Zugesprochen
Landgericht Darmstadt
Urteil vom 09.12.2020
Aktenzeichen 4 O 220/20

Stichwörter: keine abschließende Aufzählung, Klausel ist intransparent,

Urteil

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.

Die Klägerin betreibt ein Hotel mit 190 Zimmern in [Ort] in unmittelbarer Nähe zum Unterhaltungszentrum A. Das A ist ein Erlebniscenter in [Ort] und eine der größten … Freizeiteinrichtungen. Es besteht aus zwei Musicaltheatern, einer Spielbank, sechs Restaurants, sieben Bars und drei Cafés, einem Filmpalast, sowie Konferenz- und Tagungsräumen und Wellness-Einrichtungen. Die Klägerin betreibt eines von zwei Hotels, das sich auf dem Areal des A befindet.

Das Hotel der Klägerin wendet sich jedenfalls auch ausdrücklich an Geschäftsreisende.

Die Klägerin erwirtschaftete im Jahr 2016 einen Jahresumsatz von 6,8 Mio. €, welcher auch in dem Beratungsprotokoll zum Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrags genannt ist, und im Jahr 2019 einen Umsatz von netto über 7 Mio. €.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung, der insbesondere die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) AVB-BS Stand 01.01.2016 (im Folgenden: „AVB-BS“), die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) BBR-BS Stand 01.01.2016 (im Folgenden: „BBR-BS“) sowie das Produktinformationsblatt Betriebsschließungsversicherung Stand 01.01.2016 zugrunde liegen. Der Vertrag wurde Ende 2016 mit Versicherungsbeginn zum 01.01.2017 geschlossen.

In der Betriebsschließungsversicherung der Klägerin ist eine Tagesentschädigung in Höhe von 18.000 € bis zur Dauer von 30 Schließungstagen vereinbart.

  • 1 AVB-BS unter der Überschrift „Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“ lautet auszugsweise wie folgt:

„1 Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG [in einer Fußnote heißt es: „Auf Wunsch werde[n] Auszüge zu den genannten Gesetzestexten zur Verfügung gestellt“]) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

  1. a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

2 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

  1. a) Krankheiten es folgt eine Auflistung von Krankheiten in Spiegelstrichen, bei der die Krankheit COVID-19 nicht enthalten ist und insbesondere auch folgende Krankheiten gegenüber der Auflistung in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 IfSG in der im Zeitraum zwischen 29.3.2013 und 24.07.2017 geltenden Fassung nicht enthalten sind: humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiär-hereditärer Formen; Mumps; Pertussis, Röteln einschließlich Rötelnembryopathie
  1. b) Krankheitserreger es folgt eine Auflistung von Krankheitserregern in Spiegelstrichen, bei der das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 nicht enthalten ist und bei der gegenüber der Auflistung in § 7 Abs. 1 und 3 IfSG in der im Zeitraum zwischen 29.3.2013 und 24.07.2017 geltenden Fassung auch folgender Krankheitserreger nicht enthalten ist: Varizella-Zoster-Virus“
  • 2 AVB-BS lautet unter der Überschrift „Umfang der Entschädigung“ auszugsweise wie folgt:

„3 Entschädigungsberechnung

Der Versicherer ersetzt im Falle a) einer Schließung nach § 1 Nr. 1 a) den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Tage, an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.

…“

  • 3 AVB-BS unter der Überschrift „Ausschlüsse“ lautet auszugsweise wie folgt:

„4. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“

  • 21 AVB-BS unter der Überschrift Wegfall der Entschädigungspflicht aus besonderen Gründen lautet auszugsweise wie folgt:

„1 Öffentlichrechtliches Entschädigungsrecht

  1. a) Ein Anspruch auf Entschädigung besteht insoweit nicht, als Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden kann (z.B. nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, den Vorschriften über Amtshaftung oder Aufopferung oder EU-Vorschriften). Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, unverzüglich entsprechende Anträge zu stellen. Der Versicherungsnehmer kann jedoch verlangen, dass ihm der Versicherer insoweit ein zinsloses Darlehen bis zur Höhe einer nach §§ 2 und 7 berechneten Versicherungsleistung zur Verfügung stellt

…“

Im Produktinformationsblatt zu Betriebsschließungsversicherung heißt es in Ziff. 2 unter der Überschrift „Umfang der Versicherung“ auszugsweise wie folgt:

„Die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr sichert den Inhaber eines Betriebs vor den wirtschaftlichen Folgen einer im Betrieb aufgetretenen Infektion ab.

Die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz = IfSG) bei Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger

– den versicherten Betrieb schließt;

– Tätigkeitsverbote – auch für einzelne Beschäftigte Personen – verhängt;

…“

Eine Broschüre der Beklagten – deren Erhalt die Klägerin bestreitet – stellt insbesondere darauf ab, dass mit der Betriebsschließungsversicherung der Beklagten die Gefahr abgesichert werden kann, dass Keime und Erreger „in einen Betrieb“ gelangen.

