Liebe Mandantinnen und Mandanten,
liebe Versicherungsmaklerrinnen und Versicherungsmakler,

Sie werden von einem Kunden gefragt, ob er nach einem Schadenfall gegenüber dem Versicherer umfassende Auskunft zu seinen Vermögensverhältnissen – und sogar die seines Lebens- oder Geschäftspartners – zu erteilen hat? Was empfehlen Sie?
In der Regel können Sie einen direkten Zusammenhang nicht erkennen, weil es sich zumeist um die Schadenregulierung von Sachschäden handelt. Was hat ein Sachschaden mit den Vermögensverhältnissen des VN zu tun? Ist eine solche Frage überhaut statthaft? Darf der VN diese Auskünfte verweigern und können Sie ihm das anraten?

1. Einleitung

Sätze wie „Das geht doch die Versicherung nichts an“ oder „Antworten Sie da nicht drauf, die Frage darf die Versicherung gar nicht stellen“, haben vielleicht schon viele Versicherungsmakler gesagt und viele Versicherungsnehmer aus dem Freundeskreis gehört – aber was ist, wenn dieser Rat falsch ist? Schlüsse lassen sich aus dem aktuellen Fall des Landgerichts Osnabrück (Urteil vom 24.05.2023 – Az. 9 O 3254/21) ziehen:

Was war passiert:

Die Versicherungsnehmerin war Inhaberin eines Restaurants. Gemäß der AVB waren auch durch Feuer verursachte Schäden durch die Versicherung abgedeckt. Zwei Monate nach Abschluss der Versicherung brach durch Brandstiftung ein Feuer im Restaurant der Versicherungsnehmerin aus, welches laut Sachverständigengutachten einen Nettoschaden von fast 650.000 € verursachte. Gegen den Lebenspartner der Versicherungsnehmerin wurde zunächst wegen Brandstiftung ermittelt, das Verfahren dann eingestellt.
Zur Aufklärung des Sachverhalts schickte der Versicherer der Versicherungsnehmerin einen Fragenkatalog, der auch Fragen zu ihrer eigenen finanziellen Situation und zu der ihres Lebensgefährten beinhaltete. Eine Beantwortung dieser Fragen erfolgte trotz mehrerer Fristsetzungen nur sehr rudimentär, so dass die Versicherung eine Deckungsablehnung aufgrund der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gem. § 28 Abs. 2 VVG erklärte. Denn gemäß der AVB hat die Versicherungsnehmerin die Obliegenheit, dem Versicherer soweit möglich unverzüglich jede Auskunft zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht erforderlich ist. Diese Obliegenheit kennen wir wohl in allen AGB’s. Fällt hierrunter aber auch die Frage nach den finanziellen Verhältnissen?

 

2. Reichweite der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit

Die Aufklärungs- und Auskunftsobliegenheit ist laut ständiger Rechtsprechung des BGH weit gefasst. So stellt der BGH bereits im Urteil vom 16.11.2005, Az. IV ZR 307/04 sogar klar, dass der Versicherungsnehmer auch dann auf ein entsprechendes Verlangen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß zu offenbaren habe, wenn dies seinen eigenen Interessen widerstreitet. Es sei auch Sache des Versicherers, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich halte, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender Tatsachengrundlage treffen zu können. Dazu können auch Fragen zu seinen Vermögensverhältnissen oder denen seiner Angehörigen gehören, weil sich daraus Anhaltspunkte ergeben können, dass der Eintritt des Versicherungsfalls und die damit verbundene Entschädigungsleistung der finanziellen Interessenlage des Versicherungsnehmers entspricht. Insbesondere gilt dies bei Einträgen im Schuldnerregister oder wenn bereits mehrere Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig sind. Dabei genügt es, dass die geforderten Angaben überhaupt dienlich sein können. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Angaben im Ergebnis tatsächlich als wesentlich erweisen.
Die Nichtbeantwortung derartiger Fragen zu den Vermögensverhältnissen des VN könne daher als Obliegenheitsverletzung anzusehen sein, so der BGH, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen kann. Auch der „nemo tenetur“, also der Grundsatz, dass niemand Aussagen tätigen muss, die ihn selbst belasten, gelte nach der Rechtsprechung des BGH gegenüber Versicherungen nicht. Es müssen vom Versicherungsnehmer auch Tatsachen offengelegt werden, die zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen können. Dementsprechend müssen Fragen des Versicherers sogar dann wahrheitsgemäß beantwortet werden, wenn dadurch der Verdacht einer Straftat erweckt oder gefördert wird. Anderenfalls droht nach der Auskunftsverweigerung die Leistungsfreiheit des Versicherers.

Für den Rechtstreit bei dem LG Osnabrück bedeutet dies, dass die Versicherungsnehmerin die Fragen der Versicherung zu den Vermögensverhältnissen hätte beantworten müssen. Insofern ist die Versicherungsnehmerin ihrer Auskunftsobliegenheit gegenüber dem Versicherer nicht nachgekommen.

Folglich hätte die VN Fragen zur finanziellen Situation – auch des Lebenspartners – umfassend beantworten müssen, auch wenn sich zunächst kein direkter Zusammenhang zum Versicherungsfall ergibt.

Nun stellt sich die Frage, wann eine „objektive“ Obliegenheitsverletzung zur vollständigen Leistungsfreiheit führt und wann nicht?

 

3. Vorsätzliche Verletzung der Obliegenheiten

Damit der Versicherer vollständig leistungsfrei wird, muss die Obliegenheitsverletzung allerdings gem. § 28 Abs. 2 VVG vorsätzlich herbeigeführt worden sein.
Im Fall des LG Osnabrück lässt sich dies recht leicht begründen, denn die Versicherungsnehmerin hat trotz mehrfacher schriftlicher Aufforderung die Fristen zur Auskunftserteilung über ein Jahr lang immer wieder verstreichen lassen. Wenn sie glaubte, sie müsse die Fragen nicht beantworten, dann wäre sie „nur“ einem Rechtsirrtum unterlegen. Ihr Rechtsirrtum, sie sei zur Beantwortung der Fragen nicht verpflichtet, ist für einen fehlenden Vorsatz unerheblich. Somit ist sie ihrer Obliegenheit, die Fragen unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – zu beantworten, vorsätzlich – also mit Wissen und Wollen – nicht nachgekommen. Der Rechtsirrtum beseitigt den Vorsatz nicht.
Anders ist eventuell die Rechtslage, wenn die Versicherungsnehmerin die Fragen aufgrund eines (falschen) Rechtsrates durch einen Versicherungsmakler oder Anwalt nicht beantwortet hätte. In diesem Fall hätte sie die Obliegenheitsverletzung nicht selbst verschuldet, da sich ein Versicherungsnehmer grundsätzlich auf den Rat eines Anwalts oder Maklers verlassen kann. Das etwaige Verschulden des Maklers oder Anwalts wird dem Versicherungsnehmer auch nicht zugerechnet, weder durch § 85 Abs. 2 ZPO noch durch § 278 BGB (vgl. etwa BGH, NJW 1981, 1098; OLG Saarbrücken, NJOZ 2012, 1203). Der Versicherungsnehmer haftet nur für eigenes Verschulden. Könnte der Versicherungsnehmer den Beweis erbringen, dass er entsprechende Fachkunde eingeholt hat und die Obliegenheitsverletzung nicht durch eigenes (vorsätzlichen) Verschulden eingetreten ist, so bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet und könnte im Falle einer groben Fahrlässigkeit seine Leistung nur im Verhältnis der Schwere des Verschuldens kürzen. Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt allerdings der Versicherungsnehmer.
Aber im Deckungsprozess müsste der VN natürlich sein eigenes fehlendes Verschulden vortragen und unter Beweis stellen. Sonst würde die Leistungsverpflichtung des VR wegen der Obliegenheitsverletzung zur umfassenden Auskunftserteilung abgewiesen werden.

 

4. Folgen für die Maklerhaftung

Für einen Makler ist das eventuell eine gute Nachricht – denn so kann er gegebenenfalls, falls er in Folge seiner unrichtigen Empfehlung (Falschberatung) von seinem Kunden in Anspruch genommen wird, aufzeigen, dass kein durchsetzbarer Anspruch besteht, da der Versicherer trotz Rechtsirrtums des Versicherungsnehmers zur Leistung verpflichtet bliebe. Der Versicherungsnehmer durfte auf die inhaltlich falsche Beratung vertrauen, es fehlt am Vorsatz hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung. Insofern dürfte es bereits am Schaden fehlen, wenn dieser Sachverhalt in den Deckungsprozess gegen den VR rechtzeitig eingebracht wurde.
Entsteht aber ein rechtskräftiges Urteil und der Leistungsanspruch gegen den Versicherer wird rechtskräftig abgewiesen, dann hat der VN einen unwiederbringlichen Schaden, weil er die Versicherungsleistung wegen der Auskunft des Versicherungsmaklers, dass die eigenen Vermögensverhältnisse nicht offenzulegen sind, nicht mehr erhalten kann. In diesem Fall wäre die unrichtige Empfehlung zur Auskunftsobliegenheit ursächlich für den unwiederbringlichen Vermögensschaden. Der Versicherungsmakler hat dann für seine unrichtige Empfehlung bis zur Höhe der berechtigten Versicherungsleistung gegenüber dem Kunden zu haften. Daher sollten Sie im Zweifel nie dem VN anraten, dass er eine Auskunftsobliegenheit nicht erfüllen braucht. Denn im Zweifel geht die Auskunftsobliegenheit sehr weit und erfasst auch die Frage zu den Vermögensverhältnissen des VN und seiner Partner.

 

5. Fazit

Das Fragerecht und die Auskunftspflichten gehen weit. Versicherungsnehmer sollten sehr vorsichtig sein, wenn sie Fragen ihrer Versicherung nach einem Schadenfall nicht beantworten möchten. Weil der BGH die Auskunftsobliegenheiten der Versicherungsnehmer als sehr weitreichend einstuft, kann durch den (Rechts-) Irrtum über die berechtigte Reichweite der Auskunftspflicht schnell die Leistungsfreiheit oder zumindest eine erhebliche Leistungskürzung durch die Versicherung entstehen, wenn der VN die Auskunft vorsätzlich verweigert. Daher sollte im Zweifelsfall immer ein Versicherungsmakler oder Fachanwalt für Versicherungsrecht hinzugezogen werden und dessen Rat befolgt werden, um den Leistungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag nicht zu verlieren.
Bei ganz abwegigen Fragen des VR kann natürlich nachgefragt werden, wofür die Information dienlich sein soll. Und es gibt bestimmt auch Fragen, die der VN mangels Kenntnis nicht beantworten kann. Zum Beispiel weil der Partner die Vermögensauskünfte verweigert. Dann kann der VN objektiv nicht seine Auskunftspflicht erfüllen.
Im Zweifel ist dem VN zumeist anzuraten, die Auskunftspflicht auf berechtigte Fragen des Versicherers zu erfüllen. Jedenfalls wohl auch dann, wenn Fragen zu den eigenen Vermögensverhältnissen gestellt werden, auch wenn dies auf den ersten Blick nichts mit dem eingetretenen Schaden zu tun hat. Die Empfehlung hierzu keine Auskünfte erteilen zu müssen, kann in einen solchen Fall schnell zur eigenen Haftung führen, wenn der VN deshalb den Deckungsprozess rechtskräftig verliert. Also: Sage niemals nie!

 

 

Bei weiteren Fragen stehen Ihnen unsere Frau Rechtsanwältin Pötter und unser Jurist Herr Scholz gern zur Verfügung, die an diesem Artikel mitgewirkt haben.

 

 

Bleiben Sie gesund und viel Erfolg!
 

 
Ihr,

Stephan Michaelis LL.M.
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht