Abweisend
Landgericht Bayreuth
Urteil vom 15.10.2020
Aktenzeichen: 21 O 281/20
Stichwörter: abschließende Aufzählung, Wortlaut
Urteil
Tenor:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des zu vollstreckenden
Betrags vorläufig vollstreckbar.
- Der Streitwert wird auf 199.500,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger macht Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.
Der Kläger betreibt ein Hotel in Form eines Erlebnisbauernhofs. Der Kläger unterhält unter
anderem bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung für die Betriebsschließung
in Folge einer solchen Gefahr für Schließungsschäden. Auf den Versicherungsschein (Anlage
K1) wird Bezug genommen. In den Versicherungsbedingungen heißt es unter anderem:
- „Betriebsschließung
1.1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des
Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen
(Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder
Krankheitserreger
1) den versicherten Betrieb (…) zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen
Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; (…)
1.2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und
Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in
den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
1) Krankheiten … (es folgt eine Aufzählung von 18 Krankheiten, u. a. Masern, Pest und
Tollwut)
1) Krankheitserreger … (es folgt eine Aufzählung von 49 Krankheitserregern, u. a.
Ebolavirus und Gelbfiebervirus)“.
Der neuartige Corona-Virus und die Erkrankung Covid-19 sind in den Aufzählungen nicht
enthalten. Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten der Versicherungsbedingungen auf
Anlagen K2 und K3 Bezug genommen. Das Hotel des Klägers wurde erstmals aufgrund
Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 mit Wirkung ab dem 18.03.2020 durchgehend bis
zum 17.05.2020 und darüber hinaus geschlossen. Wegen der entsprechenden
Verordnungen wird auf Anlagen K4 bis K7 Bezug genommen.
Der Kläger behauptet, der Betrieb diene ausschließlich touristischen Zwecken. Er begehrt
die Zahlung des jeweils vereinbarten Tagessatzes von 6.000,00 € für April und 7.500,00 €
für Mai im Zeitraum vom 17.04. bis zum 17.05.2020 unter Beachtung eines Selbstbehalts
von anfänglich 2 Tagen.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 199.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über Basiszins p.a. seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
Ein Anspruch bestehe aus vielerlei Gründen nicht. So sei die Rechtsverordnung unwirksam, weil eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage angegeben sei. Der Parlamentsvorbehalt sei nicht beachtet worden. Der Kläger könne daher bei nichtiger
Anordnung inhaltsgleiche Schadensersatzansprüche geltend machen. Es habe sich zudem
keine betriebsinterne Gefahr realisiert. Es liege auch keine vollständige Schließung durch
eine Behörde vor. Der Kläger habe Arbeiten ohne Außenkontakt durchführen können und
Geschäftskunden aufnehmen dürfen. Die Versicherungsbedingungen erfassten das
neuartige Corona-Virus mangels Auflistung nicht, zudem liege keine dynamische
Verweisung vor, die eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes nach Versicherungsbeginn
erfasst. Schließlich sei nur der tatsächliche Schaden zu ersetzen, der um mehr als 2/3
unter den Tagessätzen liege, da es sich um eine Schaden- und nicht um eine
Summenversicherung handle. Anzurechnen seien wegen des Schadensminderungsgebotes
nach § 82 VVG zudem Ansprüche auf Kurzarbeitergeld und staatliche Soforthilfe.
Der Kläger erwidert, dass die Versicherungsbedingungen in Nummer 1.2 keine eindeutige
Einschränkung des Versicherungsumfangs enthielten, so dass zugunsten des Klägers das Günstigkeitsprinzip greife. Andernfalls sei die Klausel 1.2 als unangemessene Benachteiligung anzusehen und wegen Verstoßes gegen das Überraschungsverbot unwirksam.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit dem Einzelrichter mit Beschluss vom 07.09.2020 zur
Entscheidung übertragen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für den
streitgegenständlichen Betriebsausfall während der Corona-Pandemie, weil hierfür kein
Versicherungsschutz vereinbart ist.
Bei Auslegung der vorliegenden Versicherungsbedingungen, in denen die versicherten
Krankheiten und Krankheitserreger in einem umfangreichen Katalog namentlich genannt
werden, besteht nach Auffassung des Einzelrichters aus Sicht eines durchschnittlichen
Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die
Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der
Interessen der Beteiligtenkreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren
Sinnzusammenhanges – würdigt, Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen
aufgrund der in den Versicherungsbedingungen genannten Krankheiten und
Krankheitserreger (vgl. zum Auslegungsmaßstab Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., Einleitung
Rn. 216). Maßgeblich für die Auslegung ist dabei in erster Linie der Klauselwortlaut
(ebenda).
Wie der Versicherungsnehmer dem Versicherungsschein (Seite 3 der Anlage K1) unter
dem Stichwort „Vertragsgrundlagen“ entnehmen kann, richten sich die gegenseitigen
Rechte und Pflichten für den Versicherungsvertrag nach dem Antrag, den gesetzlichen
Bestimmungen, den nachfolgend vereinbarten Informationen, Mitteilungen, Besonderen
und Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie den weiteren Bestimmungen im
Versicherungsschein. Im Abschnitt C (Anlage K2) ist die Betriebsschließungsversicherung in
neun Ziffern geregelt. In Ziffer 1 ist die Betriebsschließung geregelt, wobei diese in Ziffer
1.1 eine Entschädigungsleistung bei einen Tätigwerden der zuständigen Behörde für fünf
verschiedene Unterpunkte (Buchstaben a bis e) allgemein regelt und dem im Vorspann
benutzten Passus „Meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ im Unterpunkt 1.2
näher definiert sowie in Ziffer 1.3 bestimmt, was nicht versichert ist. Aus dieser Systematik
wird für den verständigen Versicherungsnehmer deutlich, dass Ziffer 1.2 nicht eine
Einschränkung der Ziffer 1.1 darstellt, wie der Kläger meint, sondern eine Konkretisierung
des Versicherungsumfangs, während Ziffer 1.3 Ausschlüsse in Gestalt nicht versicherter
Sachen enthält.
Die Versicherungsbedingung 1.2 definiert „Meldepflichtige Krankheiten und
Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen“ als „die folgenden, im Infektionsgesetz in
den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“, wobei nach
insoweit unstreitigen Vortrag alle Krankheiten und Krankheitserreger aufgezählt werden,
die zum Zeitpunkt des Versicherungsbeginns Ende 2019 im IfSG aufgeführt waren. Der
Versicherungsnehmer wird durch diese Regelung zum einen in die Lage versetzt, für den
Fall einer behördlichen Anordnung durch einen Abgleich mit den in den
Versicherungsbedingungen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserregern festzustellen,
ob ein Versicherungsfall vorliegen könnte. Zum anderen wird mit dieser Aufstellung der
Krankheiten und Krankheitserreger deutlich, dass andere Krankheiten und
Krankheitserreger nicht dem Versicherungsschutz unterfallen, insbesondere nicht solche,
die nicht namentlich aufgeführt sind und die das IfSG nur aufgrund einer Auffangklausel
zur Anwendung kommen lassen und damit auch nicht solche, die bei Versicherungsbeginn
in dem Katalog namentlich genannter Krankheiten und Krankheitserreger nicht enthalten
sind und erst nachträglich aufgenommen werden. Dem verständigen Versicherungsnehmer
wird diese konkrete Beschreibung des Versicherungsschutzes durch enumerative
Aufzählung auch unter Würdigung der Interessen der Versicherungswirtschaft
gerechtfertigt erscheinen, weil damit die im Vergleich zur möglichen Entschädigung im
Einzelfall relativ niedrige Versicherungsprämie kalkulierbar bleibt.
Dass nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers Ziffer 1.2 der
Versicherungsbedingungen keine Leistungseinschränkung der Ziffer 1.1 enthält, sondern
vielmehr eine Leistungsbeschreibung, hat zur Folge, dass sich die Frage einer
Unwirksamkeit von Ziffer 1.2 als unangemessen benachteiligende Einschränkung oder als
überraschende Einschränkung des vereinbarten Versicherungsschutzes nicht stellt.
Andere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterlegen ist, § 91 Abs. 1
ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 Satz 1,
2 ZPO.
Der Streitwert folgt aus der geltend gemachten Hauptforderung.