Amtsgericht Lüdenscheid
Urteil vom 26.04.2013
Az.: 93 C 133/12
Versicherungssparte: Vollkasko
Kürzung: 30%

Stichwörter: Tiefgarage

Urteil

In dem Rechtsstreit XXX

hat das Amtsgericht Lüdenscheid

auf die mündliche Verhandlung vom 08.03.2013

durch den Richter am Amtsgericht

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem den PKW Audi A6 Avant, …, betreffenden Versicherungsvertrag geltend. Dieser umfasst die Haftpflicht- sowie die Kraftfahrtversicherung (Teilkasko und Vollkasko), für Vollkasko mit einem Selbstbehalt von 300,00 EUR.

Am 25.08.2012 wollte der Kläger mit seiner Lebensgefährtin … eine Ausflugsfahrt zur Mosel unternehmen. Beide wollten dort Fahrrad fahren. Zu diesem Zweck hatte der Kläger – erstmals – … Fahrradträger auf dem Dach seines Fahrzeugs montiert und die Fahrräder darauf befestigt.

Auf dem Hinweg wollte … noch einkaufen. Der Kläger fuhr in der ihm unbekannten Stadt Mayen zu einem Kaufland-Supermarkt. Da der Kläger Schwierigkeiten hatte, einen Parkplatz auf dem freien Gelände zu finden, entschloss er sich, in die für Kunden zugängliche Tiefgarage zu fahren. Der Kläger dachte dabei nicht an die auf dem Fahrzeugdach montierten Fahrräder. Bei der Einfahrt in die Tiefgarage streiften die Fahrräder die Decke. Der Kläger erschrak, setzte zurück und rammte dabei einen dort aufgestellten Poller.

An seinem Fahrzeug entstand gemäß Rechnung der Firma … ein Schaden von 4.714,60 EUR. Darauf zahlte die Beklagte gemäß Schreiben vom 24.09.2012 3.000,22 EUR. Sie zog von den unstreitigen Reparaturkosten 30 % wegen Mitverschuldens des Klägers sowie dessen Selbstbehalt von 300,00 EUR ab.

Der Kläger meint, er habe den Schaden nicht grob fahrlässig herbeigeführt und beruft sich dazu auf die Entscheidung des OLG München, NJW-RR 1996, 1177.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.414,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit 15.09.2012 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 186, 24 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, führt das näher aus und beruft sich auf die Entscheidung des LG Konstanz, zfs 2010, 214.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, dort insbesondere das Lichtbild Bl. 20 d. A., das durch in Augenscheinnahme Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden ist, verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht nach dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Versicherungsvertrag gegen die Beklagte auf Grund des streitgegenständlichen Vorfalls keine über die bereits erbrachte Zahlung hinausgehende Leistung zu. Die Beklagte ist gemäß § 81 Abs. 2 VVG jedenfalls insoweit berechtigt, ihre im Übrigen dem Grunde nach unstreitige Leistungspflicht der Höhe nach einzuschränken. Nach dieser Vorschrift ist der Versicherer berechtigt, dann, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeiführt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt und rechtfertigen die von der Beklagten vorgenommene Leistungseinschränkung.

Im Ausgangspunkt soll dabei mit der Beklagten davon ausgegangen werden, dass auf Grund des räumlich–zeitlichen Zusammenhangs insgesamt nur ein einziges Schadensereignis vorliegt, was auch von dem Kläger nicht in Frage gestellt worden ist.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH, VI ZR 196/10, Urteil vom 10.05.2011, unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

In objektiver Hinsicht hat der Kläger ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und in ungewöhnlich hohem Maße dasjenige unbeachtet gelassen, was in dem gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, indem er mit dem durch die Fahrräder wesentlich erhöhten PKW in die offensichtlich zu niedrige Tiefgarage einfahren wollte, obwohl durch deutlich sichtbare Warn- und Markierungshinweise auf die eingeschränkte Einfahrthöhe hingewiesen worden ist und sich diese Einschränkung regelmäßig schon von selbst ergibt.

Aus diesem besonders schwerwiegenden Pflichtverstoß darf nicht ohne Weiteres auch die subjektive (personale) Vorwerfbarkeit abgeleitet werden. Diese ist vielmehr anhand konkreter Umstände zu überprüfen, was hier aber gleichermaßen zur Bejahung auch dieser Komponente der groben Fahrlässigkeit führt.

Wie die Beklagte unwidersprochen und zutreffend ausführt, war der Kläger mit seinem PKW und den aufgebauten Fahrrädern schon über eine längere Strecke bis zur Stadt Mayen gefahren, sodass er allein schon durch die dabei zu Tage getretenen Besonderheiten der Fahrweise auf das Vorhandensein der Fahrräder dauernd aufmerksam gemacht worden war. Hinzu kommt, dass die Fahrt gerade zur späteren Benutzung der montierten Fahrräder hatte dienen sollen. Es handelte sich also nicht um eine Routineangelegenheit, sondern um einen besonderen Vorgang, der gerade die mitgenommenen Fahrräder zum Gegenstand hatte. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, zuletzt 2008 mit einem Fahrradträger gefahren zu sein und sich in Mayen in unbekannter Umgebung befunden zu haben. Gerade weil die Umstände damit außergewöhnlich waren, bedurfte es besonderer und andauernder Aufmerksamkeit in den wechselnden Verkehrssituationen, die der Kläger sodann nicht hat walten lassen.

Der Kläger kann sich auch nicht auf ein „Augenblicksversagen“ stützen. Denn ein solches entkräftet den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die den Grad des momentanen Versagens in einem milderen Licht erscheinen lassen (Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janke, 22. Auflage, § 81 VVG Rd-Nr. 33 mit weiteren Nachweisen; siehe auch BGH a. a. O.). Diese fehlen jedoch, weil die von dem Kläger dazu aufgeführten Umstände anders zu werten sind. Dazu wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihm zitierte Entscheidung des OLG München stützen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass diese Entscheidung wie auch die weiteren dort zitierten aus einer Zeit stammen, zu der § 81 Abs. 2 VVG in der jetzigen Form noch nicht gegolten hat, sodass im Unterschied zum früheren Recht, wo bei grober Fahrlässigkeit der vollständige Anspruchsverlust die Rechtsfolge war, die Leistung nunmehr nach der Schwere des Verschuldens gekürzt werden kann. Dem entsprechend mag die seinerzeitige Rechtsprechung ergebnisorientiert zu billigen gewesen sein. Die gegenwärtige Rechtslage ermöglicht indessen eine abgestufte Bewertung, sodass die aktuelle Rechtsprechung durchweg in eine andere Richtung weist (vergleiche LG Hagen, 7 S 31/12, Beschluss vom 01.08.2012; LG Konstanz, 3 O 119/09, Urteil vom 26.11.2009; LG Göttingen, 5 O 118/09, Urteil vom 18.11.2009; OLG Düsseldorf, 24 U 54/12, Beschluss vom 17.09.2012; für die Zeit vor dem 01.01.2008 siehe aber auch schon OLG Dresden, 5 U 882/03, Urteil vom 07.10.2003 und OLG Karlsruhe, 19 U 94/04, Urteil vom 29.07.2004).

Das Gericht übersieht nicht, dass sich jeweils um individuell zu beurteilende Einzelfälle handelt, bei denen insbesondere Miet-Lkw betroffen gewesen sind, deren Fahrer sich nicht in einer mit dem Kläger ohne Weiteres vergleichbaren Situation befunden haben.

Unter Würdigung aller dargestellten Umstände lässt die von der Beklagten vorgenommene Abwägung mit einer 30 %igen Haftungsbeteiligung des Klägers für diesen keinen Nachteil erkennen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, § 708 Nr. 11, §711 ZPO.