Oberlandesgericht Köln
Urteil vom 24.06.2014
Az.: 9 U 225/13
Versicherungssparte: Wassersportkaskoversicherung
Kürzung: 30%
Stichwörter: Sorgfaltspflichten, Leinensicherung, Seemannsbrauch
Urteil
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17.10.2013 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 24 O 121/11 – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 77.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.12.2010 zu zahlen sowie
außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.880,02 €
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.05.2011.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin 39 % und die Beklagte 61 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Klägerin 38 % und die Beklagte 62 % zu tragen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Schuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
- Die Klägerin, eine Handelsgesellschaft mit Sitz in E/USA, hatte für ihre Motoryacht „M“ (Hersteller „Bavaria, Typ 30 HAT Sport, 2 X 190 PS Volvo Penta Innenbordmotoren Typ D3-190) bei der Beklagten eine Wassersportkaskoversicherung abgeschlossen. Die Versicherungssumme betrug 139.700,00 € für die Yacht und 17.300,00 € für die Ausrüstung. Als Selbstbeteiligung war 1.500,00 € je Schadenfall vereinbart.
Das Boot wurde am 28.9.2010 in der Türkei, B, türkische Ägäis, durch eine Havarie anlässlich einer Testfahrt des Geschäftsführers der Klägerin zerstört.
Der Versicherungsschein vom 29.05.2009 verweist auf die „Z“ Versicherungsbedingungen „Conditions for the Hull Insurance“ (Anlage A 3, Bl. 15 ff. GA englisch und Bl. 54 ff. GA in der deutschen Fassung.).
Der gesetzliche Vertreter der Klägerin, Herr Dr. W, unternahm am 28.09.2010 gegen 14.00 Uhr alleine eine Probefahrt zur Überprüfung der Motoryacht und der Ausrüstung. Auf der Rückfahrt zum Hafen fuhr er mit Autopilot und ca. 25 – 27 Knoten. Er verließ wegen eines angeblich klappernden Geräuschs den Steuersitz und ging nach achtern.
In der Folge fiel er über Bord und wurde später von einem Fischerboot gerettet. Einzelheiten zum Überbordgehen sind streitig. Das Boot fuhr unbemannt weiter und zerschellte am Felsen „X“, Auf den Schadenbericht vom 29.9.2010, Bl. 23 f. GA und die Fotodokumentation, Bl. 210 ff. GA, wird Bezug genommen.
Die Beklagte bzw. „Z“ beauftragte den Sachverständien Dr. T mit einem Gutachten, Bl. 25 ff. GA, der einen Verstoß gegen seemännische Sorgfaltspflichten feststellte. Nach den Ausführungen des Gutachters hätte der Skipper wegen der Alleinfahrt die Ursachenforschung für das Klappern abbrechen oder in einem zweiten Törn mit einer Hilfskraft wiederholen müssen.
Mit Schreiben vom 17.11.2010 regulierte die Beklagte den Betrag von 27.940,00 € (20 % der Versicherungssumme von 139.700,00 €). Wegen grober Fahrlässigkeit müsse um 80 % gekürzt werden. Mit Schreiben vom 16.2.2011 regulierte die Beklagte weitere 3.460,00 € wegen der Ausrüstung (20 % von 17.300,00 €).
