Sehr geehrte Mandantinnen und Mandanten, sehr geehrte Versicherungsmaklerinnen und Versicherungsmakler, was passiert eigentlich, wenn der Kunde einfach behauptet, er habe nie eine Beratungsdokumentation erhalten? Mit dieser Rechtsfrage hatte sich das OLG Karlsruhe zu befassen. Sie finden die Entscheidung auch in der Zeitschrift für Versicherungsrecht 2022, Seite 237. Ich erlaube mir den Fall in aller Kürze für Sie zusammenzufassen:
Im Jahre 2010 hatte der Versicherungsnehmer eine Rürup-Rente mit einem monatlichen Beitrag von € 200,00 für eine Laufzeit von 26 Jahren abgeschlossen. Über viele Jahre zahlte er jeweils pünktlich die Versicherungsbeiträge. Dann hatte er erfahren, dass er keine Möglichkeiten hätte, an das eingezahlte Kapital (Rückkaufswert) von dieser Altersversorgung zu gelangen. Wenn er das bei Vertragsschluss gewusst hätte, hätte er einen solchen Vertrag nie abgeschlossen und verlangte die Rückzahlung aller seiner eingezahlten Beiträge wegen Falschberatung.
Wie so häufig ist dann in einem gerichtlichen Verfahren vieles streitig. Der Versicherungsvermittler hat dargelegt, dass er eine ordnungsgemäße Beratung durchgeführt habe und er berief sich auf die von ihm am 28.09.2010 erstellte und zugeschickte Beratungsdokumentation. Der Kläger (Versicherungsnehmer) behauptete, dass ein solches Beratungsgespräch überhaupt nicht stattgefunden habe, außerdem habe er auch nicht die Beratungsdokumentation erhalten.
Unstreitig war zwischen den Parteien eigentlich nur, dass sich der Kläger damals noch in einem Privatinsolvenzverfahren befand und er sich im Laufe des Jahres 2010 selbstständig machen wollte. Dies als sehr kurze Zusammenfassung der wesentlichen Sachverhalte, die dann zu einer Entscheidung des OLG Karlsruhe führten.
Rechtliche Bewertung:
Zunächst musste das Gericht eine Entscheidung darüber treffen, welcher der strittigen Sachverhalte für die rechtliche Bewertung zugrunde zu legen ist. Daher kam es zunächst auf die Frage an, ob denn die Beratungsdokumentation, die der Versicherungsvermittler vorgelegt hatte, in der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen ist oder nicht. Folgende klarstellenden Worte wurden vom Gericht gefunden:
Die Beweislast für die Einhaltung der Dokumentationspflichten (§§ 61 Abs. 1, 62 Abs. 1 VVG) obliegen dem Versicherungsvermittler. Der Versicherungsvermittler hat nicht nachgewiesen, dass der Kläger die vorgelegte Dokumentation mit dem in Kopie vorgelegten Anschreiben vom 28.09.2010 erhalten hat. Einen Nachweis für den Zugang des Schreibens nebst Anlage hat der Versicherungsvermittler nicht geführt. Eine (mögliche) Absendung der Beratungsdokumentation reicht zum Nachweis des Zuganges nicht aus. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger die vorgelegte Beratungsdokumentation erhalten hat. Da eine rechtzeitige Übermittlung der vorgelegten Beratungsdokumentation nicht nachgewiesen ist, ist für die Entscheidung des Senats vom Fehlen einer ordnungsgemäßen Beratungsdokumentation auszugehen.
Bei fehlender oder unzureichender Dokumentation des Beratungsablaufes muss – bei widerstreitendem Sachvortrag – der Versicherungsvermittler diejenigen Umstände nachweisen, die für die Erfüllung seiner Beratungspflichten maßgeblich sind. Dies folgt aus dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Dokumentationspflicht. Denn eine korrekte Beratungsdokumentation soll es dem Versicherungsnehmer später ermöglichen, aufgrund einer korrekten Dokumentation Schadenersatzansprüche geltend zu machen, wenn die Beratung in wesentlichen Punkten fehlerhaft war. Aus diesen Gesichtspunkten folgt eine Umkehr der Beweislast, wenn eine der Anforderungen des Gesetzes entsprechende Dokumentation fehlt, bzw. wenn der Versicherungsvermittler die Einhaltung der Dokumentationspflicht nicht nachweisen kann.
Damit legte das OLG Karlsruhe die Beweislast für eine ordnungsgemäße Beratung und deren Dokumentation dem Versicherungsvermittler auf, wenn der Vermittler nicht den rechtzeitigen Zugang der Dokumentation nachweisen kann!
Hinsichtlich der Beratungspflichten vertrat das OLG die Auffassung, dass es eines Hinweises in der Beratung bei einer Rürup-Rente schon erforderlich ist, darauf hinzuweisen, dass vor dem vereinbarten Rentenbeginn keine Möglichkeit bestand, eine vorzeitige Auszahlung des angesparten Kapitals zu erhalten. Dies sei wesentlich und erforderlich, bei der Vermittlung einer Rürup-Rente.
Den Nachweis, dass ein solcher Hinweis oder eine solche Beratung erfolgt sei, konnte der Versicherungsvermittler aber nicht erbringen. Wie auch, in der Regel gibt es keine Zeugen, daher ist die Dokumentation so wichtig. Das Gericht schenkte folglich – wegen der Beweislastumkehr – dem Sachvortrag des Kunden Glauben, dass es eine solche Beratung seinerzeit nicht gegeben habe.
Diese Entscheidung des OLG ist kein Einzelfall, wenn es um die Hinweispflichten bei einer Rürup-Rente geht. So entschied auch bereits das OLG Saarbrücken am 26.02.2014 (AZ: 5 U 64/13) als auch das OLG Brandenburg am 18.09.2018 (AZ: 3 U 88/17) darüber, dass der oben dargelegte Hinweis in der Beratung einer Rürup-Rente zwingend erforderlich ist.
Die „Nichtverfügbarkeit“ über die eingezahlten Beiträge bedarf dringend immer der Dokumentation!
Wenn ein solcher Nachweis der Beratung nicht erbracht werden kann, ist juristisch davon auszugehen, dass eine solche Beratung auch nicht stattgefunden habe, wenn der Kunde dies einfach in Abrede stellt (Bestreiten). Da eine solche Beratung erforderlich sein, stelle die nicht nachgewiesene Beratung einen erheblichen Beratungsfehler dar. Der Vermittler konnte also auch nicht den Beweis erbringen, dass der Kunde von sich aus den Wunsch nach einer Rürup-Rente geäußert hatte oder dass er die wesentlichen Bedingungen eines solchen Vertrages kannte.
Das Gericht ist zudem der Auffassung, dass der Beratungsfehler auch zu einer Umkehr der Beweislast bei der Frage der Kausalität führt. Es ist zu vermuten, dass sich der Kläger bei korrekter Beratung gegen eine Rürup-Rente entschieden hätte. Außerdem ist anzunehmen, dass ein Rürup-Vertrag ohne die fehlerhafte Beratung des Versicherungsvermittlers nicht abgeschlossen worden wäre.
Damit sei dem Kläger ein Schaden in Höhe der eingezahlten Versicherungsbeiträge entstanden. Bislang hatte er bereits € 11.600,00 gezahlt. Da der Kunde so zu stellen ist, als habe er den Vertrag nicht abgeschlossen, habe er die gezahlten Versicherungsprämien erstattet zu bekommen.
In der vorliegenden Entscheidung erfolgte die Vermittlung durch einen Versicherungsvertreter. Dementsprechend haftet auch der Versicherer für seinen Versicherungsvertreter gem. § 278 BGB. Aus der Pflichtverletzung des Vermittlers ergibt sich daher unmittelbar die Haftung des Versicherers gem. § 6 Abs. 1, Abs 5 VVG.
Wäre das Vertragsverhältnis aber von einem Versicherungsmakler vermittelt worden, so hätte dieser alle gezahlten Versicherungsbeiträge zu erstatten. Im Gegenzug müsste der Versicherungsmakler natürlich auch Zug um Zug die Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag erhalten. Das Ergebnis aus Kundensicht ist aber in beiden Konstellationen so ziemlich das gleiche. Über diesen Argumentationsweg kann der Kunde die „Rückabwicklung“ seines ungewünschten Vertragsverhältnisses verlangen.
Fazit:
Auf den Punkt gebracht bedeutet diese Entscheidung, dass alle Versicherungsvermittler – egal ob Versicherungsmakler oder Versicherungsvertreter – dafür darlegungs- und beweisbelastet sind, dass der Kunde die Beratungsdokumentation rechtzeitig erhalten hat. Würde der Kunde einfach nur behaupten, er habe nie eine Beratungsdokumentation erhalten, so entsteht eine Umkehr der Beweislast, wenn der Versicherungsvermittler nicht auch den rechtzeitigen Zugang (nicht Absendung!) nachweisen kann.
Die Übersendung einer Beratungsdokumentation auf dem Postwege ist im Falle des Bestreitens des Kunden in der Regel nicht ausreichend. Denn es genügt nicht der Zeitpunkt der Absendung. Der Versicherungsmakler muss den Beweis führen, dass seine Beratungsdokumentation auch nachweislich beim Kunden zugegangen ist. Mit „normaler Post“ ist dies nicht möglich.
Der Versicherungsvermittler ist nicht nur beweisbelastet, dass der Kunde eine Beratungsdokumentation erhalten hat, er muss auch den Nachweis erbringen, dass dies rechtzeitig war. Rechtzeitig bedeutet also, dass der Kunde die Beratungsdokumentation erhalten haben muss, bevor der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist. Auch ein späterer Zugang einer Beratungsdokumentation wäre im Sinne der Entscheidung des OLG Karlsruhe nicht mehr rechtzeitig.
Die Folge, dass der Versicherungsvermittler nicht den rechtzeitigen Zugang nachweisen kann, ist eine Umkehr der Beweislast über die Beratungsinhalte. Dies bedeutet, dass nicht mehr der Kunde für eine Pflichtverletzung oder deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist. Es ist vielmehr dann der Versicherungsvermittler oder -makler.
Ist also beispielsweise bei einer Rürup-Rente nicht nachzuweisen, dass darauf hingewiesen wurde, dass eine vorzeitige Rückzahlung des eingezahlten Kapitals nicht möglich ist, so qualifiziert die Rechtsprechung dies als unzureichende Beratung mit der Folge, dass das Vertragsverhältnis hinsichtlich der eingezahlten Versicherungsbeiträge rückabzuwickeln ist.
Für Versicherungsvermittler ist es daher sehr wichtig den Nachweis zu erbringen, dass der Kunde auch wirklich rechtzeitig die Beratungsdokumentation erhalten hat. Dies ist natürlich am einfachsten der Fall, wenn der Kunde auch den Erhalt der Beratungsdokumentation unterzeichnet hat.
Da rechtlich gesehen eine Unterschrift nicht erforderlich ist, müsste sich jeder Versicherungsvermittler zumindest den Zugang der Beratungsdokumentation vom Kunden bestätigen lassen.
Die Versendung einer Beratungsdokumentation per Email sollte in der Form erfolgen, dass der Kunde eine Empfangsbestätigung zurückschickt. Dabei kann auch möglicherweise eine automatische Empfangsbestätigung ausreichend sein, die Sie anfordern können.
Ansonsten würde der Jurist sagen, dass natürlich auch noch die Möglichkeit eines Einwurf-Einschreibens besteht. Dies wirkt aber auf den ersten Blick nach einer übertriebenen Maßnahme, die Zeit und Kosten verursacht.
Vielleicht ist es also doch am besten, wenn der Versicherungsnehmer die Beratungsdokumentation immer unterzeichnet zurücksendet? So hätten Sie mehr Sicherheit! Die Beweislastumkehr mit der einfachen Behauptung des Kunden „hab´ ich nie bekommen“ ist „tödlich“! Denn dann werden vor Gericht immer den Aussagen des Kunden glauben geschenkt und Sie hätten nicht oder schlecht beraten.
Herzliche Grüße!
Ihr,
Stephan Michaelis LL.M.
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht