Zugesprochen
Landgericht Flensburg
Urteil vom 10.12.2020
Aktenzeichen 4 O 153/20
Stichwörter: kein Anerkenntnis der Entschädigungsansprüche, keine abschließende Aufzählung
Urteil
Tatbestand
Der Kläger macht Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine sogenannte „Gastro Police“, mit der für das Bistro des Klägers im …weg … in S Sachsubstanz-, Ertragsausfall- und Haftpflichtschäden einschließlich einer Betriebsunterbrechung und Betriebsschließung versichert sind. Die Höchstentschädigung für den Sachsubstanz- und Ertragsausfallschaden einschließlich Kosten ist auf 400.000 € festgelegt. Einbezogen sind die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Gastro Police der … Versicherungen (AVB), die in Teil C § 1 Nr. 1 zum Versicherungsumfang folgende Regelung enthalten: „Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nummer 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt.“ Nummer 2 lautet dann: „Meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind folgende, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: es folgt eine Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger, in der das Sars-Corona-Virus nicht genannt ist. In § 2 Nummer 3 wird zur Entschädigungsberechnung festgelegt, dass im Versicherungsfall die Tagesentschädigung mit dem vereinbarten Promillesatz und die maximalen Entschädigungsleistungen für die sonstigen versicherten Kosten mit dem jeweils vereinbarten Prozentsatz aus der Versicherungssumme des vom Schaden betroffenen Versicherungsorts (Betriebsstelle) errechnet wird. Im Falle der Schließung ersetzt der Versicherer den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer, wobei die vereinbarte Tagesentschädigung 4 Promille der Versicherungssumme, maximal 1000 € beträgt bei einer vereinbarten Dauer von 30 Schließungstagen. § 5 Nummer 1 a AVB bestimmt, dass ein Anspruch auf Entschädigung nicht besteht, soweit Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden kann.
Am 17.3.2020 erließ die Landesregierung Schleswig-Holstein eine Landesverordnung zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, die in § 3 bestimmte, dass Gaststätten im Sinne von § 1 des Gaststättengesetzes zu schließen sind und diese Betriebe nur Leistungen im Rahmen eines Außerhausverkaufs für den täglichen Bedarf nach telefonischer oder elektronischer Bestellung erbringen dürfen. Die Verordnung trat am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Der Kläger schloss sein Bistro und meldete der Beklagten noch am 18.3.2020 seinen Schaden aus der Betriebsschließung. Mit Schreiben vom 6.5.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie an den Kläger eine Vorauszahlung in Höhe von 9600 € überweise und diese Vorauszahlung die ersten 15 Tage erfasse. Zu beachten sei, dass die Zahlung ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolge, weitere Vorzahlungen würden erst erfolgen, wenn der Bescheid über die Soforthilfe vorliege. Unter dem 12.5.2020 forderte die Beklagte erneut den Soforthilfebescheid zur abschließenden Regulierung des Schadensfalls an, worauf der Kläger seine jetzigen Prozessbevollmächtigten beauftragte, die für den Kläger mit Schreiben vom 25.5.2020 an die Beklagte darauf hinwiesen, dass der Kläger keine öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüche habe und deshalb keine Abzüge vorzunehmen seien. Wegen der Schließung an mehr als 30 Betriebstagen könne der Kläger eine Versicherungsleistung von 30.000 € beanspruchen, weshalb sie die Restzahlung von 20.400 € bis zum 8.6.2020 einforderten. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 26.5.2020, dass die Soforthilfe nur anteilig anzurechnen sei und deshalb an die Übersendung des Soforthilfebescheids erinnert werde. Der Kläger öffnete sein Bistro wieder ab dem 18.5.2020.
Der Kläger trägt vor, es bestehe ein Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von 30.000 €. Diesen Anspruch habe die Beklagte mit Schreiben vom 6.5.2020 und vom 12.5.2020 anerkannt. Ungeachtet dessen bestehe aber auch ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, da der Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus geschlossen worden sei und Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige erfolgt seien. Die Formulierung in Teil C § 1 AVB sei jedenfalls gemäß § 305 c Abs. 2 BGB als dynamische Verweisung auf alle unter diese Vorschrift fallenden Krankheiten und Krankheitserreger auszulegen, sodass durch die Eilverordnung des Bundesgesundheitsamtes vom 30.1.2020 gemäß § 15 Abs. 2 IfSG über die Generalklausel in § 6 Abs. 1 Nummer 5 und § 7 Abs. 2 IfSG der Katalog der Krankheitserreger auf das Sars-Corona-Virus erweitert worden sei. Es liege somit eine faktische Schließung seines Betriebes vor. Die Betriebsschließungsversicherung sei eine Summenversicherung, sodass jegliche Anrechnung von Entschädigungszahlungen ausscheide.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- an ihn 20.400 € nebst 5%-Punkten an Zinsen jährlich hierauf über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9.6.2020 zu zahlen,
1a. hilfsweise an ihn 20.400 € als zinsloses Darlehen zu gewähren,
- ihm an vorgerichtlichen Anwaltskosten netto 984,60 € nebst 5%-Punkten an Zinsen jährlich hierauf über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.6.2020 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, ein vorbehaltloses Anerkenntnis liege nicht vor. Ebenso wenig bestünde ein Entschädigungsanspruch aus der Betriebsschließungsversicherung. Das Sars-Corona-Virus sei in der Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in Teil C § 1 Nummer 2 AVB nicht genannt, sodass für diesen Krankheitserreger kein Entschädigungsanspruch bestehe. Die Aufzählung dieser Krankheiten und Krankheitserreger sei abschließend. Die Landesverordnung vom 17.3.2020 sei unwirksam, sodass es an einer behördlichen Anordnung zur Schließung der Gaststätte fehle. Die Unwirksamkeit folge daraus, dass eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage angegeben sei und auch dem Zitiergebot nicht hinreichend Rechnung getragen worden sei. Ferner erfasse die Betriebsschließungsversicherung nur betriebsinterne Gefahren, hingegen keine abstrakt-generellen präventiven Gesundheitsmaßnahmen. Auch habe für den Kläger kein Tätigkeits- oder Vertretungsverbot für seine Gaststätte bestanden, sodass er Bürotätigkeiten und Lager- oder Renovierungsarbeiten ebenso hätte ausführen können wie er den Außerhausverkauf wahrgenommen habe. Da es sich um eine Schadensversicherung handele, müsse der Kläger einen konkreten Schaden darlegen, was er nicht getan habe. Zudem seien öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche anzurechnen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
Allerdings liegt entgegen der Auffassung des Klägers kein Anerkenntnis der Entschädigungsansprüche seitens der Beklagten vor. Voraussetzung eines auch nur deklaratorischen Schuldanerkenntnisses nach § 781 BGB ist, dass ein zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit entzogen wird, sodass die Parteien nach den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für die Bestätigung haben müssen (BGH NJW 2008, 3425). So hat das OLG Frankfurt (r+s 2008, 522) ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis in einem Fall verneint, in dem ein Versicherer auf Kundennachfrage die Höhe der Versicherungsleistung zugunsten des Kunden geändert hatte. Auch das Oberlandesgericht Saarbrücken (r+s 2014, 191) hat in dem Anerkenntnis eines Versicherers in einer Unfallversicherung kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gesehen, sondern lediglich eine Mitteilung über die Regulierung ohne Bindungswirkung und ohne die Wirkung einer Beweislastumkehr bei einem späteren Streit um die Unfallbedingtheit von Bandscheibenverletzungen angenommen. Danach erfüllen die Schreiben der Beklagten vom 6. und 12. Mai 2020 nicht die Voraussetzungen eines Anerkenntnisses. Nach dem Vortrag der Parteien ist dem Schreiben der Beklagten vom 6.5.2020 bis auf die Schadensmeldung keine weitergehende Korrespondenz vorausgegangen. Die Beklagte hat die Zahlung vom 6. Mai 2020 als Vorauszahlung auf die ersten 15 Tage bezeichnet und hervorgehoben, dass die Zahlung unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolge. Streit oder Ungewissheit der Parteien über den Entschädigungsanspruch des Klägers ist mit dieser Zahlung also nicht beseitigt worden, vielmehr scheint die Zahlung von dem Bemühen getragen, die wirtschaftliche Not des Klägers aus der verordneten Betriebsschließung abzufedern und nicht jegliche Leistung von der abschließenden Klärung der Entschädigungsvoraussetzungen abhängig zu machen. Das ist auch die Intention des Schreibens vom 12.5.2020, mit dem weder dem Grunde nach noch bezüglich einer Teilzahlung eine Zahlungszusage der Beklagten getroffen wird. Die Ankündigung einer abschließenden Regulierung enthält keine wie auch immer geartete Zahlungszusage und kann auch mit einem negativen Ergebnis enden. Die beiden Schreiben sind deshalb als bloße Regulierungsmitteilungen zu verstehen, die keine rechtliche Bindungswirkung zur endgültigen und verbindlichen Festlegung der Einstandspflicht beinhalten.
Die Klage ist jedoch aus Teil C § 1, 2 AVB begründet. Das Corona Virus zählt zu den von der Betriebsschließungsversicherung der Parteien eingedeckten Krankheitserregern. Allerdings ist das Corona-Virus in der tabellarischen Auflistung in Teil C § 1 Nummer 2 AVB nicht genannt. Diese Auflistung ist jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht abschließend. Nach § 1 Nummer 1 AVB leistet die Beklagte Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt. Wegen der meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger wird durch einen Klammerzusatz auf § 1 Nummer 2 AVB verwiesen, wonach diese die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger seien. Es sind also als die versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nicht nur die in dem Katalog in § 1 Nummer 2 AVB aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger erfasst, sondern es wird zusätzlich eine Verknüpfung mit §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes hergestellt.
Die Auslegung dieser Klausel hat nach der ständigen Rechtsprechung entsprechend den Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu erfolgen, der die allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam liest sowie vollständig unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs würdigt. Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Die vom Versicherer verfolgten Zwecke sind maßgeblich, sofern sie in den Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden haben, sodass dem aufmerksamen und verständigen Durchschnittsversicherungsnehmer erkennbar sind. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH NJW 2020, 1297).
Durch § 1 CoronaVMeldeV vom 30.1.2020 ist der Kreis der nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 Infektionsschutzgesetz und § 7 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz namentlich zu meldenden Erkrankungen Krankheitserreger auf das Corona-Virus ausgedehnt worden. Damit konnten von den Behörden Maßnahmen auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz gestützt werden, auch wenn erst mit Wirkung vom 23.5.2020 das Corona-Virus in die Kataloge von §§ 6, 7 Infektionsschutzgesetz aufgenommen worden ist (vgl. Armbrüster r+s 2020, 507). Für das Verhältnis von § 1 Nummer 2 AVB zu §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz ist festzustellen, dass in § 1 Nummer 2 AVB keine Beschränkung dahingehend getroffen worden ist, dass nur die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger unabhängig von dem Inhalt der §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger zu den versicherten Krankheiten und Krankheitserregern zählen, sodass die Auflistung nicht als abschließend kenntlich gemacht worden ist. Andererseits wird das Verhältnis der aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger zu §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz auch nicht als dynamische Bezugnahme gekennzeichnet, indem beispielsweise auf die jeweils zum Schadenzeitpunkt aktuelle Fassung der §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz Bezug genommen wird.
Diese Unklarheit werden auch durch die Verwendung des Wortes „namentlich“ nicht überwunden. Es wird in § 1 Nummer 2 AVB nicht formuliert, dass es nur die namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger betreffe, sondern es wird vielmehr formuliert, dass es um die im Infektionsschutzgesetz in §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger ginge, sodass die Verknüpfung mit der Regelung im Infektionsschutzgesetz gerade nicht aufgelöst wird. Diese Mehrdeutigkeit wird auch nicht durch die Verwendung der Wörter „die folgenden“ aufgehoben, da diese Wörter schon vor der Bezugnahme auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz genannt sind, also auch die dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger als „die folgenden“ erfasst werden. Das wäre nur anders zu verstehen, wenn das Wort „folgenden“ erst nach der Bezugnahme auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz eingepflegt worden wäre, indem der Einleitungssatz vom § 1 Nummer 2 AVB beispielsweise lauten würde, dass Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die im Infektionsschutzgesetz in §§ 6 und 7 namentlich genannten folgenden Krankheiten und Krankheitserreger seien. Dann würde die Bezugnahme auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz nur klarstellen, dass die Krankheiten und Krankheitserreger, die § 1 Nummer 2 AVB aufgelistet sind, auch im Infektionsschutzgesetz aufgeführt sind, für den Versicherungsumfang aber nur die in den AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger maßgebend seien. Dieser Satzaufbau ist aber nicht gewählt worden.
Die Mehrdeutigkeit des Wortlauts von § 1 Nummer 2 AVB hinsichtlich der Frage einer abschließenden Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger wird verstärkt durch § 3 Nummer 4 AVB. In dieser Vorschrift ist ein Ausschlusstatbestand formuliert, dass der Versicherer bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf nicht hafte. Die Prionenerkrankung findet aber in § 1 Nummer 2 AVB keine Erwähnung. Wenn aber für Erkrankungen, die in § 1 Nummer 2 AVB nicht genannt sind, Ausschlusstatbestände formuliert werden, bekräftigt das die Annahme, dass die Auflistung in § 1 Nummer 2 AVB nicht als abschließend angesehen werden kann (vergleiche Armbrüster r+s 2020, 508).
Den Versicherungsumfang aus dem Zusammenspiel der Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nummer 2 AVB mit der Bezugnahme auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz kann man somit nur verlässlich ermitteln, indem man die Auflistung in § 1 Nummer 2 AVB mit jener in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz und den dort genannten Krankheiten und Krankheitserregern vergleicht. Ob man daraus die Konsequenz zieht, dass dieser Vergleich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht zumutbar sei und deswegen § 1 Nummer 2 AVB wegen Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist, bedarf nach Ansicht des Gerichts keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls müsste ein Versicherungsnehmer, um die Effektivität seines Versicherungsschutzes zu gewährleisten, ständig eine Überprüfung des Katalogs der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nummer 2 AVB mit dem Katalog in den §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz vornehmen und gegebenenfalls mit einem Änderungsbegehren an seinen Versicherer herantreten. Der Sinn und Zweck der Erwähnung von §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz in § 1 Nummer 2 AVB kann somit nicht darin liegen, eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die in § 1 Nummer 2 bei Abschluss des Versicherungsvertrages genannten Krankheiten und Krankheitserreger zu erreichen, sondern nur in der Sicherstellung einer Anpassung des Versicherungsschutzes an den Katalog der in §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger, um einer ständigen Anpassungsnotwendigkeit zu begegnen.
Für diese Auslegung von § 1 Nummer 2 AVB spricht auch der Einleitungssatz in § 1 Nummer 1 AVB, nach dem der Versicherer Entschädigung leistet beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger. Der Begriff der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger entstammt aber § 6 Infektionsschutzgesetz, sodass § 1 Nummer 2 AVB diese schon angelegte Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz nur intensiviert. Andernfalls wäre es angezeigt gewesen, den Einleitungssatz in § 1 Nummer 1 AVB so zu formulieren, dass Entschädigung geleistet wird beim Auftreten der in § 1 Nummer 2 AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Es lässt sich somit aus dem Vorhandensein eines Katalogs der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nummer 2 AVB keineswegs schließen, dass diese Auflistung allein wegen des Katalogcharakters abschließend ist, sodass jedenfalls die Anwendung der Unklarheitenregel in § 305 c Abs. 2 BGB dazu führen muss, dass der Versicherungsschutz sich auch auf das Corona-Virus erstreckt, auch wenn dieses noch nicht in dem Katalog von § 1 Nummer 2 AVB genannt ist. Indem nämlich das Corona-Virus durch § 1 CoronaVMeldeV vom 30.1.2020 in den Kreis der nach §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz zu meldenden Erkrankungen und Krankheitserreger aufgenommen worden ist, zählte es zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls ab Schließung des Betriebs des Klägers am 18.3.2020 zu den meldepflichtigen Krankheiten und oder Krankheitserregern im Sinne von § 1 Nummer 1 AVB.
Mit der Landesverordnung vom 17. März 2020 hat die Landesregierung als zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes den Betrieb des Klägers geschlossen. § 3 der Landesverordnung bestimmt, dass Gaststätten im Sinne von § 1 des Gaststättengesetzes zu schließen sind. Soweit die Beklagte aufgrund formeller Bedenken die Unwirksamkeit dieser Landesverordnung annimmt, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts findet die Landesverordnung in §§ 32, 28 Infektionsschutzgesetz eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage und ist auch keinen Bedenken in formeller Hinsicht ausgesetzt (vgl. 3 MR 4/20, Beschluss vom 9.4.2020 zu einer Landesverordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 8.4.2020). Damit hat die Landesregierung als zuständige Behörde nach § 32 Infektionsschutzgesetz die Schließung der Gaststätte angeordnet. Selbst wenn man aus Gründen des Zitiergebots und des Parlamentsvorbehalts Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Landesverordnung haben wollte, begründet das nicht die Nichtigkeit der Landesverordnung. Nach § 67 Landesjustizgesetz in Verbindung mit § 47 Verwaltungsgerichtsordnung haben die Oberverwaltungsgerichte über die Gültigkeit von im Rahmen unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften zu entscheiden. Eine Aufhebung der Landesverordnung durch das Oberverwaltungsgericht ist nicht erfolgt, somit war die Landesverordnung unmittelbar geltendes und gültiges Recht. Ebenso wenig leidet die Landesverordnung an einen offensichtlichen, zur Nichtigkeit führenden Fehler, wie sich bereits aus der oben zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein ergibt, die auf die vorliegende Landesverordnung zu übertragen ist.
Das von der Beklagten aufgestellte Erfordernis des Vorliegens einer betriebsinternen Gefahr lässt sich § 1 Nummer 1 AVB nicht entnehmen. Nach dem Wortlaut der Regelung muss die Anordnung der zuständigen Behörde zur Schließung des versicherten Betriebes zur Verhinderung oder Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger geführt haben. Das war vorliegend der Fall. Gerade aus diesem Grunde der Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus ist die Schließung der Gaststätten in § 3 der Landesverordnung angeordnet war. Es wird in § 1 Nummer 1 Satz 1 AVB nicht danach differenziert, was die Schließung des Betriebs zur Verhinderung oder Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger veranlasst hat, ob es nämlich externe Gefahren waren, die diese Schließung angezeigt sein ließen, oder interne Gefahren des Betriebs. Die in § 1 Nummer 1 Satz 2 AVB genannten Tätigkeitsverbote gegen Betriebsangehörige werden der Betriebsschließung gleichgestellt, sodass es sich um eine erweiternde Regelung zur Betriebsschließung handelt, aus der aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass die vorgenannten Voraussetzungen einer Betriebsschließung nach § 1 Nummer 1 Satz 1 AVB gleichfalls betriebsinternen Umständen entspringen müssen. Die weiteren in § 1 Nummer 1 AVB genannten Haftungsfälle auf Anordnung der Desinfektion der Betriebsräume und dergleichen stellen ebenso nur haftungserweiternde Regelungen auf Anordnungen der Behörde dar, die keinen Rückschluss auf die einer etwaigen Betriebsschließung zugrunde liegenden Gefahrenlage eröffnen.
- 3 der Landesverordnung ordnet in Abs. 1 die Schließung der Gaststätte an. Das ist die Kernaussage der Anordnung der Landesregierung, die klar und unmissverständlich formuliert ist. Damit war der Kernbereich der Gaststätte des Klägers betroffen. Ob gesonderte Tätigkeits- oder Betretungsverbote angeordnet waren, kann somit aufgrund dieser Schließungsanordnung dahingestellt bleiben. § 3 Abs. 2 der Landesverordnung eröffnet lediglich eine Ausnahmeregelung für den Außerhausverkauf nach vorheriger Bestellung. Nach dem Vortrag der Beklagten, dem der Kläger nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten ist, muss es gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig angesehen werden, dass der Kläger sowohl bei der ersten Anordnung einer Betriebsschließung ab 18. März 2020 als auch bei der zweiten Anordnung ab 9. November 2020 einen Außerhausverkauf wahrgenommen hat. Aus dem von der Beklagten zitierten Internetauftritt des Klägers ergibt sich aber auch, dass der Kläger sowohl im Frühjahr als auch im Herbst wegen der jeweils erfolgten Schließungsanordnung diesen Außerhausverkauf gestartet hat, indem auf der Internetseite formuliert wurde, dass sie ab Montag den 9. November, wie schon im Frühjahr, mit ihrem Außerhausverkauf starten. Der Kläger hat das also nur als Notlösung umgesetzt, um die nach der Schließungsanordnung der Landesverordnung verbleibenden Betätigungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Es lässt sich aber dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen, dass ein Außerhausverkauf durchgängig ein geschäftliches Standbein des Klägers gebildet hat, sodass dieser Teil des Betriebes des Klägers uneingeschränkt hätte fortgesetzt werden können. Der Außerhausverkauf war gerade keine Alternative für den Kläger, da er diesen weder vor noch nach der ersten Betriebsschließungsanordnung ab dem 18. März 2020 nach dem Vortrag der Beklagten wahrgenommen hat, sondern ausschließlich zu Überbrückung der Folgen der Schließungsanordnung vom 17. März 2020. Der unabhängig von der Landesverordnung vom 17. März 2020 geführte Betrieb war somit geschlossen und musste nach § 3 Abs. 1 der Landesverordnung vom 17. März 2020 geschlossen werden, sodass eine Betriebsschließung vorgelegen hat.
Hinsichtlich der Höhe der Entschädigungsleistung bestimmt § 2 Nummer 3 AVB, dass der Versicherer im Falle einer Schließung des Betriebes den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer ersetzt. Vereinbarte Tagesentschädigung war 4 Promille der Versicherungssumme, maximal 1000 €, bei einer vereinbarten Dauer von 30 Schließungstagen. Auch wenn diese Entschädigungsregelung deutliche Züge einer Summenversicherung trägt, kann die Frage der Abgrenzung zur Schadensversicherung dahinstehen, da dadurch der Beklagten allenfalls die Anwendbarkeit von § 76 VVG eröffnet würde. Danach könnte die Beklagte die vereinbarte Tagesentschädigung mindern, wenn sie den wirklichen Versicherungswert erheblich übersteigt, wenn also eine erhebliche Bereicherung des Versicherungsnehmers eintreten würde (Prölss/Martin-Armbrüster § 76 VVG Rn. 12). Dafür fehlt jeglicher Vortrag der darlegungspflichtigen Beklagten. Zu bedenken bleibt, dass die Schließung der Gaststätte des Klägers bis einschließlich dem 17. Mai 2020 und damit deutlich länger als die vereinbarte Dauer der Tagesentschädigung mit maximal 30 Schließungstagen fortbestanden hat. Dem Antrag der Beklagten, der Kläger habe im Rahmen der sekundären Darlegungslast die betriebswirtschaftlichen Auswertungen für 2019 und das 1. Halbjahr 2020 vorzulegen, ist nicht zu folgen. Es wäre zunächst an der Beklagten, überhaupt Anhaltspunkte für eine Bereicherung des Klägers durch die Entschädigungsleistung darzulegen. Schon das ist nicht geschehen. Erst im Falle eines etwaigen Bestreitens dieses Vortrags dürfte sich der Kläger nicht auf ein pauschales Bestreiten zurückziehen, sondern müsste im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast die konkreten betriebswirtschaftlichen Auswirkungen aufzeigen.
