Brille? Lieber zum Anwalt! – Lasik-Kostenerstattung für den Versicherungsnehmer

von Lars Krohn LL.M.

1.

(Hamburg, den 18.05.2017) Mit Urteil vom 29.03.2017, Az.: IV ZR 533/15, hat der BGH hinsichtlich der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der Kosten einer Lasik-OP, also einer operativen Korrektur einer Sehschwäche, festgestellt:

In den Vorinstanzen war die Klägerin mit ihrem Begehren, die Kosten für eine beidseitige Femto-Lasik-Operation von ihrem Krankenversicherer erstattet zu bekommen gescheitert, die Revision zum BGH hatte nun Erfolg.

2.

Dreh- und Angelpunkt der juristischen Betrachtung ist der einschlägige § 1 Abs. 2 der zugrunde liegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen, welche die Parteien des Rechtsstreits vereinbart hatten, insoweit gleichlautend mit den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung (MB/KK):

„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen(…).“

Krankheit

Sowohl das Amtsgericht als Eingangsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, als auch das Berufungsgericht hatten einen bedingungsgemäßen Versicherungsfall verneint und bereits die vor der Operation vorhandene Fehlsichtigkeit von -3 und -2,75 Dioptrien nicht als bedingungsgemäße Krankheit anerkannt. Das Berufungsgericht führte hierzu aus, dass eine Krankheit im Sinne von § 192 VVG bei Fehlsichtigkeit lediglich dann angenommen werden könne, wenn eine Abweichung vom natürlichen körperlichen Zustand der versicherten Person vorliege. Die Fehlsichtigkeit der Klägerin hingegen entspreche nach den Ausführungen des Sachverständigen dem normalen Entwicklungs- und Alterungsprozess, zudem sei das Tragen einer Brille möglich und zumutbar gewesen.

1.1. Durchschnittlicher Versicherungsnehmer

Entscheidend haben die Instanzgerichte hierbei unter Berufung auf die Auffassung des Sachverständigen verkannt, dass nach ständiger Rechtsprechung des BGH so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (BGH VersR 2017, 85; BGHZ 123, 83; st. Rspr.).

Ein solcher Versicherungsnehmer wird nach dem BGH zunächst auf den Wortlaut abstellen und hierbei auf den Sprachgebrauch des täglichen Lebens, so dass Fachtermini nicht entscheidend sein können und es nicht darauf ankommen dürfe, wann nach internationalem medizinischen Standard ein Krankheitswert angenommen werde.

1.2.

Zutreffenderweise ist mit dem BGH davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer von einer nachhaltigen Abweichung des Normalzustands der Sehfähigkeit und bedingungsgemäßen Krankheit ausgehen wird, wenn ihm beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr möglich ist. Dies folge schon daraus, dass eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet (BGH VersR 2016, 720).

Für ein Verständnis der Fehlsichtigkeit als Krankheit spreche ferner, dass Sehhilfen nach den weiteren Bedingungen, wenn auch betragsmäßig begrenzt, erstattungsfähig seien.

Nachdem auch der instanzgerichtlich zurate gezogene Sachverständige von einem Refraktionsfehler gesprochen hatte, lassen sowohl die Bezeichnung als „Fehler“ als auch die Bejahung einer Behandlungsindikation aus medizinischer Sicht auf eine korrekturbedürftige Regelwidrigkeit und damit auf eine bedingungsgemäße Krankheit schließen.

1.3.

Von einer bedingungsgemäßen Krankheit war somit auszugehen.

Medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung

Die Frage der Notwendigkeit einer operativen Korrektur hat übrigens nichts mit der Bewertung als Krankheit zu tun, sondern ist nach dem BGH allein im Rahmen der Frage nach der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung zu beantworten.

Die Leistungspflicht des beklagten Versicherers hängt in dem entschiedenen Fall noch davon ab, ob die durchgeführte Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellte.

2.1. Heilbehandlung

Heilbehandlung ist dabei jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her auf Heilung, Besserung oder Linderung der Krankheit abzielt. Die Frage der Geeignetheit der Therapie ist hinsichtlich der Einordnung als Heilbehandlung irrelevant.

2.2. Medizinische Notwendigkeit

Denn die Frage der Geeignetheit gehört zur Prüfung, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB anzusehen ist, wofür ein objektiver Maßstab anzulegen ist (BGHZ 133, 208).

Diesbezüglich hat der BGH nun entschieden, dass die medizinische Notwendigkeit einer Sehschärfenoperation nicht bereits mit dem Hinweis auf die Üblichkeit des Tragens einer Brille oder von Kontaktlinsen verneint werden kann. Brillen und Kontaktlinsen stellen nach der Rechtsprechung lediglich Hilfsmittel dar, die eine Ersatzfunktion für erkrankte Organe übernehmen und körperliche Defekte über einen langen Zeitraum ausgleichen (BGHZ 99, 228).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aus dem Bedingungswerk, insbesondere aus § 1 Abs. 2 Satz 1 AVB aber keine Subsidiarität der Heilbehandlung gegenüber Hilfsmitteln entnehmen, auch keine finanzielle.

2.3.

Der BGH stellte mithin fest, dass die Klägerin ihre Fehlsichtigkeit nicht durch Sehhilfen kompensieren musste, sondern durch die streitgegenständliche Operation beheben lassen durfte und Erstattung der Kosten verlangen darf, sofern die Operation die Voraussetzungen einer medizinischen Notwendigkeit erfüllte.

2.4.

Hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit muss es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen sein, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen, was nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden kann (BGH VersR 2006, 535; BGHZ 164, 122; BGHZ 133, 208).

Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung wird nach dem BGH daher dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken; steht diese Eignung nach medizinischen Erkenntnissen fest, ist nach dem BGH grundsätzlich eine Erstattungspflicht des Versicherers gegeben.

3.

Da im vorliegenden Fall keine Feststellungen zur medizinischen Notwendigkeit getroffen worden waren, konnte der BGH den Fall nicht abschließend entscheiden, sondern musste ihn hierzu zurückverweisen.

Kurzes Fazit:

Außerordentlich zu begrüßen sind die Feststellungen des BGH, dass eine nicht unbedeutende Fehlsichtigkeit eine Krankheit im Sinne der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung darstellt und es hierbei allein auf das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ankommt. Hierneben ist erfreulich, dass der BGH eine bindende Verweisung des Versicherungsnehmers auf Hilfsmittel wie Brille oder Kontaktlinsen verneint hat.