Die Klägerin hat zunächst behauptet, Dr. W könne sich nicht an das Überbordgehen erinnern. Später hat sie vorgetragen, er sei im Achterbereich gestolpert oder ausgerutscht und steuerbordseits über Bord gegangen. Hierbei habe er die den Wohnbereich von der Badeplattform trennende 61 cm hohe und 32 cm breite und geschlossene Tür überwunden. Später hat die Klägerin behauptet, er habe unmittelbar hinter dem geschlossenen Türchen gestanden und sich mit den Händen an der Sitzbank und der Seitenwand des Bootes abstützend leicht nach vorne gebeugt, um das Geräusch zu ergründen. Inwieweit er sich bei dem Nachvornebeugen damit bereits über das Türchen hinaus nach achtern gebeugt habe oder nicht, könne er nicht mehr mit Sicherheit sagen. Das Verhalten sei nicht grob fahrlässig. Er habe sich entsprechend den Regeln der guten Seemannschaft zum Schiff hin gesichert. Er habe sich mit der linken Hand gegen die Bordwand steuerbordseitig abgestützt und die rechte Hand auf die Rückenlehne der hinteren Sitzbank gelegt. Entgegen dem Gutachten des Dr. T sei das Türchen nicht 51 cm, sondern 61 cm hoch und biete ausreichenden Schutz. Anschnallmöglichkeiten seien nicht vorgesehen. Auch eine „Sorgeleine“ hätte den Schaden nicht verhindert, weil Dr. W dann hinter der Yacht hergezogen worden wäre.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- an sie 125.600,00 € zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 18.12 2010 zu zahlen,
- an sie auf die ihr in dieser Streitsache bereits außergerichtlich
entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.356,68 €
zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
Die Beklagte hat sich auf grobe Fahrlässigkeit durch Außerachtlassen der nautischen Sorgfaltspflichten in besonders schwerem Maße berufen, indem der Schiffsführer während einer Einhandfahrt mit relativ hoher Geschwindigkeit von circa 25 – 27 kn den Steuerstand verlassen habe. Mit unkontrollierbaren Wellenbewegungen sei zu rechnen gewesen. Auch sei der Beklagten in diesem Zusammenhang nicht bekannt, inwieweit der Steuersitz über einen Anschnallgurt verfügt habe.
Wenn die Klägerin vortrage, der Skipper habe die Geschwindigkeit deshalb nicht verlangsamt, weil er ein auffälliges Geräusch aus dem Motorbereich vernommen habe, so könne dem nicht gefolgt werden. Insoweit hätte die Probefahrt abgebrochen werden müssen. Den Vortrag der Klägerin zum Hergang bestreitet die Beklagte.
Jedenfalls sei der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens auch schon dadurch begründet, dass Herr Dr. W sich bei der relativ hohen Geschwindigkeit über das Türchen gebeugt habe
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen X2 (Bl. 225 ff.GA) und Erläuterung des Gutachtens im Termin vom 12.9.2013 (Bl. 290 ff. GA).
Sodann hat das Landgericht der Klage in Höhe von 124.100,00 € nebst Zinsen und Anwaltskosten stattgegeben. Das Landgericht hat u.a. ausgeführt, die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte sei beweisfällig dafür geblieben, dass der Skipper aus seemännischer Sicht heraus grob fahrlässig gehandelt habe. Das Verhalten sei fahrlässig, jedoch nicht grob fahrlässig.
Der Fahrlässigkeitsvorwurf beschränke sich allein darauf, dass der Skipper die Fahrt mit der Motoryacht bei unverminderter Geschwindigkeit fortgesetzt und dabei versucht habe, klappernden Geräuschen nachzugehen, indem er sich unmittelbar an das Türchen zum Heckbereich gestellt und sich mit den Händen an der Sitzbank und der Seitenwand des Bootes abstützen über das Türchen gebeugt habe. Es habe sich nicht aufdrängen müssen angesichts der konkreten Wind- und Wellensituation, dass es zu einer Erschütterung des Bootes kommen könnte.
Wegen der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil und seine Feststellungen Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung, mit der sie Abweisung der Klage erstrebt.
Sie macht geltend, der erfahrene Skipper hätte wissen müssen, dass bei einer Motoryacht, die mit hoher Geschwindigkeit unterwegs sei, zu jeder Zeit mit atypischen Schiffsbewegungen bzw. Erschütterungen zu rechnen sei. In einer Einhandsituation sei bereits das Verlassen des Steuerstandes als grob fahrlässig anzusehen, hier erst recht, weil er die Geschwindigkeit nicht verringert habe. Sofern er gemeint habe, er könne die Störgeräusche nur bei mehr als 25 Knoten wahrnehmen, hätte er die Testfahrt abbrechen müssen. Bei Überbordgehen hätte das Boot auf den voll besetzten Strandabschnitt zurasen können. Es dürfe nicht dem Zufall überlassen bleiben, bei ein Schiffsführer bei hoher Geschwindigkeit unter Autopilot an Bord bleibe oder nicht.
Es habe erstinstanzlich nicht geklärt werden können, wo der Skipper gestürzt sei. Soweit Dr. W eingeräumt habe, er könne sich noch daran erinnern, die rechte Hand auf die Rückenlehne der hinteren Sitzbank gelegt und sich mit dem Oberkörper leicht nach vorn gebeugt zu haben, begründe allein dieses Verhalten einen Aspekt der groben Fahrlässigkeit. Jedenfalls sei es sehr leichtsinnig gewesen, sich darauf zu verlassen, sich festhalten zu können. Mit einer Wellenbewegung sei stets zu rechnen gewesen. Der Sachverständige Weise habe die Einhand-Situation nicht ausreichend berücksichtigt. Es sei von einer deutliche erhöhten Sorgfaltspflicht auszugehen. Dies entspreche den Grundsätzen der guten Seemannschaft, wie sie gelehrt würden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin macht geltend, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO entspreche. Es würden keine Anhaltspunkte bezeichnet, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen begründen und deshalb neue Feststellungen gebieten. Im übrigen verteidigt die Klägerin das angegriffene Urteil und trägt vor, einen Seemannsbrauch, welcher bei allein fahrtenden Schiffsführern eine Leinensicherung gebiete, gebe es nicht. Dem Skipper seien als erfahrenem Segler und Motorbootfahrer die Verhältnisse und allgemeinen Gefahren auf Küstengewässern sehr wohl bewusst gewesen. Er habe nicht mit der Gefahr des Überbordfallens gerechnet und geglaubt, sich durch Festhalten an den vorhandenen Haltegriffen sowie an den fest installierten Bordeinrichtungen ausreichend sichern zu können. Zudem sei er sich des Schutzes durch die verschlossene Hecktür bewusst gewesen. Wäre ein Schiffsführer in dieser Situation durch eine ausreichend lange Leine gesichert gewesen, um sich im gesamten Arbeitsbereich frei bewegen zu können, wäre er ebenfalls über die Hecktür gefallen und von dem Boot mitgezogen worden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre es auch noch zu einem Personenschaden gekommen
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.
- 1. Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken. Die Berufungsbegründung entspricht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Die Begründung muss eine aus sich heraus verständliche Angabe enthalten, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche und auf den konkreten Streitfall zugeschnittene Darstellung, welche bestimmten Punkte des angegriffenen Urteils bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe vom Berufungskläger ihnen entgegensetzt werden (vgl. BGH NJW 2013, 174; Reichhold in Thomas/Putzo, 35. Aufl., § 520 Rn. 20; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl. § 520 Rn. 33 ). Die Berufung greift die Feststellungen und Bewertungen des erstinstanzlichen Urteils in Bezug auf die nautischen Sorgfaltsanforderungen an den Schiffsführer im konkreten Fall an und setzt sich damit auseinander. Damit sind die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO erfüllt.
- Die Berufung der Beklagten ist nur zu einem geringen Teil begründet.
- a) Der Klägerin steht gegen die Beklagte noch ein Anspruch aus dem Schiffskaskoversicherungsvertrag gemäß den Artikeln 1,3, 5 – 7 der Yacht-Pool Bedingungen in Höhe von 77.000,00 € zu.
Nach dem Bedingungswerk besteht im Grundsatz Allgefahrendeckung, u.a. für Kollision, Strandung und Sinken der versicherten Motoryacht.
- b) Auf die abgeschlossene Versicherung findet nach Ziffer 12.6 der Bedingungen das deutsche VVG kraft Vereinbarung Anwendung. Es handelt sich nicht um eine Großrisikoversicherung nach § 210 VVG oder um eine Seeversicherung nach § 209 VVG. Für privat genutzte Boote soll nach dem Sinn der Regelung § 210 VVG nicht gelten (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 28. Aufl. vor AVBW 2008 Rn. 1). Auch ist die Anwendung des VVG nicht durch § 209 VVG ausgeschlossen. Die Seeversicherung war vor der Gesetzesreform auf die gewerbliche Schifffahrt zugeschnitten. Daran sollte nichts geändert werden (vgl. Knappmann, a.a.O., Rn. 3 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Es gilt vorliegend im Hinblick auf den Schadenfall gemäß Art 1. EGVVG das neue VVG in der Fassung des Gesetzes vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2631.
- c) Der Eintritt des Versicherungsfalles im Sinne von Artikel 3. 1 des Bedingungswerkes im Rahmen der Allgefahrendeckung (Kollision, Strandung und Sinken) ist zwischen den Parteien nicht streitig.
- Im vorliegenden Fall kommt eine Leistungskürzung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den gesetzlichen Vertreter der Klägerin als Bootsführer zum Tragen. Die zutreffende Kürzung bemisst der Senat im Ergebnis auf 30 %.
Nach Artikel 4 der Yacht Pool Schiffskaskobedingungen besteht ein Leistungsausschluss für Schäden durch vorsätzliche und/oder grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers, des Skippers, der Crew und/oder der Mitreisenden.
- a) Das Verhalten des Bootführers W ist der Klägerin als Versicherungsnehmerin zuzurechnen. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Ausweitung der Zurechnung im Bedingungswerk wirksam bzw. ob dem Skipper die Risikoverwaltung (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1250) übertragen und er als Repräsentant der Versicherungsnehmerin anzusehen ist (dazu Senat VersR 2003, 1252; Prölss/Martin/Knappmann, a.a.O., Nr. 5 AVBW 2008 Rn. 4, 5 mit weiteren Nachweisen). Der Bootsführer ist unstreitig der gesetzliche Vertreter der Klägerin als Versicherungsnehmerin und aus diesem Grund verantwortlich (§ 31 BGB analog). Die Klägerin ist eine Handelsgesellschaft nach amerikanischem Recht (Bl.10 ff GA), deren gesetzlicher Vertreter (director) Herr W ist.
- b) Das Verhalten des gesetzlichen Vertreters der Klägerin als Bootsführer ist als grob fahrlässig zu bewerten, wenn auch im unteren Bereich.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Maße außer Acht lässt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste (vgl. BGH VersR 2003, 364). Das Fehlverhalten muss auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbar sein (vgl. Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, a.a.O., § 81 Rn. 8 f.). Bei einem Bootsunfall sind insbesondere die Maßstäbe des Schiffsverkehrs zu berücksichtigen (vgl. Senat OLG Köln VersR 2011, 1051; OLG Frankfurt VersR 1988, 243; OLG Hamburg VersR 1982, 970, Gerhard, TranspR 2007, 1818; Prölss/Martin/Knappmann, a.a.O., AVBW 2008 Nr.10 Rn. 7 ff). Im Rahmen der Bewertung ist das allgemeine seemännische Grundwissen der beteiligten Kreise heranzuziehen (Knappmann, a.a.O., AVBW 2008 Rn. 9).
Der Senat geht davon aus, dass angesichts der relativ hohen Geschwindigkeit des Bootes von 25 bis 27 Knoten das Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin, den Autopilot einzustellen, den Steuerstand zu verlassen und sich in die Nähe des Heckbereichs zu begeben, als grob fahrlässig anzusehen ist.
Der Geschäftsführer der Klägerin hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht und vor dem Senat angegeben, dass er am Ende seiner Testfahrt bei der Rückkehr zunächst mit voller Geschwindigkeit in Richtung N gefahren sei. Er habe auf die Sichtmarke X zugesteuert. Dann habe er das Schiff so eingestellt, dass dieser Kurs gehalten werden solle. Anschließend sei er mit circa 25 bis 27 Knoten gefahren, Volllast sei zwischen 33 und 35 Knoten. Als er ein Klappern gehört habe, sei er „nach hinten gelaufen bis vor die Türe“. Auf dem Weg habe er eine gewisse Grundvibration bemerkt und sei von Hand zu Hand weiter nach hinten gegangen, indem er sich beispielsweise auf den Tisch gestützt habe. Er sei gesichert nach hinten gelaufen. Die rechte Hand habe er auf die Rückenlehne gestützt und die linke gegen die Seitenwand gehalten, sozusagen sich auch dort abgestützt. Er habe etwas nach vorne gebeugt gestanden. Bei seiner Schilderung im Schadensbericht (Bl.23 GA) hat der Geschäftsführer der Klägerin angegeben, er müsse dann irgendwie gestolpert oder ausgerutscht sein.
Der gerichtliche Sachverständige X2 hat dazu unter Berücksichtigung der seemännischen Sicht ausgeführt, dass man bei einem schnell laufenden Motorboot das Cockpit nicht zu verlassen habe. Das Überbordfallen sei wahrscheinlich dadurch entstanden, dass der Skipper sich dicht an der Hecktür aufgehalten habe, wie er es im Unfallbericht geschrieben habe, und dann entweder durch eine plötzliche Bewegung des Bootes den Halt verloren und nach achtern über Bord gefallen sei oder durch eine plötzliche körperliche Beeinträchtigung keinen Halt gefunden habe. Bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, dass es seemännisch nicht mehr in Ordnung sei, wenn man nach vorne gebeugt stehe und der Schwerpunkt sich außerhalb des geschützten Bereichs befinde , ohne ansonsten weiter gesichert zu sein.
Insgesamt betrachtet sieht der Senat das Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin als grob fahrlässig an, insbesondere weil ohne Not der hintere Bereich aufgesucht wurde und eine Sicherung durch Leinen nicht möglich war. Ein bloßes Abstützen mit der Hand – unabhängig von der Hecktür – war bei weitem nicht ausreichend. Der Skipper musste sich darüber im Klaren sein, dass dieses Handeln äußerst risikoreich war, insbesondere weil im Fall des Überbordgehens das Boot herrenlos mit unverminderter Geschwindigkeit auf das Land zusteuerte. Er hätte die Suche nach dem Geräusch abbrechen und bei einer Wiederholungstestfahrt eine Hilfskraft hinzuziehen müssen. Eine momentane Unaufmerksamkeit hat angesichts der Situation nicht vorgelegen, würde auch angesichts der Gefährlichkeit der Umstände grobe Fahrlässigkeit nicht ausschließen (vgl. BGH VersR 1992, 1085; VersR 2003, 364).
- c) Soweit Artikel 4 des Bedingungswerkes bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles einen völligen Leistungsausschluss ohne jede Möglichkeit der Quotierung vorsieht, ist die Regelung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die Abschaffung des „Alles- oder Nichts-Prinzips“ in § 81 Abs. 2 VVG zählt nämlich zu dem gesetzlichen Leitbild (vgl. Karczewski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG. 2. Aufl., § 81 Rn. 134; Looschelders in MünchKomm/VVG, § 81 Rn. 140; vgl. zur Quotierung bei Verletzung von vertraglich vereinbarten Obliegenheiten BGH VersR 2011, 1550). Der Gesetzgeber hat anstelle der völligen Leistungsfreiheit die Kürzungsmöglichkeit der Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis eingeführt (zur Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/3945 S. 79 f.). Da die Vorschriften der §§ 209, 210 VVG keine Anwendung finden, kann dahinstehen, ob auch im Rahmen der §§ 209 (Seeversicherung), 210 (Großrisikoversicherung) VVG eine vollständige Leistungsfreiheit in Abweichung vom Quotelungsprinzip bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles vereinbart werden kann.
- d) Nach dem demgemäß anzuwendenden § 81 Abs. 2 VVG ist Maßstab der Kürzung die Schwere des Verschulden des Versicherungsnehmers. Insoweit ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl. BGH VersR 2011, 1037). Bei der Abwägung siedelt der Senat das Maß der groben Fahrlässigkeit im unteren Bereich an, insbesondere, da der erfahrene Skipper seine Fähigkeit, die Situation zu beherrschen, im Einzelfall überschätzt hat. Eine Kürzungsquote von 30 % erschien angemessen.
Danach ergibt sich ein Entschädigungsbetrag von 70 % abzüglich der Selbstbeteiligung. Die bereits gezahlten Beträge sind zu berücksichtigen.
Die Versicherungssumme für die Yacht ist mit 139.700,00 € vereinbart zuzüglich für die Ausrüstung 17.300,00 € (Taxwerte). Die Beklagte zahlte vorgerichtlich 20 % , und zwar 27.940,00 € auf den Bootsschaden und 3.460,00 € auf den Ausrüstungsschaden (Bl. 300 ff. GA).
Die Entschädigung berechnet sich wie folgt:
70 % von 139.700,00 € = 97.790,00 € (Boot)
Gezahlt 27.940,00 €
Rest 69.850,00 €
70 % von 17.300,00 € = 12.110,00 € (Ausrüstungsschaden)
Gezahlt 3.460,00 €
Rest 8.650,00 €
Insgesamt zu zahlen : 78.500,00 €
Abzüglich Selbstbet. 1.500,00 €
Anspruch der Klägerin: 77.000,00 €
- Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 280, 286, 288 BGB. Der Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen folgt aus den §§ 280, 286, 249 BGB entsprechend dem Gegenstandswert.
- Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO waren nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 124.100,00 €