Zusprechend
Gericht: LG Verden 8. Zivilkammer
Datum: 09.12.2020
Aktenzeichen: 8 O 142/20
ECLI: ECLI:DE:LGVERDN:2020:1209.8O142.20.00
Dokumenttyp: Urteil
Quelle:
Zitiervorschlag: LG Verden, Urteil vom 09. Dezember 2020 – 8 O 142/20 –, juris
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.430,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.
Der Kläger ist Inhaber des griechischen Restaurants A. in S.. Zwischen den Parteien besteht eine Betriebsschließungsversicherung für dieses Restaurant. Der Versicherungsschein datiert vom 02.08.2018. Die Parteien haben eine Tagesentschädigung von 481,00 € bei einer Haftzeit von 30 Tagen (je Woche 6 Arbeitstage) vereinbart. Dem Versicherungsvertrag liegen die AVB BS 2010 VGH (im Folgenden AVB) zugrunde. Abschnitt A § 1 der AVB lautet u.a. wie folgt:
3 „§ 1 Versicherte Gefahren und Krankheiten und Krankheitserreger
1. Versicherte Gefahren
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
b) …
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten (es folgen in einer Aufzählung 18 Krankheiten)
b) Krankheitserreger ..(es folgen in einer Aufzählung 49 Krankheitserreger).“
Bei den benannten Krankheiten ist weder das Corona-Virus SARS-CoV-2 noch die COVID- 19-Lungenkrankheit aufgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten der AVB wird auf Bl. 22 ff. d.A. Bezug genommen.
Aufgrund der Allgemeinverfügung des Landkreises Osterholz vom 20.03.2020 (s. Bl. 87 d.A.) ist das Restaurant des Klägers ab diesem Zeitraum bis zum 18.04.2020 geschlossen gewesen. Aufgrund der Verordnungen des Landes Niedersachsen „zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“ ist diese Schließungsanordnung fortgesetzt worden und erst mit Beginn des 11.05.2020 die Öffnung von Restaurants unter Auflagen gestattet worden.
Der Kläger meldete der Beklagten den Eintritt des Versicherungsfalles. Die Beklagte lehnte mit einem Schreiben vom 15.04.2020 ihre Leistungspflicht ab. Daraufhin wandte sich der Klägervertreter mit außergerichtlichem Schreiben vom 08.05.2020 an die Beklagte und forderte diese binnen einer Frist bis zum 15.05.2020 zur Zahlung von 14.430,00 € auf. Mit dem Antrag zu 2) begehrt der Kläger die durch die Einschaltung des Prozessbevollmächtigten entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die Beklagte lehnte ihre Einstandspflicht erneut mit Schreiben vom 13.05.2020 ab.
Der Kläger ist u.a. der Ansicht, die Allgemeinverfügung genüge den Anforderungen an die AVB, eine individuelle, sich aus dem Betrieb ergebende Gefährdung, sei nicht erforderlich. Abschnitt A § 1 Nr. 2 AVB enthalte eine dynamische Verweisung auf das IfSG, weil sich die Klausel am Wortlaut der §§ 6, 7 IfSG orientiere. § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG enthalte eine sog. Generalklausel, für noch nicht erfasste Krankheiten und Krankheitserreger, die nicht in den Nr. 1-4 aufgezählt sind. Darunter sei bis zum 23.05.2020 auch das Coronavirus zu fassen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.430,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu zahlen, 2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist u.a. der Ansicht, eine präventive Betriebsschließungsanordnung kraft Allgemeinverfügung genüge nicht, die Behörde habe den konkret betroffenen versicherten Betrieb nicht geschlossen. Die Covid-Erkrankung sei von den AVB nicht erfasst und die vereinbarten AVB seien für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch klar
und verständlich. Die in A. § 1 Nr. 2 AVB aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger seien nicht deckungsgleich mit den Krankheiten/Krankheitserregern in §§ 6, 7 IfSG und insbesondere sei § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG nicht wiedergegeben. Nach dem Wortlaut der AVB bestehe kein Versicherungsschutz. Der Wortlaut sei auch so eindeutig, dass er nicht anders verstanden werden könne, weil mit der Formulierung klargestellt werde, dass es keine nur beispielhafte Auflistung sei, sondern dass die Auflistung abschließend sei. Dem Wortlaut nach ergebe sich auch keine statische oder dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG; es werde nämlich nicht auf die in §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten/Krankheitserreger Bezug genommen. Etwas anderes wäre für die Beklagte auch nicht kalkulierbar und zur Ermittlung der Höhe von Beiträgen bewertbar, deshalb gebe es die abschließende Aufzählung und es würden nicht auch alle künftigen meldepflichtigen Krankheiten erfasst. Eine nachträgliche Einbeziehung des Corona-Virus würde einer unzulässigen Analogie entsprechen. Zudem müsse sich der Kläger gem. Abschnitt B. § 14 AVB Zuschüsse etc. anrechnen lassen und ggfs. wurden Obliegenheiten hinsichtlich der Sicherung solcher Ansprüche verletzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Dem Kläger steht ein Anspruch aus dem unstreitig zwischen den Parteien bestehendem Versicherungsvertrag i.V.m. A. § 1, 6 AVB auf Zahlung der Pauschalentschädigung für den Haftzeitraum von 30 Tagen, d.h. in Höhe von 14.430,00 € zu.
Das Restaurant des Klägers ist durch eine behördliche Anordnung geschlossen worden. Diese Anordnung beruhte auf den Vorschriften des IfSG. Die Konkretisierung in A. § 1 Nr. 2 AVB ist mangels Transparenz gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, so dass es nach A. § 1 Nr. 1 AVB allein maßgeblich ist, dass die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserregern den Betrieb geschlossen hat. Diese Voraussetzungen liegen vor. Im Einzelnen:
1. Der Landkreis Osterholz hat mit seiner Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 als zuständige Behörde den Restaurantbetrieb des Klägers geschlossen. Das Land Niedersachsen hat mit den allgemein bekannten Verordnungen zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus die Betriebsschließung über den 18.04.2020 hinaus angeordnet. Diese präventive Betriebsschließung ist von den Versicherungsbedingungen erfasst.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der Rechtsprechung des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Das bedeutet zugleich, dass vom Versicherer verfolgte Ziele nur dann maßgeblich sind, wenn sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen hinlänglich für den verständigen Versicherungsnehmer erkennbaren Ausdruck haben. Maßgeblich ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. zur Auslegung Prölss/Martin Einleitung I, 30. Auflage ab Rn. 258 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist Abschnitt A. § 1 Nr. 1a) ABV nicht zu entnehmen, dass nur eine Betriebsschließung, die aufgrund einer betriebsinternen Gefahr angeordnet wird, erfasst ist. Der Wortlaut von A. § 1 Nr. 1a) unterscheidet nicht zwischen präventiven und individuellen Betriebsschließungen. Es ergibt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus dem Wortlaut der Bestimmung gerade keine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf konkret-individuelle, auf den versicherten Betrieb abgestimmte behördliche Maßnahmen. Ein derartiger sprachlicher Anknüpfungspunkt fehlt in den Versicherungsbedingungen. Es ist der Beklagten zuzustimmen, dass der verständige Versicherungsnehmer aufgrund der weiteren Bestimmungen in A. § 1 Nr. 1a)-Nr. 1c) AVB erfassen kann, dass Gefahren, die aus dem Betrieb heraus resultieren z.B. Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Mitarbeiter des Betriebs, ebenfalls als Betriebsschließung erfasst sind. Aus Sicht der Kamer folgt aus diesem Verständnis aber nicht der notwendige oder gar zwingende Rückschluss für den verständigen Versicherungsnehmer, dass nur betriebsinterne Gefahren versichert sind. Ausgehend vom Begriffsverständnis „Betriebsschließung“ stellt es vielmehr eine Erweiterung des Versicherungsschutzes dar, dass z.B. auch Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Mitarbeiter – die faktisch eine Einstellung des Geschäftsbetriebes bedeuten – der Betriebsschließung gleichsteht.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Versicherungsort die Betriebsstätte ist. Unstreitig ist das Restaurant des Klägers als Betriebsstätte der versicherte Ort. Aus der
o.g. Begriffsbestimmung in den AVB folgt dem Wortlaut nach aber nicht, dass die behördliche Anordnung diese Betriebsstätte ausdrücklich benennen muss, damit die Betriebsschließung dem Versicherungsschutz unterfällt. Die Versicherungsbedingungen haben auf die Verwendung von verwaltungsrechtlichen Begrifflichkeiten verzichtet. Dem Wortlaut nach ist es „ausreichend“, dass die zuständige Behörde durch eine Anordnung den versicherten Betrieb schließt. Das ist der Fall, denn mit der Allgemeinverfügung des Landkreises Osterholz und dem nachfolgend mit den Verordnungen des Landes Niedersachsen sind sämtliche im Landkreis betriebenen Restaurants und Speisegaststätten etc. geschlossen worden; auch das Restaurant des Klägers.
