Neues aus der Unfallversicherung – Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität in der Unfallversicherung

von Kathrin Pagel

(Hamburg, den 08.07.2017) Ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 18.11.2015, Az.: IV ZR 124/15) macht einem langen Streit darüber, welcher Zeitpunkt maßgeblich für die Erstbemessung der Invalidität in der Unfallversicherung ist, nun ein Ende. Dieser Streitpunkt hat lange die Rechtsprechung beschäftigt und ist in der Gerichtspraxis recht unterschiedlich beurteilt worden.

In dem vom Bundesgerichtshof zu beurteilenden Fall hatte ein Versicherer den Versicherungsnehmer auf Rückzahlung geleisteter Invaliditätsentschädigung in Anspruch genommen. Nach dem Unfall des Versicherungsnehmers, dieser war bei Reparaturarbeiten vom Dach eines Gebäudes abgestürzt, hatte der Versicherer zunächst Vorschusszahlungen geleistet. Zugleich hatte er darauf hingewiesen, dass er den gezahlten Betrag zurückfordern wolle, wenn die abschließende Untersuchung zu einem geringeren Ergebnis käme. Bei einer weiteren Untersuchung hatte der Unfallversicherer sodann den unfallbedingten Invaliditätsgrad geringer festgesetzt und den aus seiner Sicht überzahlten Vorschuss zurückgefordert.

Streitig war nun hier insbesondere, ob es sich bei der zuletzt vorgenommen Invaliditätsfestsetzung um eine Neubemessung oder eine abschließende Erstbemessung gehandelt hatte.

In der Unfallversicherung hat der Versicherer die Möglichkeit, nachdem er zunächst den Invaliditätsgrad anerkannt hat, innerhalb des Zeitraums von drei Jahren eine Nachprüfung vorzunehmen.

Ob es sich um eine Neubemessung oder eine Erstbemessung der Invalidität handelt, ist insoweit entscheidend, als es hier darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt die Invalidität zu beurteilen ist.

Die zunächst anhand der Prognose festgestellte Dauerschädigung, d. h. Invalidität, kann sich im Laufe der Jahre grundsätzlich noch verändern. Dies kann zum Vorteil oder auch zum Nachteil des Versicherungsnehmers beziehungsweise des Versicherers sein. Änderungen können daher bei einer Nachbegutachtung innerhalb eines Dreijahreszeitraumes von beiden Seiten gefordert und dann berücksichtigt werden.

Zur Erstbemessung bedarf es aber zunächst eine Prognose zum verbleibenden Dauerschaden.

Im vorliegenden Fall hatte die Vorinstanz zunächst festgestellt, dass hinsichtlich der nicht abschließenden Entscheidung des Versicherers lediglich eine abschließende Erstbemessung der Invalidität vorgenommen wurde. Gleichzeitig hat dieses Gericht jedoch angenommen, dass nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach den Versicherungsbedingungen (hier 18 Monate) maßgeblich sei. Hier führte das Gericht weiter aus, dass der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung keinen bestimmten Umsatz oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraussetze. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten damit das Landgericht und der Sachverständige zutreffend berücksichtigt.

Dies hielt der rechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand.

Zunächst hat der Bundesgerichtshof festgelegt, dass eine Neubemessung der Invalidität innerhalb des vertraglich vorgesehenen Drei-Jahres-Zeitraums erst dann in Betracht kommt, wenn zuvor eine Erstbemessung stattgefunden hat.

Der Versicherer kann daher mit der – wie in der Praxis sehr häufig anzutreffenden – nur vorläufigen Entscheidung über die Erstbemessung der Invalidität den zu berücksichtigenden Zeitraum nicht künstlich verlängern. Ist der Zeitraum für die mögliche Nachbemessung (drei Jahre) im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung des Versicherers über den Invaliditätsgrad bereits abgelaufen, wird demnach eine Nachbemessung auch nicht mehr stattfinden.

Grundsätzlich hat der Bundesgerichtshof darüber hinaus festgestellt, dass bei der Erstbemessung der Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung offenbar gewordenen Umstände heranzuziehen seien. Daraus folge aber jedoch nur, dass die Erstbemessung der Invalidität bezüglich Grund und Höhe zum Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätsfrist (hier 18 Monate nach dem Unfall) erfolgen muss. Dies bedeutet also lediglich, dass rückschauend eine Betrachtung vorzunehmen ist, ob – bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätsfrist – gegebenenfalls bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnet waren. Hatte also ein Arzt bei seiner Prognose weitere Verletzungen übersehen, könnten diese mit berücksichtigt werden. Spätere unvorhersehbare gesundheitliche Entwicklungen beeinflussen hingegen die Prognoseentscheidung im Nachhinein nicht.

Somit ist letztlich rückschauend auf den damaligen Zeitpunkt festzustellen, ob die Prognose des Dauerschadens dem Grunde und der Höhe nach richtig getroffen war.

Soweit also im vorliegenden Fall zu einem späteren Zeitpunkt ein geringerer Invaliditätsgrad festzustellen war, jedoch der ursprünglich festgestellte Invaliditätsgrad zum damaligen Zeitpunkt richtig war, wäre eine spätere Rückforderung seitens des Versicherers zu Unrecht erfolgt.

Da hier noch eine weitere Begutachtung und Beurteilung des Falls vorgenommen werden musste, hatte der Bundesgerichtshof den Fall nicht abschließend zu entscheiden und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Fazit:

In der Unfallversicherung kann es hinsichtlich der zu erbringenden Leistung des Versicherers somit erheblich auf das Verhalten des Versicherers und dessen rechtzeitige Feststellungen ankommen. Eine Überprüfung der Feststellungen des Versicherers kann durchaus zu erheblichen Leistungsunterschieden führen. Für den Versicherungsmakler ist die Betreuung eines Unfallversicherungsvertrages bei der Schadensabwicklung eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, bei der er viele Fallstricke zu beachten hat.

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