LG Flensburg (4. Zivilkammer), Urteil vom 17.12.2020 – 4 O
143/20

Titel:
Entschädigungsvereinbarung, Schadensersatz, Anfechtung, Irrtum, arglistiger
Täuschung, Betriebsschließungsversicherung, Coronavirus

Amtliche Leitsätze:
1. Zu den Voraussetzungen einer Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung bei Abschluss einer Entschädigungsvereinbarung mit dem Versicherer.
2. Keine Verletzung von Beratungspflichten des Versicherers bei Abschluss einer Entschädigungsvereinbarung.

Rechtsgebiet:
Privatversicherungsrecht

Schlagworte:
Anfechtung wegen Irrtums, Wirksamkeit einer Entschädigungsvereinbarung,
Entschädigungsvereinbarung, Schadensersatz, Anfechtung, Irrtum, arglistiger Täuschung, Betriebsschließungsversicherung, Coronavirus

Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden

Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

1. Der Kläger macht Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.

2. Der Kläger ist Inhaber des Restaurants „B A“ in der …-Str. .. in S. Er unterhält bei der
Beklagten seit September 2017 eine Betriebsschließungsversicherung für seine in dem
Versicherungsschein als Imbissstube (nicht frei stehend) bezeichnete Gaststätte mit einer
Betriebsschließungssumme von 100.000 € und einer Tageshöchstentschädigung von 380 €
bei einer Haftzeit von maximal 30 Tagen. Einbezogen in die Versicherung waren die
allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB-BS), in deren § 1 Nummer 1 geregelt ist, dass der Versicherer Entschädigung geleistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes
zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen
(Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder
Krankheitserreger (siehe Nummer 2) den versicherten Betrieb oder eine versicherte
Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder
Krankheitserregern beim Menschen schließt. Nach § 1 Nummer 2 sind meldepflichtige
Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen die folgenden Krankheiten
und Krankheitserreger (vergleiche §§ 6 und 7 IfSG); es folgt eine katalogmäßige Auflistung
der Krankheiten und Krankheitserreger. In der Auflistung ist das Coronavirus nicht genannt.
Nach § 2 Nummer 6 AVB-BS besteht ein Anspruch auf Entschädigung nicht, wenn
Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden
kann. Nach § 7 Nummer 1 a AVB-BS ersetzt der Versicherer im Falle einer Schließung des
Betriebs den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der
Betriebsschließung bis zur Dauer von 30 Schließungstagen, wobei die Tagesentschädigung
höchstens 110% des Betrages ausmachen darf, der an fortlaufenden Kosten und Gewinn auf
einen Tagesumsatz entfällt.

3. Am 17. März 2020 erließ die Landesregierung eine Landesverordnung über Maßnahmen zur
Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus. In § 3 der Landesverordnung ist
geregelt, dass Gaststätten im Sinne des § 1 des Gaststättengesetzes zu schließen sind. Nach
§ 3 Abs. 2 der Landesverordnung dürfen Gaststätten Leistungen im Rahmen eines
Außerhausverkaufs nach telefonischer oder elektronischer Bestellung erbringen. Die
Landesverordnung trat am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft. Der Kläger schloss seine
Gaststätte am 18. März 2020. Beginnend mit dem 23. April 2020 richtete der Kläger einen
Lieferdienst und eine Abholmöglichkeit für die in der Speisekarte angebotenen Speisen ein.

4. Der Kläger machte Anfang April 2020 seinen Betriebsschließungsschaden gegenüber der
Beklagten geltend. Die Beklagte antwortete dem Kläger mit einem Schreiben vom 17.4.2020,
in dem sie ausführte, dass die Beschränkungen der Politik per Rechtsverordnung oder
Allgemeinverfügung nicht gezielt auf einen einzelnen Geschäftsbetrieb gerichtet seien,
sondern präventiv zum Schutz der Allgemeinheit erfolgten. Aus diesem und weiteren
Gründen seien die Voraussetzung für eine Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag
nicht gegeben. Die Beklagte beschrieb dann eine vom bayerischen Hotel- und
Gaststättenverband und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft erarbeitete Empfehlung,
nach der die Versicherer zwischen 10% und 15% der bei Betriebsschließungen üblichen
Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten auszahlen würden. Daran würde sich auch
die Beklagte orientieren und bot eine Entschädigung in Höhe von 15% der vertraglich
vereinbarten Tageshöchstentschädigung für 30 Tage, also einen Betrag von 1710 €, an. Dem
Schreiben war eine bereits von der Beklagten unterzeichnete Vereinbarung mit
Abfindungserklärung über die Zahlung dieses Betrages beigefügt. Nachdem der Kläger die
Rücksprache mit dem ihn betreuenden Versicherungsvermittler S in S gesucht hatte,
unterzeichnete er am 20.4.2020 die Vereinbarung. Am 27.4.2020 schrieb er an den
Versicherungsvermittler S in S, dass er am 20.4.2020 unvorbereitet in dessen Büro mit dem
Angebot einer 15-prozentigen Entschädigung für die Betriebsschließung konfrontiert worden
sei. Von dieser Vereinbarung trete er zurück, da er in dem Gespräch vom 20.4.2020 nicht
über den bestehenden Vertrag informiert worden sei und ihm dieser bei dem Gespräch auch
nicht vorgelegen habe. Er erwarte die Zahlung von 380 € pro Tag für die Dauer von 30 Tagen.
Der Versicherungsvermittler S antwortete mit Schreiben vom 30.4.2020 und erläuterte dem
Kläger die Hintergründe des Vergleichsvorschlages. Die Beklagte zahlte die vereinbarte Entschädigungssumme von 1710 € an den Kläger wies unter dem 12.5.2020 den Rücktritt von der Vereinbarung zurück.

5. Der Kläger trägt vor, sein Schreiben vom 27.4.2020 sei auch als Anfechtungserklärung
auszulegen. Er könne die Vereinbarung wegen eines erweiterten Inhaltsirrtums anfechten.
Zudem bestehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte, da sie ihre
Beratungspflichten aus § 6 Abs. 4 VVG und § 1 a VVG missachtet habe. Aus der
Betriebsschließungsversicherung bestehe ein Anspruch auf Zahlung weiterer 9690 €, da er
wegen der Landesverordnung vom 17.3.2020 seinen Betrieb habe schließen müssen und das
Corona-Virus durch die Bezugnahme auf §§ 6,7 Infektionsschutzgesetz in § 1 Nummer 2
AVB-BS zu den meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern zähle. Andernfalls
würde die Klausel zu einer Einschränkung des Versicherungsschutzes für die nach
Vertragsabschluss auftretenden Krankheiten und Krankheitserreger führen, sodass sie nach
§ 307 Abs. 2 Nummer 2 BGB unwirksam wäre. Die vereinbarte Tagesentschädigung
übersteigen nicht die Summe der fortlaufenden Kosten und des Gewinns für einen
Tagesumsatz.

6. Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9690,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 6.6.2020 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 745,40 € vorgerichtliche Anwaltskosten
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.

7. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

8. Die Beklagte trägt vor, die Vergleichsvereinbarung sei wirksam. Ihr Schreiben vom
17.4.2020 enthalte keine falschen Tatsachen, sodass sich der Kläger auch nicht über
Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung geirrt habe. Über dieses Schreiben hinaus habe
kein weitergehender Beratungsbedarf des Klägers bestanden, sodass sie sich auch nicht
schadensersatzpflichtig gemacht habe. Aus der Betriebsschließungsversicherung entstehe
kein Entschädigungsanspruch. Bei dem Corona-Virus handele es sich um keine von dem
Versicherungsschutz umfasste Krankheit oder Krankheitserreger, da das Corona-Virus in der
Liste zu § 1 Nummer 2 AVB-BS nicht aufgeführt sei. Diese Liste sei abschließend. Die
Landesverordnung vom 17. März 2020 sei unwirksam, da der Parlamentsvorbehalt und das
Zitiergebot missachtet worden seien. Versicherungsschutz bestehe nur bezüglich
betriebsinterner Gefahren, nicht aber bei abstrakt-generellen präventiven
Gesundheitsmaßnahmen. Es fehle auch an einer Betriebsschließung, da der Kläger jedenfalls
ab dem 23.4.2020 einen Außerhausverkauf wahrgenommen habe. Der konkret eingetretene
tatsächliche Schaden sei vom Kläger nicht dargetan. Die staatliche Soforthilfe sowie Anträge
auf Ansprüche nach §§ 56,65 Infektionsschutzgesetz seien unberücksichtigt geblieben.

9. Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

10. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Aufgrund der Regelung in Ziff. 2 des
Abfindungsvergleichs vom 15./20.4.2020 ist es den Kläger verwehrt, weitergehende Ansprüche gegen die Beklagte aus der Betriebsschließung seit dem 18.3.2020 geltend zu
machen.

11. Der Abfindungsvergleich vom 15./20.4.2020 ist wirksam. Selbst wenn man in dem
Schreiben des Klägers vom 27.4.2020 eine Anfechtungserklärung sehen wollte, ist eine
Nichtigkeit des Vertrages nach § 142 BGB nicht gegeben, da es an einem Anfechtungsgrund
fehlt. Die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB
liegen nicht vor. Eine Täuschung ist gegeben, wenn durch die Behauptung unwahrer
Tatsachen oder das Verschweigen aufklärungsbedürftiger Tatsachen bei dem
Geschäftspartner ein Irrtum erzeugt wird. In dem Begleitschreiben zu der vorformulierten
Abfindungserklärung vom 17.4.2020 hat die Beklagte ihren Rechtsstandpunkt zu der von
dem Kläger begehrten Entschädigung aus der Betriebsschließung Versicherung dargelegt.
Die Beklagte hat nämlich ausgeführt, dass die Beschränkungen der Politik durch
Rechtsverordnungen oder Allgemeinverfügungen nicht gezielt auf einen einzelnen
Geschäftsbetrieb gerichtet seien, sondern präventiv zum Schutz der Allgemeinheit erfolgen
würden. Aus diesem und weiteren Gründen seien die Voraussetzung für eine Entschädigung
aus dem Versicherungsvertrag nicht gegeben. Wenn die Beklagte das in diesem Schreiben
vom 17.4.2020 niederlegt, so ist das klar als ihre Meinung zu der Entschädigungsfrage
gekennzeichnet. Der Kläger konnte diese Zeilen bei objektiver Betrachtung nicht
dahingehend verstehen, dass es sich um die Wiedergabe einer allgemeingültigen
Beschreibung der Rechtslage handeln würde. Der Kläger mag diese Auffassung nicht teilen,
was sich bereits daraus ergibt, dass er seinen Betriebsschließungsschaden gegenüber der
Beklagten geltend gemacht hat. Es war für den Kläger damit aber eindeutig erkennbar, dass
seine Sicht der Dinge von der Entschädigungsfrage von der Beklagten nicht geteilt wird,
sodass die Beklagte keine falschen Tatsachen behauptet hat und auch keine
aufklärungsbedürftigen Tatsachen verschwiegen hat. Im April 2020 wie auch heute noch gab
es unterschiedliche Auffassungen zur Eintrittspflicht des Versicherers aus der
Betriebsschließungsversicherung in Fällen der ab 18. März 2020 angeordneten Schließung
von Gaststätten und Einzelhandelsgeschäften. Der Kläger begründet in seinem
Rücktrittsschreiben vom 27.4.2020 diesen Rücktritt auch nur damit, dass ihm bei dem
Gespräch am 20.4.2020 der Vertrag nicht vorgelegen habe und er von dem
Versicherungsvermittler S nicht über den bestehenden Vertrag informiert worden sei. Es ging
dem Kläger also offenbar um die Abweichungen des Abfindungsvergleichs von seinem
Versicherungsvertrag. Diese waren aber sowohl in dem von der Beklagten vorgedruckten
Abfindungsvergleich als auch in dem Begleitschreiben vom 17.4.2020 dargestellt. Es wurde
dem Kläger aufgezeigt, dass er nur 15% der vertraglich vereinbarten
Tageshöchstentschädigung für die Dauer von 30 Tagen erhalten würde, was die
Gesamtsumme von 1710 € ergibt. Die zugrunde gelegte 30-tägige Dauer für die
Entschädigungsberechnung entspricht dem Versicherungsvertrag des Klägers. Dass der
Kläger für diese Zeit nicht die Tageshöchstentschädigung, sondern nur 15% davon erhalten
sollte, war aus den ihm vorgelegten Unterlagen ersichtlich, sodass er zur Klärung dieser
Frage weder den Vertrag benötigte noch weitere Informationen seitens des
Versicherungsvermittlers der Beklagten. Ihm lagen alle Informationen vor, um die Frage der
Größenordnung der Quote für sich entscheiden zu können, sodass auch diesbezüglich keine
Täuschung erfolgt ist. Die Voraussetzungen des § 123 BGB sind somit nicht gegeben.

12. Ebenso scheidet eine Anfechtung nach § 119 BGB aus. Ein Erklärungsirrtum ist zu
verneinen, da dem Kläger bewusst war, dass er eine rechtsgeschäftlich erhebliche Erklärung
abgibt, wenn er den Abfindungsvergleich unterzeichnet. Ein Inhaltsirrtum liegt vor in Fällen des Irrtums über die Bedeutung und Tragweite der Erklärung. Auch das ist hinsichtlich der
Wesensmerkmale des Abfindungsvergleichs nicht ersichtlich. Ausgangspunkt und
Rechtsfolgen des Abfindungsvergleichs sind in dem Vergleichsschreiben selbst zutreffend
beschrieben, sodass der Kläger darüber bei verständiger Lektüre des Vergleichstextes keine
abweichende Vorstellung entwickelt haben konnte. Entsprechendes ist von ihm auch nicht
konkret dargetan. Den Hinweis in seinem Schreiben vom 27.4.2020 auf den fehlenden
Versicherungsvertrag bezieht er auf seine Beweggründe für den Abschluss des
Abfindungsvergleichs. Ein Irrtum im Beweggrund begründet aber in der Regel kein
Anfechtungsrecht. Eine Ausnahme wird nur insoweit bejaht, wenn ein irriger Beweggrund in
der Erklärung selbst oder in den entscheidenden Vertragsverhandlungen erkennbar
hervorgetreten ist und damit zum Bestandteil der Erklärung geworden ist (PalandtEllenberger § 119 BGB Rn. 17). Aber auch das ist nicht der Fall. Dafür reicht es nicht aus, dass die Beklagte in ihrem Schreiben vom 17.4.2020 die Auffassung vertreten hat, dass eine Entschädigung aus der Betriebsschließungsversicherung nicht zu zahlen ist, wenn die Betriebsschließung präventiv zum Schutz der Allgemeinheit und nicht gezielt auf den
einzelnen Geschäftsbetrieb angeordnet worden ist. Damit der Beweggrund tauglicher
Anfechtungsgegenstand für einen Inhaltsirrtum wird, muss dieser Eingang in die Erklärung
des Klägers gefunden haben und zu dessen Bestandteil geworden sein. Der Kläger hätte also
schlüssig vortragen müssen, ob und aus welchen Gründen auch er davon ausgegangen sei,
keinen Anspruch auf eine Entschädigung aus der Betriebsschließungsversicherung gegen die
Beklagte zu haben. Dazu ist aber keinerlei Tatsachenvortrag des Klägers erfolgt. Insoweit ist
es auch ohne Belang, dass dem Kläger bei Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs am
20.4.2020 die Versicherungspolice nicht vorgelegen hat und er keine weiteren Informationen
seitens des Versicherungsvermittlers S über seinen bestehenden Vertrag erhalten hat.
Vielmehr scheint es somit eher so gewesen zu sein, dass der Kläger aus vermeintlichen
Ergänzungen und Erläuterungen des Versicherungsvermittlers S keine Tatsachen hat
entnehmen können, die seine Rechtslage schlechter erscheinen ließen, als sie nach dem
Versicherungsvertrag möglicherweise war. Vielmehr war dem Kläger bewusst, dass die
Auffassung der Beklagten zu seinem Entschädigungsbegehren von seiner Sichtweise abwich,
sodass er die daraus zu ziehenden Konsequenzen abzuwägen hatte, nämlich den
Abfindungsvergleich zu unterzeichnen oder gegebenenfalls einen Rechtsstreit gegen die
Beklagte zu führen. Somit liegt auch kein erweiterter Inhaltsirrtum vor.

