der Beherbergung des Gastes erfragen und diesen zusammen mit den erfassten Personaldaten des Gastes dokumentieren. Soweit Beherbergungsverträge im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Allgemeinverfügung abgeschlossen waren und die Beherbergung begonnen hat, ist die Beherbergung zu beenden, sobald sichergestellt ist, dass der Gast abreisen kann.“
In der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung in B. vom 17.03.2020 ist unter anderem folgendes geregelt:
- 3 Gaststätten und Hotels (…)
(4) Hotels und andere Beherbergungsbetriebe dürfen keine touristischen Übernachtungen anbieten.
Am 17.03.2020 wurde der Verfügungsbeklagten seitens der Verfügungsklägerin in den drei streitgegenständlichen Verträgen jeweils der Eintritt des Versicherungsfalls gemeldet.
Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe ihre Betriebe schließen müssen. Einer Betriebsschließung stehe nicht entgegen, dass theoretisch die Möglichkeit bestünde, nicht touristische Übernachtungen anzubieten, da diese derzeit ebenfalls nicht beziehungsweise in einem verschwindend geringen Umfang stattfänden und ohnehin einen nur kleinen Prozentsatz aller Übernachtungen ausmachten. Ebenso wenig stehe die theoretische Möglichkeit entgegen, dass die Hotelgastronomie Außer-Haus-Lieferungen anbieten könnte. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Personalstruktur und der Ausrichtung einer Hotelgastronomie wirtschaftlich unsinnig. Bei der Berechnung des entgangenen Gewinns sei auf die Vergleichsmonate des Vorjahres abzustellen, für das erst im September 2019 eröffnete …Hotel auf die dem März ähnlichen Umsätze des Monats November. Die Betriebsgewinne für den Monat März 2019 beliefen sich beim …Hotel auf …€ und beim …Hotel auf … €. Beim …Hotel belaufe sich der Betriebsgewinn für November 2019 auf …€. Bezüglich der Kosten, welche durch die Betriebsschließung nicht hätten erwirtschaftet werden können, seien die Personalkosten und die Miete für den Durchschnitt aus den Monaten März und April 2020 sowie Aufwendungen zum Beispiel für Strom, Wasser und Housekeeping anzusetzen (Darstellung in der Anlage ASt 11). Personalkosten entstünden in der vorgebrachten Höhe, weil nicht von heute auf morgen sämtliche Personalkosten durch das Kurzarbeitergeld aufgefangen würden. Zunächst sei der Resturlaub zu nehmen, Überstunden abzubummeln und ähnliches. Die Antragstellerin habe deshalb auch Personalaufwendungen zu tätigen für Mitarbeiter, die gegenwärtig nicht im Hotel arbeiten. Die Versicherungsleistung aus Betriebsgewinn und nicht erwirtschafteten Kosten betrage insgesamt …€.
Sie vertritt die Ansicht, es bestehe ein Verfügungsgrund für die Leistungsverfügung. Sie befinde sich in einer existenziellen Notlage, die die erstrebte Zahlung so dringlich mache, dass sie nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache warten könne. Die Versicherungsleistung würde ihren Sinn verlieren, wenn sie gezwungen würde, ein Hauptsacheverfahren zu durchlaufen und dessen Ausgang abzuwarten. Aufgrund dieser Sondersituation könne das Argument, dass bei einer Kapitalgesellschaft aufgrund des Vorteils der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen die Leistungsverfügung kein Mittel sein könne, die wirtschaftlichen Risiken der Durchsetzung einer Forderung abzumildern, hier nicht greifen.
Sie habe sich an ihre Hausbanken und die …Berlin gewandt und dort entsprechende Kredite und Zuschüsse, die für einen Betrieb ihrer Größenordnung in Betracht kommen, beantragt. Ihr sei noch nichts gewährt worden. Rücklagen von …€ habe sie aufgebraucht. Die Verfügungsklägerin sei auf die gesamte Versicherungssumme dringend angewiesen. Die Schließung der Hotels habe die ohnehin aufgrund der Corona-Krise schon durch zahlreiche Stornierungen angespannte Lage weiter verschärft.
Sie beantragt,
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an die Antragstellerin …€ nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung dieser Antragsschrift zu zahlen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die vorliegende Ausgangskonstellation sei nicht ungewöhnlich, sondern übliche forensische Praxis sowohl in der privaten als auch in der gewerblichen Sachversicherung. Auch bei erheblichen Sturmschäden oder Brandschäden trete eine Betriebsunterbrechung ein, welche bis zu deren Beseitigung andauere. Die Verfügungsklägerin habe zudem nicht gerade die Betriebsschließungsversicherung im Fokus gehabt, sondern diese nur als einen Baustein im Rahmen einer Sachversicherung abdecken lassen.
Das allgemein gehaltene Vorbringen zur Existenzgefährdung sei zu unsubstantiiert, da keine Liquiditätsberechnung, Bilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen oder betriebswirtschaftliche Auswertungen für 2020 vorgelegt werden. Die Glaubhaftmachung sei unzureichend, die Excel-Tabelle für die Kosten sei nicht ausreichend, die Höhe der einzelnen Positionen sei nicht plausibel, zudem würden keine Angaben zu staatlichen Hilfen oder der Inanspruchnahme einer Zwischenfinanzierung oder einer bestehenden Kreditlinie gemacht. Es sei allein der Zeitraum von 30 Tagen zwischen dem 16.03.2020 und dem 16.04.2020 maßgeblich. Dass allein diese 30 Tage eine Insolvenz zur Folge gehabt hätten, sei aber nicht vorgetragen, die Argumentation mit der aktuellen Lage könne hierfür nicht ausschlaggebend sein.
Es bestehe auch kein Verfügungsanspruch. Der Krankheitserreger SARS Corona-Virus sei als Krankheitserreger nicht mitversichert. Es handele sich um eine lediglich temporär meldepflichtige Krankheit, die nicht namentlich genannt werde.
Da eine Betriebsschließung aufgrund eines konkreten Verwaltungsakts nicht vorliege, sei zu bezweifeln, ob überhaupt eine behördliche Anordnung erfolgt sei, wenn nicht ein betriebsspezifischer Verwaltungsakt ergeht, sondern ein allgemeines Kontaktverbot oder allgemeine Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung lediglich in Form einer Allgemeinverfügung oder gar einer Rechtsverordnung. Die Versicherung greife nur, wenn eine Schließung aufgrund einer aus dem konkreten Betrieb stammenden Gefahr erfolge. Zudem sei die Rechtmäßigkeit der Verordnungen zu bezweifeln. Die Hamburger Verordnung vom 16.03.2020 sei bereits aufgrund der Missachtung des Zitiergebots nichtig.
Darüber hinaus liege keine Anordnung einer behördlichen Schließung vor, sondern eine deutliche Beschränkung von Außenkontakten. Bei der Schadenshöhe könne nicht einfach auf den Vergleichsmonat des Vorjahres abgestellt werden. Die Ausbreitung des Corona-Virus habe bereits im Januar und Februar 2020 sowie Anfang März deutliche Auswirkungen gehabt, welche bei der Berechnung des Betriebsgewinns zu berücksichtigen seien und nicht ausgeblendet werden dürften.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Es mangelt an einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Anspruchshöhe des Verfügungsanspruchs (dazu 1.) sowie an einem Verfügungsgrund (dazu 2.)
- Die Kammer ist zwar der Ansicht, dass der Verfügungsklägerin aus den zwischen den Parteien bestehenden Betriebsunterbrechungsversicherungen jeweils ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zusteht. Es liegt eine bedingungsgemäß versicherte faktische Betriebsschließung vor.
Zunächst ist bei der gebotenen Auslegung von § 5 Nr. 2 der …Bedingungen 2010 das SARS-Corona-Virus ein meldepflichtiger Krankheitserreger beziehungsweise die dadurch ausgelösten Erkrankungen meldepflichtige Krankheiten.
Maßstab der Auslegung ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss. Ein individuelles Sonderwissen eines Versicherungsnehmers ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH, VersR 2004, 1039; BGH, VersR 2002, 1503). Verbleibende Zweifel gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.
Bei dieser Auslegung könnte die Formulierung „die in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ entweder eine statische Verweisung auf die bei Vertragsschluss in diesen Normen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger bedeuten oder im Sinne einer dynamischen Verweisung letztlich alle – auch bei nachträglichen Gesetzesänderungen – unter diese Vorschriften fallenden meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger umfassen. Für die letztgenannte Auslegung spricht, dass in diesen Bedingungen gerade keine enumerative Aufzählung von verschiedenen Erregern beziehungsweise Krankheiten erfolgte, sondern die §§ 6, 7 IfSG in Bezug genommen werden. In § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG findet sich jedoch eine generalklauselartige Formulierung, dass auch nicht nach den Nummern 1 bis 4 bereits meldepflichtigen bedrohliche übertragbare Krankheiten zu melden sind. Selbst der verständige Versicherungsnehmer dürfte in einem solchen Fall davon ausgehen, dass alle unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Erreger und Krankheiten Grundlage der Betriebsschließung sein können. Erst recht wird er davon ausgehen, dass spätere Änderungen dieser Normen auf den Vertrag Anwendung finden. Das liegt auch im Interesse des Versicherers, da nicht ausgeschlossen ist, dass bestimmte Krankheiten aus diesem Gesetz zukünftig wieder herausgenommen werden. Gegen eine weite Auslegung spricht zwar das Interesse des Versicherers, die Auflistung nur auf bekannte Erreger und Krankheiten, gegen die bereits Medikamente und Impfstoffe zur Verfügung stehen, erstrecken zu wollen, nicht jedoch auf die bei Vertragsschluss unbekannten Erreger, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten (vgl. Noll, jurisPR-VersR 4/2020 Anm. 1). Dem kann vorliegend indes nicht das entscheidende Gewicht beigemessen werden, da der Versicherer es selbst in der Hand hat, einen enumerativen Katalog an Erregern aufzunehmen. Die Verweisung greift aus Sicht der Kammer auch in dem vorliegenden Fall, obwohl bislang keine Änderung des enumerativen Katalogs der §§ 6, 7 IfSG vorgenommen wurde, sondern diese um das SARS-Corona-Virus im Wege einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 IfSG erweitert wurden. Diese Erweiterung ist speziell durch die Generalklauseln des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG vom Infektionsschutzgesetz vorgesehen und daher von der dynamischen Bezugnahme umfasst.
Ferner hält die Kammer im vorliegenden Fall eine Betriebsschließung gemäß § 5 Nr. 1 der …Bedingungen 2010 der drei streitgegenständlichen Hotels für gegeben. Die gebotene Auslegung der Klausel führt zu dem Ergebnis, dass faktische Betriebsschließungen von ihr umfasst sein sollen. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass der Wortlaut gerade von einer behördlich angeordneten Schließung des Betriebs spricht und durch die in B. und H. mittels Rechtsverordnung und Allgemeinverfügung getroffenen Regelungen lediglich touristische Übernachtungen untersagt wurden, was den weiteren Hotelbetrieb für Geschäftsreisende grundsätzlich gestattet. Unstreitig sind Buchungen von Geschäftsreisen in den Hotels der Verfügungsklägerin derzeit noch möglich. Dennoch stellt sich die aktuelle Situation so dar, dass diese Beschränkung des Hotelbetriebs sich wie eine faktische Schließung auswirkt. Das liegt daran, dass Geschäftsreisen ohnehin nur einen Teil der Übernachtungszahlen ausmachen und dieser Bereich durch die Auswirkungen der Verbreitung des Corona-Virus zusätzlich eingeschränkt ist, weil Arbeitnehmer ins Home-Office geschickt wurden, Messen und Großveranstaltungen abgesagt wurden und zahlreiche Betriebe ebenfalls geschlossen wurden. Die Auswirkungen dieser behördlichen Anordnung haben folglich Auswirkungen wie eine Schließung eines Hotels im konkreten Einzelfall zur Desinfektion oder zur Eindämmung eines Krankheitsausbruchs allein in diesem Hotel. Der Sinn und Zweck der Regelung, Betriebsunterbrechungen durch behördliche Maßnahmen aufgrund des IfSG abzufedern, spricht dafür, derartige faktische Schließungen unter diese Klausel zu subsumieren.
Eine Rechtswidrigkeit der hier streitgegenständlichen, in H. und B. getroffenen Regelungen der Beschränkung des Hotelgewerbes auf touristische Übernachtungen vermag die Kammer nicht zu erkennen, insbesondere keinen Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1, S. 2 GG, weil der Gesetzgeber mit der Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG dem in (dem hier betroffenen) Art. 12 Abs. 1, S. 2 GG angelegten Ausgestaltungs- und Regelungsauftrag nachkommt (vgl. VGH München, NJW 2020, 1240, beck-online, Rn. 18). Zudem ist die Kammer der Auffassung, dass die befristete und auf das Corona-Virus zugeschnittene Regelung in H. im Wege der Allgemeinverfügung getroffen werden durfte, da es sich um eine konkret-generelle, an einen bestimmten Personenkreis, nämlich die Betreiber von Hotels, gerichtete, Regelung handelt (vgl. VGH München, a.a.O., Rn. 7).
Der Anwendung der Klausel steht nicht entgegen, dass die Anordnungen im Zuge einer Epidemie von internationalem Ausmaß getroffen wurden. Zuzugeben ist der Verfügungsbeklagten insoweit zwar, dass die Klausel im Hinblick auf die weiteren aufgelisteten Beispiele wie Tätigkeitsverbote für Mitarbeiter oder Desinfektionsmaßnahmen auf konkrete aus dem versicherten Betrieb resultierende Gefahren zugeschnitten scheint. Allerdings ist insoweit der Wortlaut bei der behördlich angeordneten Betriebsschließung wiederum offen. Es genügt eine behördliche Anordnung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Einschränkungen, dass es sich um einen konkreten Verwaltungsakt im Einzelfall handeln müsste oder dass die Gefahr in jedem Fall im Betrieb selbst ihren Ursprung haben müsse, finden sich im Wortlaut nicht. Daran vermag es auch nichts zu ändern, dass sich die Parteien einen derartigen Fall bei Abschluss der Versicherung nicht vorstellen konnten. Zwar hätte die Versicherung einen solchen Fall – wenn sie ihn bedacht hätte – möglicherweise in die Prämie eingepreist oder einen Risikoausschluss vereinbart. Allein, dass keine der Vertragsparteien mit derartigen Umständen rechnet, ist aber kein Grund die Klausel so auszulegen, dass sie zu Lasten des Versicherungsnehmers geht.
Bei der Berechnung der Höhe der Versicherungsleistung hat die Kammer aber Zweifel, dass in Bezug auf den Betriebsgewinn schlicht auf die Monate März beziehungsweise November 2019 abgestellt werden kann. Eine eindeutige vertragliche Regelung fehlt. Für den Bewertungszeitraum stellt § 7 der Bedingungen auf einen Zeitraum von zwölf Monaten beziehungsweise ein Geschäftsjahr ab. § 15 Nr. 2 der Bedingungen, welcher sich mit erforderlichen Feststellungen eines Sachverständigen beschäftigen, falls sich die Parteien nicht über einen Schaden einig werden, legt nahe, für die Berechnung des vereinbarten Haftzeitraums von 30 Tagen den durchschnittlich auf diesen im Rahmen der zurückliegenden zwölf Monate entfallenden Betriebsgewinn heranzuziehen. Dies dient den Interessen beider Vertragsparteien und schafft einen gerechten Ausgleich, da es weder für den Versicherungsnehmer besonders nachteilig wäre, wenn der Ausfall in einen regelmäßig oder gerade aufgrund der zur Betriebsschließung führenden Umstände umsatzschwachen Monat fallen würde, noch für den Versicherer über Gebühr nachteilig, wenn die dreißig Tage in einen Zeitraum von umsatzstarken Monaten fallen würden. Für eine solche Durchschnittsbetrachtung spricht überdies, dass ein einheitlicher Tageshöchstsatz vereinbart ist. Solche Durchschnittswerte des Betriebsgewinns sind aber weder vorgetragen, noch können sie aus den vorgelegten Unterlagen unproblematisch entnommen werden.
Darüber hinaus ist die Glaubhaftmachung der Kosten aus Sicht der Kammer zu dürftig, um gemäß § 286 ZPO zu der geforderten Überzeugung von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 294 ZPO zu gelangen. Dabei wird nicht übersehen, dass der Geschäftsführer der Klägerin die Richtigkeit der Angaben an Eides statt versichert hat. Dies geschah allerdings im Wege der pauschalen Bezugnahme auf die Excel-Tabelle, ohne dass – was leicht möglich gewesen wäre – hierzu Unterlagen vorgelegt würden wie beispielsweise Mietverträge, welche die Höhe plausibel machen könnten. Zudem wurde bei den Positionen „Strom“ und „Wasser/Abwasser“ darauf verwiesen, dass es sich um Abschläge handele, welche zunächst anfielen und bezahlt werden müssten. Diese Mitteilung deckt sich aber nicht mit der Auflistung in der Excel-Tabelle (ASt 11), in welcher sich bei zwei Hotels unterschiedliche Zahlen für den Strom in den Monaten März und April 2020 finden und in zwei Hotels Kosten für „Wasser/Abwasser“ gänzlich fehlen. Was sich genau unter dem Stichwort „Beiträge“ verbergen soll, bleibt offen, nicht zuletzt aufgrund der unterbliebenen konkreten Darlegung im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung.
Aufgrund dieser Erwägungen sieht sich die Kammer nicht in der Lage, die von der Verfügungsklägerin errechnete Versicherungsleistung in ihrer Höhe für überwiegend wahrscheinlich zu halten.
- Es mangelt aber auch an einem Verfügungsgrund.
Bei einer Leistungsverfügung ist ein Verfügungsgrund aufgrund der dadurch eintretenden Vorwegnahme der Hauptsache nur in Ausnahmefällen und unter strengen Bedingungen anzunehmen. Dazu sind kumulativ drei Voraussetzungen zu erfüllen (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2013, 234):
Die Verfügungsklägerin muss sich demnach in einer existentiellen Notlage befinden, die die erstrebte Zahlung so dringlich macht, dass sie nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache warten kann, sie muss mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren obsiegen und das Interesse der Verfügungsklägerin an der Zuerkennung des Zahlungsanspruchs bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung muss das Interesse der Verfügungsbeklagten unter Abwägung der beiderseitigen Belange, insbesondere des der Verfügungsklägerin aus der Nichterfüllung entstehenden oder drohenden Schadens einerseits und des von der Verfügungsbeklagten aus der sofortigen Erfüllung zu erwartenden Schadens andererseits, bei weitem überwiegen (OLG München Urteil v. 20.6.2018 – 7 U 1079/18, beck-online, Rn. 30).
Ob die drohende Zahlungsunfähigkeit einer GmbH eine derartige existentielle, zur Zulässigkeit einer Leistungsverfügung führende Notlage begründen kann, ist umstritten. Dies wird teilweise unter Verweis auf den Justizgewährungsanspruch und Art. 19 Abs. 3 GG bejaht (OLG Rostock, OLG-NL 1996, 283). Teilweise wird dies abgelehnt, da Kapitalgesellschaften den hinter ihnen stehenden Personen den Vorteil der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen biete, welches Voraussetzung für Gründung und Existenz sei, weshalb eine zahlungsunfähige und deshalb unmittelbar vor der Insolvenz stehende GmbH keine Existenzberechtigung habe (vgl. BGH, Beschluss vom 14.07.2005, Az. IX ZB 224/04, Rdnr. 6), und deshalb nicht die Notwendigkeit bestehe, ihre weitere Existenzfähigkeit wie bei einer natürlichen Person durch die Zulassung einer Befriedigungsverfügung besonders zu schützen (OLG München Urteil v. 20.6.2018 – 7 U 1079/18, beck-online, Rn. 36).
Welcher Ansicht zu folgen ist, und ob sich im vorliegenden Fall insoweit Besonderheiten ergeben, weil es um eine Betriebsunterbrechungsversicherung geht, welche dafür abgeschlossen wurde, finanzielle Nachteile einer Betriebsschließung abzufedern, kann vorliegend offen bleiben.
Denn selbst wann man davon ausgehen sollte, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit einer GmbH dem Grunde nach den Erlass einer Leistungsverfügung rechtfertigen kann, so würde jedenfalls, um die Hauptsache nur im geringstmöglichen Umfang vorwegzunehmen, eine Verurteilung der Verfügungsbeklagten zur Zahlung im einstweiligen Verfügungsverfahren nur in der Höhe erfolgen können, die momentan notwendig ist, um die behauptete existenzielle Notlage der Klägerin abwenden zu können. In Höhe der überschießenden Differenz zwischen diesem Betrag und der Höhe der vollen Versicherungsleistung wäre eine Verurteilung im vorläufigen Rechtsschutzes dagegen mangels Dringlichkeit in keinem Fall möglich (OLG München a.a.O., Rn. 37). Hierzu fehlt es an hinreichendem Vortrag der Verfügungsklägerin. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat, es sei wohl die gesamte Versicherungssumme notwendig und auch die nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“, kann allein daraus und aus dem weiteren Vortrag nicht der Schluss gezogen werden, die begehrte Summe von …€ sei zur Abwendung der existenziellen Notlage notwendig. Hierbei ist zu sehen, dass nach dem Vorbringen der Verfügungsklägerin Kurzarbeitergeld beantragt ist und wohl irgendwann greifen wird, ohne dass der Vortrag substantiiert wurde, wie lange das aufgrund von Urlaub und Überstunden dauern würde und welche Summen konkret bis wann vorgestreckt werden müssen. Es mag sein, dass die Anträge auf Kredite bislang noch nicht beschieden worden sind. Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Anfrage bei der …bank (ASt 14) vom 22.04.2020 stammt, ein Antrag auf Soforthilfe bei der (…) für ein anderes Hotel der Verfügungsklägerin datiert vom 20.04.2020. Dass darüber sieben beziehungsweise neun Tage später noch nicht entschieden ist, ist kein Umstand, aus dem unweigerlich folgen müsste, dass in absehbarer Zeit nicht über diese Anträge entschieden würde. Aus dem an die Investitionsbank B. gerichteten Antrag (Bl. 189ff d.A.) ergibt sich darüber hinaus ein seitens der Verfügungsklägerin begehrter Betrag von …€, der Bezug nimmt auf eine als Anlage beigefügte Liquiditätsplanung für zwölf Monate, welche in diesem Verfahren nicht vorgelegt wurde. Das wirft die Frage auf, weshalb die hier begehrte, deutlich darüber liegende Summe notwendig sein sollte, um den Zeitraum zu überbrücken, bis die beantragten Kredite und Soforthilfen greifen. Aus den Anträgen ergibt sich zudem, dass die Verfügungsklägerin weitere Maßnahmen plant (Kündigungen; Stundung von Mietverträgen), welche Auswirkungen auf die benötigte Summe haben dürften, ohne dass hierzu weiterer Vortrag erfolgt ist.
Schließlich geht – abgesehen von den bereits aufgeführten Punkten – auch die bei der Leistungsverfügung gebotene Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Verfügungsklägerin aus. Der Verfügungsklägerin ist zuzugeben, dass aufgrund der – offenkundig – bestehenden Auswirkungen der Ausbreitung des Corona-Virus gerade das Hotelgewerbe eine Branche ist, die erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt ist, was den Wunsch nach schnell zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln verständlich macht. Allerdings kann derzeit nicht festgestellt werden, dass die verfolgte einstweilige Verfügung geeignet ist, die durch die Pandemie begründete Notlage der Verfügungsklägerin zu beseitigen. Das liegt zum einen daran, dass die Betriebsunterbrechungsversicherung einen Zeitraum von (nur) 30 Tagen abfedert. Allerdings hat die Verfügungsklägerin bereits vor der Schließung Mitte März 2020 erhebliche Verluste durch die Verbreitung des Corona-Virus erleiden müssen. Wie lang die Beschränkungen andauern werden, ist derzeit nicht absehbar. Selbst wenn die Hotels wieder öffnen dürfen, ist aber aufgrund mutmaßlich noch für längere Zeit bestehender Reisebeschränkungen und verschärfter Hygienemaßnahmen nicht damit zu rechnen, dass bei einer Wiederaufnahme des Betriebs unmittelbar wieder die früheren Umsätze erzielt werden können.
Ob die begehrte Versicherungsleistung und staatliche Hilfen genügen werden, kann erst im Laufe der künftigen Entwicklung festgestellt werden. Dieses Risiko mittels einer Vorwegnahme der Hauptsache der Verfügungsbeklagten aufzubürden, lässt sich nicht begründen, insbesondere da schon im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs grundsätzliche Streitpunkte existieren, welche juristisch kontrovers diskutiert werden können.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.