2. Der Kläger kann aufgrund der auf der Allgemeinverfügung und der Landesverordnung beruhenden Betriebsschließung „gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NGoGD zur Beschränkung von sozialen Kontakten im öffentlichen Bereich angesichts der Corona-Epidemie und zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2“ bzw. „gem. § 32 Satz 1 in Verbindung mit den §§ 28, 29 und 30 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes …“ die Beklagte auf Versicherungsschutz in Anspruch nehmen. Die Bestimmung in A. § 1 Nr. 2 AVB ist intransparent und die vorgenannte Anordnung zur Betriebsschließung ist vom Regelungsgehalt in A. § 1 Nr. 1 AVB erfasst.
a) Weder der Versicherungsschein noch A. § 1 Nr. 1, 2 AVB lassen erkennen, dass der Corona-Erreger vom Versicherungsschutz umfasst ist. Die Krankheit bzw. der Krankheitserreger wird wörtlich nicht benannt. Eine entsprechende Öffnungsklausel, wie sie in § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG oder in § 7 Abs. 2 IfSG enthalten ist, sehen die Versicherungsbedingungen nicht vor. Weder nach dem Versicherungsschein noch nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen wird dem Wortlaut nach der Eindruck erweckt, dass auch zukünftige, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch nicht bekannte Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz erfasst sind.
Allein durch die Benennung der §§ 6, 7 IfSG in A. § 1 Nr. 2 AVB folgt kein dynamischer Verweis auf die jeweilige Fassung des IfSG. Der verständige durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den Wortlaut auf „… im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6, 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger …“ nur so auffassen, dass die nachfolgend aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger vermittelt den Eindruck einer abschließenden Aufzählung. Gerade die weitreichende und (scheinbar) erschöpfende Aufzählung in den Versicherungsbedingungen verdeutlicht dem verständigen Versicherungsnehmer, dass ihr keine bloß klarstellende Funktion zukommen soll. Eine solche Funktion könnte diese Liste im Hinblick auf neu hinzutretende oder abgeschaffte Meldepflichten auch überhaupt nicht erfüllen.
Die Aufzählungen unter Bezugnahme auf §§ 6, 7 IfSG stellt sich dem Wortlaut nach aber als statische Bezugnahme auf die Regelungen in §§ 6, 7 IfSG in der Fassung bei Abschluss des Versicherungsvertrages dar.
b) Die vorgenannte Bestimmung in den Versicherungsbedingungen im Zusammenhang mit ihrer Darstellung und der weiteren Bestimmung in A.§ 2 Nr. 2 AVB sowie bereits der Überschrift zu A.§ 2 AVB ist allerdings wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 1, 2 BGB unwirksam. Entgegen dem vermittelten Eindruck findet nämlich nicht einmal eine statische Bezugnahme statt. Vielmehr schränken die Aufzählungen den Kreis der versicherten Krankheiten und Krankheitserregern gegenüber den §§ 6, 7 IfSG ein (so auch LG München I vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20, LG Hamburg vom 04.11.2020, Az.: 412 HKO 91/20).
Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, NJW- RR 2008, 1123, 1125, BGH VersR 2013, 995). Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Wird der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer damit klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht (vgl. BGH VersR 2013, 995). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz annimmt oder nicht. Dabei gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen braucht, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Mithin sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so zu gestalten, dass dem Versicherungsnehmer die leistungsbeschränkende Wirkung einer Klausel nicht erst nach intensiver Beschäftigung oder aufgrund ergänzender Auskünfte deutlich wird (so auch LG München I a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe entspricht A.§ 1 Nr. 2 AVB nicht dem Erfordernis des Transparenzgebotes. Bereits A.§ 1 Nr. 1 AVB nimmt dem Wortlaut nach auf das Infektionsschutzgesetz Bezug und verweist hinsichtlich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger auf A.§ 1 Nr. 2 AVB. Dort werden diese Begrifflichkeiten in der Überschrift sowie im Text wiederholt und zwar unter Bezugnahme auf die §§ 6, 7 IfSG. Die Versicherungsbedingungen nehmen damit ausdrücklich auch auf die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes Bezug, so dass dieses auch bei der Bewertung des Transparenzgebotes einzubeziehen ist. Wie bereits ausgeführt vermittelt die Klausel des A.§ 1 Nr. 2 AVB aufgrund des Wortlautes, der Bezugnahme auf die §§ 6, 7 IfSG und der umfassenden Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern, eine statische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dazu im Widerspruch steht dagegen der nachfolgende Ausschluss für Krankheiten und Krankheitserregern in A.§ 2. Dieser Ausschluss könnte ggfs. noch als hinreichend deutlich angenommen werden, um den Widerspruch zwischen der abschließend wirkenden Aufzählung und dem dennoch folgenden Ausschluss aufzuklären. Schließlich wird dem Versicherungsnehmer die konkret ausgeschlossene Krankheit wörtlich benannt. Daraus folgend kann er den Rückschluss ziehen, dass die weiteren genannten und als abschließend dargestellten Krankheiten und Krankheitserreger deckungsgleich mit den in §§ 6, 7 IfSG zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind. Dieser Annahme wird mit A.§ 1 Nr. 2 AVB jedoch nicht entsprochen. Vielmehr fehlen etliche der in §§ 6, 7 IfSG i.d.F. vom 02.08.2018 genannten 24 Krankheiten und 52 (z.T. noch untergliederten) Krankheitserreger. Diese Lücke im vermeintlichen Versicherungsschutz kann der Versicherungsnehmer jedoch nur dann erkennen, wenn er die Vorschriften zum Infektionsschutzgesetz mit der Aufzählung in den Versicherungsbedingungen der Beklagten vergleicht. Die Versicherungsbedingungen lassen aus sich heraus eine derartige Leistungseinschränkung nicht erkennen, sondern suggerieren Vollständigkeit. Dass es negative Abweichungen gegenüber dem maßgeblich in Bezug genommenen IfSG geben könnte, lässt sich den maßgeblichen Versicherungsbestimmungen weder dem Wortlaut noch der Darstellung entnehmen. Der systematische Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Klausel stützen den Versicherungsnehmer bei diesem Verständnis.
Mithin ist A. § 1 Nr. 2 IfSG wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot als unwirksam zu betrachten und maßgeblich für den Versicherungsschutz ist es demnach, ob die Betriebsschließung nach A. § 1 Nr. 1 AVB aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt ist.
c) Die Rechtsausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 27.11.2020 geben auch nach nochmaliger Würdigung und Beratung der Kammer keinen Anlass von der vorgenannten Auslegung abzuweichen. Wie bereits in der mündlichen Erörterung diskutiert, ist der Sachverhalt der Entscheidung des Landgerichts München I bekannt. Die Kammer hat im Rahmen ihrer Bewertung auch das Gebot berücksichtigt, dass Versicherungsbedingungen aus sich heraus auszulegen sind (s.o.). Die AVB nehmen aber ausdrücklich Bezug auf die §§ 6, 7 IfSG. Zudem widerspricht sich die Beklagte selbst, wenn sie im Schriftsatz vom 27.11.2020 ausführt, das Wort „namentlich“ kann nur „im Sinne von „mit ihrem Namen benannte“ gebraucht wird, also jene Krankheiten gemeint sind, die (auch) in § 6 und 7 IfSG mittels ihrer Namensbezeichnung aufgeführt werden“. Dann aber nimmt auch die Beklagte Bezug auf den Wortlaut in §§ 6, 7 IfSG („Namentlich ist zu melden: …“). Auch diese sprachliche Feinheit würde der verständige Versicherungsnehmer nämlich nur erkennen können, wenn er zum Verständnis des Versicherungsschutzes das IfSG heranzieht.
d) Die Schließung des Restaurants des Klägers ist durch die zuständige Behörde aufgrund einer meldepflichtigen Krankheit/Krankheitserregern nach dem IfSG (A.§ 1 Nr. 1 AVB) erfolgt.