13. Ebenso wenig ist eine Unwirksamkeit des Abfindungsvergleichs aus § 779 Abs. 1 BGB
begründet. Danach ist ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als
feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht. Wertet man die
Abfindungvereinbarung vom 15./20.4.2020 als einen Vergleich, kommt es für die Frage der
Wirksamkeit also maßgebend darauf an, ob der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt
der Wirklichkeit entsprochen hat. Folgt man hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des
Sachverhalts einer extensiven Ansicht und versteht darunter alle Verhältnisse tatsächlicher
und rechtlicher Art, die die Parteien dem Vergleich als feststehend zugrunde gelegt haben
(vergleiche Palandt-Sprau § 779 BGB Rn. 14), so begründet das dennoch nicht die
Unwirksamkeit des Vergleichs. Es ist vom Kläger nicht dargetan worden, dass er wie auch
die Beklagte von einer einheitlichen rechtlichen Bewertung seines Entschädigungsanspruchs
aus der Betriebsschließung ausgegangen sind. Vielmehr ergibt sich aus dem Inhalt der
Abfindungsvergleichs vom 15./20.4.2020 und dem Schreiben der Beklagten vom 17.4.2020,
dass sie einen Entschädigungsanspruch des Klägers verneint hat, aber im Vergleichsinteresse
bereit war, 15% der Tageshöchstentschädigung für die Dauer von 30 Tagen an den Kläger zu zahlen. Der Kläger hat aber nicht dargetan, dass er sich dieser Auffassung angeschlossen hätte und aus welchen Gründen er das gegebenenfalls gemacht hätte. Vielmehr gab es vor dem Vergleich das Entschädigungsbegehren des Klägers, dem die Beklagte entgegentrat.

Gegenstand der Beilegung dieses Streits war dann die Abfindungsvereinbarung vom
15./20.4.2020. Damit ist eine Unwirksamkeit des Vergleichs nicht gegeben.

14. Letztlich besteht auch kein Schadensersatzanspruch des Klägers auf Aufhebung des
Abfindungsvergleichs vom 15./20.4.2020 im Wege der Naturalrestitution. Eine
Pflichtverletzung der Beklagten ist zu verneinen. Soweit der Kläger auf eine Fallkonstellation
verweist, dass eine Pflichtverletzung eines Versicherers vorliege, wenn dieser die
Unterzeichnung einer Abfindungserklärung verlange und sich vorher weigere, eine
Auszahlung der der Höhe nach festgestellten oder feststehenden Entschädigungssumme
vorzunehmen, so ist diese Fallgestaltung nicht mit dem streitgegenständlichen Sachverhalt
vergleichbar. Es fehlt gerade an einer festgestellten oder feststehenden
Entschädigungssumme, auf deren Auszahlung dann der Versicherungsnehmer einen
Anspruch hat, sodass deren Auszahlung nicht von der Unterzeichnung einer
Abfindungserklärung abgehängig gemacht werden darf. Es ist gerade zwischen den Parteien
im Streit, ob der Kläger überhaupt eine Entschädigungssumme verlangen kann, schon gar
nicht ist diese betragsmäßig festgestellt worden. Es ist dem Versicherer zuzugestehen, dass
er gegenüber dem Entschädigungsbegehren des Versicherungsnehmers einen abweichenden
Rechtsstandpunkt einnimmt.

15. Es geht deshalb auch der Hinweis des Klägers auf eine Verletzung von §§ 1 a, 6 Abs. 4
VVG fehl. Während § 1a VVG gegenüber § 6 Abs. 4 VVG keine eigenständige Bedeutung
zukommt (Prölss/Martin-Armbrüster § 1 a VVG Rn. 1), ergeben sich aus § 6 Abs. 4 VVG
Beratungspflichten vorrangig im Hinblick auf Vertragsänderungen oder den Neuabschluss
eines Vertrages, jedoch leitet sich daraus keine allgemeine Beratungspflicht in
Versicherungsfragen ab (Prölss/Martin-Rudy § 6 VVG Rn. 44). Es besteht jedoch eine
Verpflichtung für den Versicherer aus § 242 BGB zur Auskunft über die Ansprüche des
Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag nach Eintritt des Versicherungsfalls.
Dabei ist der Versicherer nach Treu und Glauben gehalten, seine überlegene Sach- und
Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszuüben. Eine Vereinbarung
über die Leistungspflicht setzt ein lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken der
Vertragspartner voraus, das auf Ergebnisse abzielt, die den Tatsachen und der Rechtslage
entsprechen. Nur so sei der Versicherungsnehmer in der Lage, verantwortlich darüber zu
entscheiden, ob er sich auf eine Beschränkung der nach den Versicherungsbedingungen
berechtigten oder von ihm für berechtigt gehaltenen Ansprüche einlassen will.
Vereinbarungen, die die nach dem Vertrag bestehende Rechtslage zum Nachteil des
Versicherungsnehmers ändern, sind nur möglich, wenn eine noch unklare Sach- und
Rechtslage besteht und vor ihrem Abschluss der Versicherer unmissverständliche und
konkrete Hinweise erteilt, wie sich die vertragliche Rechtsposition des Versicherungsnehmers
darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung verändert oder
eingeschränkt wird (BGH r+s 2007, 204).

16. Diesen Anforderungen wird das Verhalten der Beklagten gerecht. Gerade im April 2020
waren Rechtsfragen zur Entschädigungspflicht aus der Betriebsschließungsversicherung in
den Fällen der von der Landesregierung angeordneten Schließung von Gaststätten und
Einzelhandelsgeschäften noch ungeklärt, es gab noch keine Instanzrechtsprechung und
allenfalls vereinzelte Diskussionsbeiträge in der Literatur. Die Auffassung der Beklagten, die Betriebsschließungsversicherungs schütze nur vor betriebsinternen Gefahren und nicht vor
Betriebsschließungen aus generalpräventiven Gründen, ist keineswegs unvertretbar. Eine
überlegene Sach- und Rechtskenntnis der Beklagten hat nicht bestanden, da es in der
Vergangenheit keine dem Auftreten des Corona-Virus vergleichbare Situation mit der
Notwendigkeit bundesweiter Schließung von Betrieben zur Reduzierung der Kontakte der
Menschen gegeben hat. Derartige generalpräventive Maßnahmen hat die Beklagte nicht mehr
als dem Versicherungsschutz aus der Betriebsschließungsversicherung unterworfen
angesehen und sich in dem Schreiben vom 17.4.2020 offen zu dieser Rechtsmeinung
bekannt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen in einer auch für den Kläger
verständlichen Form aufgezeigt. Der Kläger ist darüber unterrichtet worden, dass er nur 15%
der vertraglich vereinbarten Tageshöchstentschädigung erhalten sollte, sodass ihm klar sein
musste, dass er mit Abschluss der Abfindungsvereinbarung auf 85% etwaiger vertraglicher
Ansprüche verzichten würde. Wenn der Kläger zu dem Gespräch bei dem
Versicherungsvermittler S unvorbereitet war und ihm sein Versicherungsvertrag nicht
vorgelegen hat, so war er nicht gezwungen, den Abfindungsvergleich am 20.4.2020 zu
unterzeichnen. Sowohl in dem Vergleichstext als auch in dem Anschreiben vom 17.4.2020
ist dem Kläger eine Überlegungsfrist bis zum 30.4.2020 eingeräumt. Es wäre dem Kläger
also unschwer möglich gewesen, die vorgefertigte Abfindungsvereinbarung mitzunehmen,
sich die Sache zu überlegen, gegebenenfalls Rechtsrat einzuholen und dann die Frage der
Unterzeichnung der Abfindungsvereinbarung zu entscheiden. Es sind keine Gründe erkennbar
und von dem Kläger auch nicht plausibel dargetan, warum er den umgekehrten Weg gewählt
hat, die Abfindungsvereinbarung offenbar spontan am 20.4.2020 unterschrieben, dann aber
schon am 27.4.2020 widerrufen hat. Nach alledem ist es der Beklagten nicht nach Treu und
Glauben verwehrt, sich auf die Abfindungsvereinbarung zu berufen. Da die Beklagte den
darin vereinbarten Vergleichsbetrag gezahlt hat, besteht kein weitergehender Anspruch des
Klägers.

17. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.