Am 17.03.2020 erließ die Landesregierung von Baden-Württemberg die „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO)“. Die Verordnung stützt sich auf § 32 i.V.m. §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 31 IfSG. In § 4 dieser Verordnung wurde der Betrieb bestimmter Einrichtungen bis zum 19.04.2020 untersagt.

Durch Verordnung vom 20.03.2020 wurde die oben genannte Verordnung der Landesregierung mit Wirkung zum 21.03.2020 geändert. Diese Änderungsverordnung stützt sich ebenfalls auf § 32 i.V.m. §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 31 IfSG. Diese Verordnung fügt dem § 4 der ursprünglichen Verordnung, mit der der Betrieb bestimmter Einrichtungen bis zum 19.04.2020 untersagt wurde, weitere Betriebsuntersagungen hinzu, so dass nunmehr als Nr. 5 dieses Paragraphen festgesetzt wird:

„Beherbergungsbetriebe, Campingplätze und Wohnmobilstellplätze; eine Beherbergung darf ausnahmsweise zu geschäftlichen, dienstlichen oder, in besonderen Härtefällen, zu privaten Zwecken erfolgen.“

Die Gäste, die sich am 20.03.2020 noch im Hotel der Klägerin befanden, wurden an diesem Abend ausgewiesen. Danach wurde das Hotel der Klägerin nicht mehr betrieben und nur der Hoteldirektor war einmal für zwei Tage im Hotel der Klägerin.

Die Klägerin zeigte der Beklagten mit Schreiben ihrer anwaltlichen Vertreter vom 23.03.2020 an, dass sie ihren Betrieb geschlossen habe.

Mit Schreiben vom 09.04.2020 lehnte die Beklagte eine Eintrittspflicht in der Betriebsschließungsversicherung ab und unterbreitete der Klägerin ein Kulanzangebot.

Mit Schreiben ihrer anwaltlichen Vertreter vom 18.05.2020 lehnte die Klägerin das Kulanzangebot ab und forderte die Beklagte auf, die Entschädigungszahlung bis spätestens zum 29.05.2020 zu veranlassen.

Die Klägerin ist der Auffassung, es liege eine bedingungsgemäße Betriebsschließung vor. Sie ist der Auffassung, nach § 4 Nr. 15 CoronaVO-BW sei ihr auch eine eingeschränkte Betriebstätigkeit nicht erlaubt gewesen. Anders als in anderen Bundesländern sei in Baden-Württemberg danach eine eingeschränkte Betriebstätigkeit für Beherbergungsbetriebe nicht erlaubt gewesen. Sie behauptet außerdem, sie habe wegen der verweigerten Auszahlung der Versicherungssumme am 13.05.2020 einen KfW-Schnellkredit i.H.v. 500.000 € aufgenommen, bei dem die Zinsen 3% pro Jahr betrügen. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Darlehensvertrag (Anlage K 7, Bl. 82 ff. d.A.) ergibt sich, dass der Kredit jederzeit ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in einer Summe vollständig vorzeitig zurückgezahlt werden kann. Die Klägerin behauptet zudem, weitere Schäden wegen der verzögerten Auszahlung der Versicherungssumme könnten sich wegen der verminderten Liquidität noch ergeben. Sie ist der Auffassung, dass eine Feststellungsklage derzeit zulässig sei, weil Zinsschäden in der Zukunft stattfinden und insoweit ein Schaden erst in der Zukunft eintreten werde, außerdem seien weitere Schäden, die aus der verzögerten Zahlung der Versicherungssumme resultieren könnten, zu erwarten. Über den Zinsschaden hinaus könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin durch die verzögerte Auszahlung weitere Schäden entstehen, weil etwa erforderliche Investitionen entfallen würden oder zumindest zurückgestellt werden müssten und sich dies negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Gewinne der Klägerin auswirken könne.

Die Klägerin beantragt,

1.die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 540.000,00 zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2020;

2.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden aus der verzögerten Leistung der Versicherungssumme zu erstatten;

3.die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 4.391,90 zu zahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie rügt die Zulässigkeit des Feststellungsantrags.

Die Beklagte ist der Auffassung, die tabellarische Auflistung der Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 AVB-BS sei abschließend und das Coronavirus damit nicht erfasst. Dies ergebe sich insbesondere auch aus dem Fettdruck des Wortes „folgenden“.

Zudem setze ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall voraus, dass eine wirksame behördliche Anordnung vorliege. Daher habe eine inzidente öffentlich-rechtliche Prüfung stattzufinden. Die streitgegenständliche Verordnung der Landesregierung von Baden-Württemberg sei unwirksam. Dies folge insbesondere daraus, dass eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage angegeben werde. Auch liege ein Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG vor. Die Verordnung sei nichtig und eine juristisch als nicht existent anzusehende Verordnung könne nicht die Tatbestandsvoraussetzung einer Schließungsanordnung durch eine zuständige Behörde erfüllen.

Weiterhin sei nach den Versicherungsbedingungen eine Betriebsschließung nur dann versichert, wenn sie aufgrund einer betriebsinternen Gefahr erfolge. Hierzu verweist die Beklagte auf die Gleichstellung von Tätigkeitsverboten gegen sämtliche Betriebsangehörige mit einer Betriebsschließung. Auch ergebe sich dies aus der übrigen Systematik, wonach im Übrigen nur betriebsinterne Gefahren versichert sein, wie etwa die Desinfektion von Betriebsräumen, die Infektion von im Betrieb beschäftigten Mitarbeitern oder die Kosten von Ermittlungsmaßnahmen, weil jemand krank sei. Auch in den BBR-BS würden ausschließlich betriebsinterne Gefahren versichert, wie infizierte Waren und Vorräte oder Kosten für eine Imagewiederherstellung. Auch gehe es in der gesamten Literatur zur Betriebsschließungsversicherung immer und ausschließlich um betriebsinterne Gefahren. Schließlich sprächen für diese Auslegung auch weitere Regelungen in den AVB-BS, wie etwa zum Versicherungsort. Auch bei der Antragstellung sei es lediglich um betriebsinterne Gefahren gegangen. Schließlich ergebe sich diese Auslegung auch aus der Broschüre und dem Produktinformationsblatt. Hierzu verweist die Beklagte auf den Wortlaut des Produktinformationsblattes, wo auf eine „im Betrieb“ aufgetretene Infektion abgestellt wird. Darüber hinaus sei es auch im Antragsverfahren zu dem Versicherungsvertrag nur um betriebsinterne Gefahren gegangen und sei übereinstimmender Parteiwille gewesen, dass Deckung für betriebsinterne Gefahren gewünscht werde, nicht aber etwa für künftige Schließungen im Rahmen eines „shutdown“.

Weiterhin sei für das Vorliegen eines Versicherungsfalls erforderlich, dass der betroffene Betrieb vollständig geschlossen werde, was hier nicht der Fall gewesen sei. Sämtliche Arbeiten ohne Außenkontakt sein weiterhin erlaubt gewesen, wie etwa Bürotätigkeiten, vorbereitende Werbemaßnahmen, Lagearbeiten, Renovierungsarbeiten. Auch sei der Klägerin mit ihrem Beherbergungsbetrieb die Aufnahme von Geschäftsreisenden möglich gewesen, das gelte auch für die Rechtslage in Baden-Württemberg.

Schließlich beruft sich die Beklagte darauf, dass nach dem klägerischen Vortrag jedenfalls eine massive Störung der Geschäftsgrundlage vorliege, weil beide Parteien sich die Corona-Pandemie nicht vorgestellt hätten und nicht hätten vorstellen können. Andernfalls wäre der Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen oder jedenfalls mit einer völlig anderen Prämie oder einem ausdrücklichen Risikoausschluss.

Die Beklagte wendet sich außerdem gegen die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsanspruchs:

Sie wendet gegen die geltend gemachte Tagesentschädigung ein, dass auf ihrer Grundlage sich daraus eine Gesamtsumme für ein Jahr von 6,57 Millionen € ergibt, was ein Mehrfaches der Bilanzsumme der Klägerin ist. Der Tagesgewinn der Klägerin nach dem Jahresabschluss für das Jahr 2018 stehe in einem krassen Missverhältnis zu einem Tagesbetrag von 18.000 €.

Außerdem wendet sie ein, dass die Klägerin zur Höhe des tatsächlichen Schadens nichts vortrage. Der Betrieb wäre nach dem Vortrag der Klägerin auch ohne die behördliche Schließung geschlossen worden.

Auch liege eine erhebliche Abweichung des tatsächlichen Schadens im Sinne von § 76 S. 2 VVG von der vereinbarten Tagesentschädigung vor, sodass diese nicht bindend sei. Der tatsächliche Schaden liege um mehr als 50% unter der Tagesentschädigung. Schon ab Februar 2020 seien Umsatz und Gewinn der Klägerin eingebrochen wegen der schrecklichen Bilder aus Italien und der Aufdeckung des ersten Corona-Hotspots im Kreis Bergheim. Jedenfalls habe es vor dem hier maßgeblichen Tag schon einen Umsatzrückgang der Klägerin von deutlich mehr als 10% gegeben. Für die Bemessung der Abweichung des tatsächlichen Schadens von der Tagesentschädigung mache sich die Beklagte auch den Vortrag der vollständigen Betriebsschließung zu Eigen, weil die Klägerin sich danach die Einsparung variabler Kosten wie Wareneinkauf, Personalkosten und verbrauchsabhängige Kosten anrechnen lassen müsse. Auch seien staatliche Soforthilfen zu berücksichtigen.

Die Beklagte verweist auch darauf, dass nach § 21 AVB Ansprüche der Klägerin, die nach ihrem Vortrag aus § 56 IfSG oder § 65 IfSG aber auch nach den Grundsätzen des enteignenden Eingriffs „usw.“ und bei der nichtigen Verordnung „bis hin zu § 839 BGB“ bestünden, anzurechnen seien.

Schließlich beruft sich die Beklagte auch auf eine Schadensminderungsobliegenheit der Klägerin aus § 82 VVG und verweist hierzu pauschal auf Kurzarbeitergeld, Soforthilfe oder „andere Leistungen“.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll des Termins vom 19.11.2020 (Bl. 239 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag zu 1) ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 540.000 € als Zahlung einer Entschädigungsleistung wegen Betriebsschließung gemäß § 1 S. 1 VVG i.V.m. §§ 1 Nr. 1 a), 2 Nr. 3 a) AVB-BS 2016 zu.

Es liegt ein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS vor, also eine Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes wegen des Auftretens einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers im Sinn der Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2, dessen Ausbreitung der Anlass der streitgegenständlichen Rechtsverordnungen ist, war bereits zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Betriebsschließungsanordnung im März 2020 ein meldepflichtiger Krankheitserreger i.S.v. § 1 Nr. 2 AVB-BS.

Ausgehend vom Wortlaut ist zunächst festzustellen, dass das neuartige Corona-Virus in § 1 Nr. 2 b) AVB-BS nicht genannt wird. Eine Auslegung von § 1 Nr. 2 b) AVB-BS ergibt aber, dass von dieser Bestimmung auch im März 2020 das neuartige Corona-Virus erfasst war. Denn die AVB-BS sind so auszulegen, dass sie allgemein auf nach §§ 6, 7 IfSG meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger verweisen und der Versicherungsschutz nicht auf die in den AVB namentlich aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger beschränkt ist.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht; wobei es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen ankommt; in erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen; der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2019, 1287 Rn. 16).

Auf den ersten Blick spricht für eine Beschränkung auf die in den AVB aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger zwar, dass es sich um eine enumerative Aufzählung handelt mit dem Wortlaut, dass die „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger meldepflichtige im Sinn der AVB-BS seien.

Ein solches Auslegungsergebnis wird jedoch durch die gleichzeitige Bezugnahme auf die §§ 6, 7 IfSG grundlegend infrage gestellt, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer dadurch den Eindruck gewinnen kann, dass der Versicherungsschutz sich auf die nach diesen Vorschriften meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erstrecken soll; die Auflistung hätte dann nur die Funktion, dem Versicherungsnehmer informativ und eher beispielhaft vor Augen zu führen, welche dies im Einzelnen – zum Zeitpunkt der Erstellung der AVB – sind, wofür auch spricht, dass in den AVB-BS unter § 3 Nr. 4 ausdrücklich aufgeführt ist, dass eine Haftung für Prionenerkrankungen nicht besteht, obwohl diese in der Auflistung der AVB gar nicht genannt sind (vgl. Armbrüster, r+s 2020, 506).

Beide Auslegungsmöglichkeiten scheinen hier jedenfalls gleichwertig möglich zu sein, so dass gemäß § 305c Abs. 2 BGB die dem Versicherungsnehmer günstigere Auslegung maßgeblich ist, so dass Versicherungsschutz umfassend für nach den §§ 6, 7 IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger besteht.

Darüber hinaus liegt auch ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird bei der vorliegenden Klausel erkennen, dass der Versicherungsschutz für in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger bestehen soll. In der enumerativen Liste fehlen jedoch bereits mehrere Krankheiten und ein Krankheitserreger, die schon zum Zeitpunkt der Erstellung der AVB-BS am 01.01.2016 in §§ 6 und 7 IfSG als meldepflichtig namentlich genannt waren. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird jedoch nicht hinreichend deutlich erkennbar, dass der AVB-Verwender bereits zum Zeitpunkt der Erstellung der AVB eine eigene, engere Umschreibung der Krankheiten und Krankheitserreger vornehmen will als sie im IfSG genannt sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht aber nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (BGH, r+s 2003, 500). Auch wegen dieses Verstoßes gegen das Transparenzgebot ist eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die in den AVB namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam (vgl. Armbrüster, r+s 2020, 506; LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 79 ff.). Aus diesem Verstoß gegen das Transparenzverbot folgt, dass die Beschränkung auf die in den AVB-BS aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger unwirksam ist und daher eine Haftung für alle nach den §§ 6 und 7 IfSG in der jeweils gültigen Fassung meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht.

Das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 war auch bereits ab dem 01.02.2020 meldepflichtig gemäß § 7 IfSG, wobei bis zur namentlichen Aufnahme in das Gesetz selbst ab Mai 2020 die nach § 7 IfSG bestehende Meldepflicht auf § 15 IfSG i.V.m. § 1 Abs. 1 und 3 CoronaVMeldeV beruhte.

Die weiterhin nach § 1 Nr. 1 a) AVB-BS erforderliche Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG liegt ebenfalls vor.

Hier erfolgte die Anordnung der Betriebsschließung in Form einer Verordnung der Landesregierung.

Die Rechtswirksamkeit oder Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns ist im Zivilverfahren nicht inzident zu prüfen.

Aus dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen sind Einschränkungen auf rechtmäßiges oder rechtswirksames Behördenhandeln nicht ersichtlich (vgl. LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 59). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht die Klausel so, dass Versicherungsschutz dann bestehen soll, wenn die Behörde aufgrund des IfSG tatsächlich einschreitet und seinen Betrieb schließt, falls nicht ein fernliegender Ausnahmefall vorliegen sollte, dass eine Behörde für jeden Laien offensichtlich schwerwiegend rechtswidrig die Betriebsschließung vornimmt (LG München I, COVuR 2020, 604 Rn. 62). Dieses Risiko will der Versicherer versichert haben und will nach seinem Verständnis der Versicherer versichern; dafür, dass der Versicherungsnehmer das Risiko der rechtlichen Beurteilung des Behördenhandeln tragen sollte, ist nichts ersichtlich (vgl. LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 61).

Eine bedingungsgemäße Betriebsschließung erfordert es auch nicht, dass die Behörde aufgrund einer betriebsinternen Gefahr die Schließung anordnet.

Bei dem hier relevanten Versicherungsfall der Betriebsschließung gemäß § 1 Nr. 1 a) HS. 1 AVB-BS ist eine solche Einschränkung im Wortlaut der AVB nicht ersichtlich (vgl. auch LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 66). Die Beklagte stellt – mit fehlerhaftem Zitat – für ihre Auslegung auf den zweiten Halbsatz von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS ab, der ein Tätigkeitsverbot gegen alle Mitarbeiter eines Betriebs oder einer Betriebsstätte der Schließung gleichstellt. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie sich daraus eine Beschränkung auf betriebsinterne Gefahren für die Betriebsschließung selbst ergeben soll (vgl. auch LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 67); die Beklagte zitiert den zweiten Halbsatz von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS insoweit falsch, als sie am Ende des Satzes die Einfügung „(Schließung)“ vornimmt, und so offenbar eine Art Legaldefinition suggerieren will, die sich in den AVB-BS jedoch nicht findet. Die Beklagte verweist im Übrigen darauf, dass die sonstigen Versicherungsfälle betriebsinterne Gefahren beträfen, wie Desinfektion der Betriebsräume, Infektion von Mitarbeitern, Kosten von Ermittlungsmaßnahmen und die Fälle der besonderen Bedingungen bzgl. infizierter Waren und Vorräte sowie Kosten für Imagewiederherstellung. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum daraus folgen sollte, dass auch die Betriebsschließung als maßgeblicher Versicherungsfall nur aufgrund betriebsinterner Gefahren bedingungsgemäß sein soll. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum sich aus den Regelungen zum Versicherungsort solches ergeben sollte. Die Beklagte verweist im Übrigen zwar zu Recht darauf, dass jedenfalls im Produktinformationsblatt von Gefahren einer „im Betrieb auftretenden Infektion“ die Rede ist; jedoch wird auch im weiteren Text des Informationsblatts die Haftung nicht ausdrücklich auf eine solche betriebsinterne Gefahr beschränkt und kann eine so beiläufige Formulierung die Auslegung der weiter formulierten AVB-BS nicht maßgeblich beeinflussen. Entsprechendes gilt für die Broschüre, auf die die Beklagte verweist und deren Erhalt die Klägerin zudem bestreitet. Auch aus dem von der Klägerin vorgelegten Beratungsprotokoll (Anlage K 11, Bl. 184 ff. d.A.) ergibt sich schließlich nicht, dass im Rahmen der Antragstellung die Deckung auf betriebsinterne Gefahren beschränkt werden sollte.

Die streitgegenständliche Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung ordnete auch eine bedingungsgemäße Betriebsschließung an.

Die Frage, ob nach den streitgegenständlichen AVB nur vollständige oder auch Teilbetriebsschließungen bedingungsgemäß sind, kann hier dahinstehen.

Die Betriebsschließungsanordnung betraf gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 15 der Corona-Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung vom 17.03.2020 in der Fassung vom 20.03.2020 grundsätzlich alle Beherbergungsbetriebe umfassend, lediglich „ausnahmsweise“ war eine Beherbergung zu geschäftlichen, dienstlichen oder – in besonderen Härtefällen – privaten Zwecken erlaubt. Unabhängig davon, wann danach ein zulässiger Ausnahmefall vorliegen sollte, was nach der Formulierung nicht bei jedem Geschäftsreisenden der Fall sein kann, handelte es sich nach der Regelung der Verordnung um ein mögliches Ersatzgeschäft aufgrund einer Rückausnahme statt des grundsätzlich vollumfänglich geschlossenen Beherbergungsbetriebs. Die Möglichkeit solcher Ersatzgeschäfte wäre also allenfalls auf der Ebene der Schadensberechnung im Rahmen einer möglichen Schadensminderungsobliegenheit der Klägerin zu prüfen.

Es ist schließlich auch nicht überzeugend, wenn die Beklagte darauf verweist, dass insbesondere noch Bürotätigkeiten im Betrieb der Klägerin gestattet waren. Eine Auslegung von § 1 Nr. 1 a) AVB-BS ergibt ohne weiteres, dass es für die Betriebsschließung eines Hotels lediglich auf den umsatzrelevanten Beherbergungsbetrieb selbst ankommen kann, andernfalls könnte eine in diesem Sinn vollständige Betriebsschließung kaum praktisch vorkommen.

Die Geschäftsgrundlage des Versicherungsvertrags i.S.v. § 313 BGB ist mit der gegenwärtigen Pandemie nicht entfallen. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn es zur Grundlage des Versicherungsvertrages geworden wäre, dass eine Pandemie aufgrund des Auftauchen eines neuartigen Krankheitserregers nach den Vorstellungen der Parteien nicht möglich war, und insbesondere auch der Beklagten das Festhalten aufgrund der vertraglichen Risikoverteilung nicht zuzumuten wäre. Dafür spricht jedoch nichts. Es kam auch in der Vergangenheit vor dem Abschluss des streitgegenständlichen Vertrags Ende 2016 zur Ausbreitung neuartiger Krankheitserreger – wie etwa auch der Corona-Viren SARS-CoV in den Jahren 2002/03 und MERS-CoV im Jahr 2012 – und auch Pandemien waren bei Vertragsschluss nicht unbekannt. Es dürfte nicht anzunehmen sein, dass sich ein Versicherer, der Schäden aufgrund nach §§ 6, 7 IfSG meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger versichert, damit nicht auseinandergesetzt hat. Wenn es dem Versicherer bei seiner Vertragsgestaltung nicht gelingt, rechtswirksam, insbesondere hinreichend transparent, seine Haftung für neuartige Erreger auszuschließen, fällt ihm jedenfalls nach der vertraglichen Risikoverteilung das Risiko des Auftretens eines neuen Erregers und einer möglichen Pandemie zu und ist ihm zuzumuten, an dem von ihm geschlossenen Vertrag festgehalten zu werden (vgl. auch Notthoff, r+s 2020, 551).

Der Anspruch der Klägerin auf Entschädigungszahlung besteht auch in der eingeklagten Höhe.

Gemäß § 2 Nr. 3 a) AVB-BS leistet die Beklagte Entschädigungszahlungen in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung – hier 18.000 € – für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer – hier 30 Tage.

Der Betrieb der Klägerin war von der behördlichen Schließungsanordnung mindestens 30 Tage betroffen.

Danach beläuft sich die Entschädigungszahlung auf 540.000 €.

Die Entschädigungssumme ist nicht gemäß § 76 S. 2 VVG zu kürzen (so im Ergebnis auch LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 101).

Bei der vereinbarten Tagesentschädigung handelt es sich zwar um eine Taxe i.S.v. § 76 VVG (vgl. LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 101).

Ein erhebliches Abweichen i.S.v. § 76 S. 2 VVG liegt hier aber nicht vor.

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 04.04.2001 (NJW 2001, 3539; zur identischen Vorgängernorm § 57 VVG a.F.) ausgeführt, dass ein Maßstab von 10% zur Bemessung eines erheblichen Abweichens des Versicherungswerts von der Taxe nicht allen Fällen gerecht wird, und dass außerdem für die Bestimmung des Maßstabs Art und Zweck der Versicherung und der Grund, aus dem die Parteien im jeweiligen Fall eine Taxe vereinbart haben, entscheidend seien. Des Weiteren sei der Zweck der Regelung zur Taxe zu berücksichtigen, der darin bestehe, die Feststellung der Höhe des vom Versicherer zu leistenden Schadenersatzes zu erleichtern. Dieser Zweck werde gefährdet, wenn das Interesse der Parteien an der Verlässlichkeit der Vereinbarung einer Taxe außer Acht bliebe. Deshalb sei diesem Zweck abwägend gegenüberzustellen, dass nach der gesetzlichen Regelung die Taxe erst dann nicht mehr gelten soll, wenn eine erhebliche Bereicherung des Versicherungsnehmers einträte, mit der auch das subjektive Risiko erheblich vergrößert würde. Wenn gerade wegen der Vielzahl der den Schaden bestimmenden Faktoren und der Unsicherheit ihres Eintritts im Einzelnen schon bei Vertragsschluss feststand, dass sich der tatsächliche Schaden innerhalb einer beträchtlichen Schwankungsbreite bewegen kann, sei es nicht gerechtfertigt, dann, wenn sich der tatsächliche Schaden in diesem vorhersehbaren Rahmen hält, den Anspruch des Versicherungsnehmers zu beschränken. Bei der Beurteilung, ob der tatsächliche Wert erheblich von der vereinbarten Taxe abweiche, sei zu berücksichtigen, ob die Parteien mit größeren Abweichungen von der Pauschale gerechnet haben oder auf Grund der Umstände hätten rechnen müssen, aber dennoch die Pauschale wegen der mit ihr verbundenen Vorteile vereinbarten.

Nach diesen überzeugenden Maßstäben des Bundesgerichtshofs liegt eine erhebliche Abweichung von der Taxe nicht vor:

Mit der Vereinbarung eines pauschalierten Schadenersatzes verfolgten die Parteien offenbar den Zweck, die Feststellung der ersatzfähigen Schadenshöhe zu erleichtern. Als versicherter Schaden im Rahmen der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung ist nach dem vorliegenden Vertrag der Umsatzschaden nicht aber etwa ein Gewinnschaden anzusehen (vgl. auch LG München I, COVuR 2020, 755 Rn. 90). Das wird auch schon daraus deutlich, dass die Parteien offenbar den pauschalierten Schaden nach dem Jahresumsatz der Klägerin bestimmten, indem sie die Tagesentschädigung auf 18.000 € festsetzten – wie sich aus dem Jahresumsatz der Klägerin im Jahr 2016 von 6,8 Mio. € ergibt, der auch in dem Beratungsprotokoll (Anlage K 11) genannt ist.

Der tatsächlich eingetretene Umsatzschaden wäre danach zu bestimmen als Differenz zwischen dem hypothetisch ohne den Versicherungsfall erzielten Umsatz und dem während der Zeit des Versicherungsfalls tatsächlich erzielten Umsatz. Der hypothetische Umsatz ist sehr schwer zu bestimmen, weil er von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, die bei Vertragsschluss im Einzelnen nicht vorhersehbar waren. Unvorhersehbar sind dabei die allgemeinen Umstände, die den hypothetischen Umsatz bestimmt hätten, wie etwa die übrigen Marktbedingungen und die Nachfrage nach Beherbergung im konkreten Zeitraum. Gerade im Gast- und Beherbergungsgewerbe werden hier regelmäßig – etwa auch in Abhängigkeit vom Wetter – erhebliche Schwankungen vorkommen. Bei der Bestimmung des hypothetischen Umsatzes bereitet zudem Schwierigkeiten, dass dieser durch Wegdenken der gesamten Umstände des Versicherungsfalls, also insbesondere auch des diesen begründenden Krankheitserregers bzw. der diesen begründenden Krankheit, zu bestimmen ist. Bei Vertragsschluss der Betriebsschließungsversicherung war zudem als Möglichkeit vorhersehbar, dass es dem Betrieb der Klägerin bei einer vollständigen Betriebsschließung dennoch im Rahmen der behördlichen Schließung erlaubt sein könnte, unter bestimmten Umständen Ersatzgeschäfte zu tätigen, die den tatsächlichen Umsatzschaden hätten abmildern können; auch die Bestimmung, in welchem Umfang diese möglich wären und ob die Klägerin gehalten wäre, diesen nachzugehen, und ob sie dieser Obliegenheit nachgekommen ist, wäre sehr schwer bestimmbar.

Die Parteien mussten danach bei Vertragsschluss mit einer erheblichen Schwankungsbreite des möglichen (Umsatz-)Schadens rechnen.

Um den Schwierigkeiten der Bestimmung des konkreten Umsatzschadens zu entgehen legten die Parteien die pauschalierte Tagesentschädigung fest, die für beide Seiten Planbarkeit bringt, wobei auch zu beachten ist, dass das subjektive Risiko der Klägerin nicht außergewöhnlich hoch war.

Es ist nicht ersichtlich, dass sich der tatsächliche Umsatzschaden der Klägerin erheblich oder auch nur überhaupt außerhalb der Schwankungsbreite bewegen würde, mit der die Parteien bei Vertragsschluss rechnen mussten.

Nicht ausreichend für eine solche Annahme ist insbesondere, wenn die Beklagte vorträgt, die Klägerin hätte auch ohne die behördliche Schließungsanordnung keinen Umsatz gemacht aufgrund der sonstigen Umstände der Corona-Pandemie. Denn für die Bewertung des hypothetischen Umsatzes der Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit ist eine hypothetische Betrachtung erforderlich, welches Betriebsergebnis die Klägerin erzielt hätte, wenn in dem fraglichen Zeitraum nicht die Corona-Pandemie geherrscht hätte, die Anlass für die streitgegenständliche Betriebsschließungsversicherung war. Insbesondere ist nicht eine hypothetische Betrachtung anzustellen, wie das Betriebsergebnis gewesen wäre, wenn es zwar die Corona-Pandemie aber nicht die Betriebsschließungsanordnung gegeben hätte, weil bereits die Pandemielage als Grundlage der Schließungsanordnung hier Teil des Versicherungsfalls ist.

Soweit die Beklagte zudem einwendet, die Klägerin hätte noch Geschäft mit Geschäftskunden machen können, trägt sie nicht konkret vor, in welchem Umfang der Klägerin das möglich gewesen sein soll und warum sie gehalten gewesen wäre, diese Geschäfte zu tätigen. Die Klägerin hat jedenfalls tatsächlich in der fraglichen Zeit ihren Beherbergungsbetrieb geschlossen und lediglich der Hoteldirektor für zwei Tage beherbergt. Dafür, dass die Klägerin hier erhebliche Einnahmen aus dem Geschäft mit Dienstreisen hätte machen können, ist nichts ersichtlich.

Soweit die Beklagte auf mögliche Kosteneinsparungen der Klägerin abstellt, sind diese für die Frage des versicherten Umsatzschadens ohnehin unbeachtlich.

Der Anspruch auf Entschädigung ist auch nicht nach § 21 Nr. 1 a) AVB-BS wegen öffentlich-rechtlicher Schadensersatzansprüche ausgeschlossen oder in der Höhe beschränkt.

Die Beklagte trägt pauschal vor, auf Basis das Klagevorbringen bestünden öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche.

Schadensersatzansprüche im Sinn dieser Regelung liegen jedoch nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer sich unproblematisch beim Staat schadlos halten kann, dem Versicherungsnehmer ist nicht das Prozessrisiko gegenüber dem Staat aufzubürden (Schreier, VersR 2020, 513). Dass die Versicherungsbedingungen für den Fall von bedingungsgemäßen öffentlich-rechtlichen Schadensersatzansprüchen den Anspruch des Versicherungsnehmers auf ein zinsloses Darlehen gegen den Versicherer vorsehen, widerspricht dieser Auslegung nicht. Im Übrigen wäre dann, wenn bereits die bloße Möglichkeit bestehender öffentlich-rechtlicher Schadensersatzansprüche für den Versicherer ausreichend wäre, um den Versicherten die Entschädigungsleistung zu verwehren und ihn auf das Darlehen zu verweisen, eine solche Verweisung regelmäßig möglich, weil diese Möglichkeit regelmäßig nicht von vorneherein völlig auszuschließen sein dürfte. Damit läge jedoch dann eine Aushöhlung des versprochenen Versicherungsschutzes nach § 1 Nr. 1 AVB-BS vor und wäre § 21 Nr. 1 a) jedenfalls gemäß § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BGB unwirksam.

Öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche der Klägerin sind jedenfalls auch nicht unzweifelhaft, wie sich schon daraus ergibt, dass das Landgericht Hannover eine entsprechende Klage abwies (COVuR 2020, 370).

Ein Zinsanspruch auf Verzinsung der Entschädigungsleistung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 10.04.2020 ist gemäß §§ 286 Abs. 1 und 2 Nr. 2, 288 Abs. 1 BGB, analog § 187 Abs. 1 BGB begründet aufgrund der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung der Beklagten im Schreiben vom 09.04.2020.

Der Antrag zu 2) ist bereits unzulässig.

Es liegt kein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO vor. Dass der Klägerin über den geltend gemachten Verzugszins hinaus Schäden aus der Verzögerung der Leistung entstehen könnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere könnte sie nach Erhalt der Leistung ein aufgenommenes Darlehen zurückführen. Aus den vorgelegten Unterlagen des KfW-Darlehens ergibt sich auch, dass hier keine Vorfälligkeitsentschädigung anfiele.

Der zulässige Antrag zu 3) ist unbegründet.

Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten käme lediglich als Verzugsschadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB in Betracht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte bei der Mandatierung der Rechtsanwälte durch die Klägerin bereits in Verzug befunden hätte. Vielmehr ergibt sich aus dem Schreiben vom 23.03.2020 (Anlage K 5), dass die Prozessbevollmächtigten bereits von der Klägerin mandatiert waren, als der Versicherungsfall der Beklagten erst angezeigt wurde.

Der im Termin vom 19.11.2020 beantragte Schriftsatznachlass im Hinblick auf die im Termin überreichten Unterlagen (Anlage K 17) war der Beklagten nicht zu gewähren, weil dieses Vorbringen der Klägerin nicht entscheidungserheblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wobei die Kammer für den Antrag zu 2) einen Streitwert von 5% des Wertes der Hauptforderung des Antrags zu 1) zugrunde legt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.