Ebenso wenig ist der Entschädigungsanspruch des Klägers aufgrund öffentlich-rechtlicher Entschädigungsansprüche zu kürzen, auch wenn § 5 Nummer 1 a AVB bestimmt, dass die Entschädigungspflicht der Beklagten wegfällt, soweit der Kläger Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beanspruchen kann. Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich diesbezüglich darauf, die einschlägigen Rechtsinstitutedes öffentllich-rechtlichen Entschädigungsrechts wie einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 Grundgesetz, Entschädigungsansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff, Ansprüche wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Ansprüche aus Aufopferung oder aus §§ 56, 65 Infektionsschutzgesetz aufzuzeigen, ohne jedoch die jeweils einschlägigen Voraussetzungen schlüssig darzulegen. Die §§ 56, 65 Infektionsschutzgesetz sind jedenfalls unmittelbar nicht anwendbar. Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung eines Amtsträgers für einen Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB, Art. 34 Grundgesetz ist weder dargelegt noch ersichtlich. Bezüglich der fehlenden Rechtswidrigkeit der Landesverordnung vom 17.3.2020 wird auf obige Ausführungen verwiesen. Selbst wenn man die Zweifel hinsichtlich des Zitiergebots und des Parlamentsvorbehalts teilen wollte, fehlt jedenfalls jegliche Darlegung hinsichtlich eines daraus erwachsenen kausalen Schadens, der dann auch noch die Qualität eines Sonderopfers erlangen müsste, wollte man den Rechtsinstituten des enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs näher treten. Letztlich geht auch der Verweis auf die Soforthilfe und das Kurzarbeitergeld ins Leere, da der Kläger als Gewerbetreibender keinen Anspruch auf das Kurzarbeitergeld hat gemäß § 95 Nummer 1 SGB III und die Soforthilfe als Liquiditätshilfe ausgestaltet ist, um zur Überwindung kurzfristiger Liquiditätsengpässe beizutragen, dem Kläger aber keinen Rechtsanspruch in der Form eines Schadensersatzanspruchs gewährt.
Bei der im Versicherungsvertrag vereinbarten Entschädigungsleistung von maximal 1000 € täglich für eine Höchstdauer von 30 Schließungstagen errechnet sich eine Entschädigung von 30.000 €. Darauf hat die Beklagte unstreitig 9600 € gezahlt. Es verbleibt somit ein offener Restbetrag von 20.400,00 €. Dessen Zahlung hat der Kläger mit Anwaltsschriftsatz vom 25. Mai 2020 mit einer Zahlungsfrist bis zum 8.6.2020 angemahnt. Mit Fristablauf ist die Beklagte in Zahlungsverzug geraten. Ihr Verteidigungsvorbringen, die abschließende Regulierung des Schadensfalls von der Vorlage des Soforthilfebescheids abhängig zu machen, hat aus den dargelegten Gründen kein Zurückbehaltungsrecht begründet, sodass der Schuldnerverzug der Beklagten eingetreten ist. Der Zinsanspruch folgt somit aus § 288 BGB.
Unbegründet ist jedoch das Begehren des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Schon das verzugsbegründende Schreiben vom 25.5.2020 stammt von den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, sodass der Kläger seine jetzigen Prozessbevollmächtigten schon vorher beauftragt haben muss, also deren Gebührenanspruch schon vor Verzugseintritt entstanden war, sodass es an der notwendigen Kausalität zwischen dem Eintritt des Schuldnerverzugs und den entstandenen vorgerichtlichen Kosten fehlt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.