Nach § 15 IfSG darf die Meldepflicht nach dem IfSG im Fall einer epidemischen Lage durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates – in dringenden Fällen ohne Zustimmung – anpasst werden. Auf dieser Rechtsgrundlage beruht die „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“)“. Es ist allgemeinbekannt, dass das Bundesministerium für Gesundheit die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 IfSG mit dem Coronavirus verkündet hat. Diese Verordnung trat am 01.02.2020 in Kraft, mithin vor der angeordneten Betriebsschließung. Eines Rückgriffs auf die Öffnungsklauseln in § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG bedarf es nicht. Der Corona-Erreger/die Corona-Erkrankung ist durch Rechtsverordnung ausdrücklich als meldepflichtige Krankheit/Krankheitserreger als faktisch weiterer namentlich benannte/r Krankheit/Krankheitserreger aufgenommen worden. Die zunächst durch Rechtsverordnung angeordnete Meldepflicht, ist mit der Änderung des IfSG i.d.F. vom 19.05.2020 auch in den Gesetzeswortlaut übernommen worden. Unstreitig beruhten die Allgemeinverfügung des Landkreises Osterholz und die Verordnungen des Landes Niedersachsen zum Schutz vor der Verbreitung des seit dem 01.02.2020 meldepflichtigen Coronavirus SARS-CoV-2. Unstreitig erfolgte die Anordnung der Betriebsschließungen zur Verhinderung und Verbreitung des Corona-Erregers angesichts der Corona-Epidemie zum Schutz der Bevölkerung.
3. Dem Kläger steht mithin gem. A. § 6 Nr. 1a) AVB der Ersatz des Schadens in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer zu.
Unstreitig ist zwischen den Parteien eine Tagesentschädigung i.H.v. 481,00 € vereinbart worden. Unstreitig war der Betrieb vom 20.03. bis zum jedenfalls 30.04.2020 (so die vom Kläger vorgelegte Erklärung seines Steuerberaters) vollständig, mithin unstreitig 30 (Arbeits-)Tage geschlossen, so dass dem Kläger ein Zahlungsanspruch von 14.430,00 € zusteht. Einwände gegen die geltend gemachte Anspruchshöhe (Berechnung) hat die Beklagte nicht erhoben.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist seit dem 16.05.2020 im Zahlungsverzug.
4. Die Beklagte ist auch nicht ganz oder teilweise von ihrer Leistungspflicht befreit.
Eine Obliegenheitsverletzung nach B. § 14 AVB ist von der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen worden. B. § 14 Nr. 1 AVB bestimmt den Übergang von Ersatzansprüchen auf den Versicherer, aber auch, dass „der Übergang nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmer geltend gemacht werden kann“. Eine Anrechnung von unbekannten Entschädigungsansprüchen auf die geltend gemachte Versicherungsleistung kann demnach nicht stattfinden. Vielmehr gehen etwaige Entschädigungsansprüche auf den Versicherer über. Rechtsnachteile werden durch den Anspruchsübergang nicht erlitten.
Die Bestimmung in B. § 14 Nr. 2 AVB lautet: „Der Versicherungsnehmer hat seinen Ersatzanspruch oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren, und nach Übergang des Ersatzanspruchs auf den Versicherer bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken.“ Eine Obliegenheitsverletzung in diesem Sinne hat die darlegungs -und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen. Es fehlt bereits an der Darlegung, dass und welche Ersatzansprüche aus welchen Rechtsnormen in Betracht kommen. Derartige öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche sind dem Grunde nach aus allgemein zugänglichen Rechtsquellen ermittelbar, so dass zunächst die Beklagte ihre Behauptung hätte substantiieren müssen. Erst dann wäre der Kläger verpflichtet gewesen vorzutragen, dass und welche vermeintlichen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüche er geltend gemacht hat.
II.
Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1, 2 Nr. 3 BGB. Die Beklagte hat ihre Leistungspflicht mit Schreiben vom 15.04.2020 ernsthaft und endgültig abgelehnt und befand sich damit bei der auch erforderlichen Einschaltung der Prozessbevollmächtigen im Zahlungsverzug. Die Höhe der geltend gemachten Gebühren (1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagen und Mehrwertsteuer) nach dem Zahlungsantrag des Klägers ist nicht zu beanstanden. Die Rechtsschutzversicherung des Klägers hat diesen ausweislich des Schreibens vom 06.08.2020 ermächtigt, die von ihr übernommenen Kosten aufgrund der gestellten Rechnung im eigenen Namen geltend zu machen. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.