Landgericht Neubrandenburg
Urteil vom 22.06.2012
Az.: 2 O 8/12
Versicherungssparte: Diebstahlversicherung
Kürzung: 100%
Stichwörter: Schlüssel, polizeiliche Warnung
Urteil
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Klägerin handelt gewerbsmäßig mit Neu- und Gebrauchtfahrzeugen an ihren Standorten in … eine und … . Im Juni 2010 übergab die Polizeiinspektion Neubrandenburg an die Klägerin eine “Warnmeldung” zu mehreren gleichgelagerten Taten, bei denen Personen aus dem osteuropäischen Raum als Kaufinteressenten aufgetreten waren und hierbei Transponder von Fahrzeugschlüsseln ausgetauscht hatten. In dem Warnhinweis lautet es unter anderem:
“Für den Fall, dass durch ausländische Personen Kaufinteresse an PKW bekundet wird und bei der Besichtigung des Fahrzeuges darauf bestanden wird, den Motor laufen zu lassen, informieren Sie bitte über … die örtliche Polizeidienststelle zeitnah….
Geben Sie keinen Fahrzeugschlüssel aus der Hand. Stecken Sie den Fahrzeugschlüssel selbst in das Zündschloss und beobachten Sie die Personen genau, um einen Austausch eines Transponders unmöglich zu machen.”
Die Klägerin kaufte bei einem Autohaus in … einen PKW Nissan Pathfinder 2.5 Dci mit einem Kilometerstand von 115.000 zu einem Kaufpreis von 12.941,18 €. Das Fahrzeug wurde nach Anlieferung auf denn Gelände des Autohauses der Klägerin im … abgestellt. Am 12.01.2012 erschienen dort zwei Personen ausländischer Herkunft, die sich als Fahrzeughändler ausgaben und Interesse an dem Fahrzeug bekundeten. Der dort tätige Verkäufer der Klägerin, Herr…, holte zum Zwecke der Besichtigung die Fahrzeugschlüssel, die sich beide an einem Schlüsselbund befanden. Er öffnete das Fahrzeug und startete den Motor. Einer der Interessenten gab an, er wolle den Motor in Augenschein nehmen, woraufhin sich der Verkäufer mit dieser Person zur Fahrzeugfront begab und die Motorraumabdeckung öffnete. Die zweite Person setzte sich währenddessen in das Fahrzeug, um die Bordmappe in Augenschein zu nehmen. Nach Ende der Besichtigung schaltete der Verkäufer den Motor wieder aus, zog den Schlüssel ab und verschloss das Fahrzeug.
Am 13.01.2011 wurde festgestellt, dass das Fahrzeug verschwunden war. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wurde festgestellt, dass während der Fahrzeugbesichtigung einer der Schlüssel ausgetauscht worden war. Die Schlüssel sahen vom Schlüsselgriff her, in welchem sich die Fernbedienung befindet, identisch aus und unterschieden sich lediglich im Schlüsselbart.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr allenfalls leichte bis normale grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei und deshalb eine Kürzung im Umfang von 25-50 % gerechtfertigt sei.
Die Klägerin beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.470,59 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.07.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Sie ist der Ansicht, dass das Verhalten der Klägerin derart grob fahrlässig gewesen sei, dass dies gemäß § 81 Abs. 2 WG zu einer völligen Leistungsfreiheit der Beklagten führe. Seitens der Klägerin oder ihrer Mitarbeiter hätte nach Auffassung der Beklagten eine optische Überprüfung der Schlüssels und eine Überprüfung der Funktionstüchtigkeit stattfinden müssen. In Fällen einer gravierenden groben Fahrlässigkeit sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Anspruch vollständig zu versagen. Die Beklagte ist der Meinung, dass für den Versicherungsfall der Einkaufswert des Fahrzeuges maßgeblich sei und behauptet hierzu, dass dieser nur netto 9.200,- € betrage.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen, da die Beklagte wegen der grob fahrlässigen Handlungsweise der Klägerin aus § 81 Abs. 2 WG berechtigt ist, die Leistung auf Null zu kürzen.
Nach § 81 Abs. 1 VVG ist der Versicherer bei vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles kraft Gesetzes von der Verpflichtung zur Versicherungsleistung frei. Bei grober Fahrlässigkeit ist demgegenüber eine Abwägung erforderlich, die zu unterschiedlichen Quotierungen, im Einzelfall auch zu einer Kürzung auf Null führen kann; umgekehrt kann in besonders gelagerten Fällen eine Leistungskürzung vollständig entfallen (BGH, Urteil vom 22.06.2011, Az. IV ZR 225/10, zitiert nach Juris, m.w.N.). Diese Auslegung folgt aus der Systematik und Entstehungsgeschichte des Gesetzes, da auf Initiative des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages im Falle der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 WG das Wort “nur” unter Hinweis auf die gleichlautende Regelung in § 81 Abs. 2 VVG gestrichen worden war (BGH, a.a.O. Rz. 28-30). Eine Leistungskürzung des Versicherers auf Null ist allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen möglich, insbesondere, wenn sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähert, so dass eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt ist. Nach einer Entscheidung des Landgerichts Kleve (Urteil vom 13.01.2011, Az. 6 S 79/10, zitiert nach Juris) ist eine derart grob fahrlässige Handlungsweise anzunehmen, wenn ein Fahrzeug nach Verlust des Fahrzeugschlüssels ohne weitere Sicherungsmaßnahmen an gleicher Stelle abgestellt wird.
Danach ist vorliegend eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt. Die Beklagte hatte etwa ein halbes Jahr vor der Entwendung des Fahrzeuges den zu den Akten gereichten Warnhinweis der örtlichen Kriminalpolizei erhalten, den sie unstreitig zur Kenntnis genommen und an die bei ihr tätigen Verkäufer weitergegeben hat. Darin wurde ausdrücklich vor Manipulationen am Fahrzeugschlüssel, nämlich dem Austausch von Transpondern in Schüsseln, gewarnt. Der zu Lasten der Klägerin erfolgte Diebstahl fand in einer ähnlichen Begehungsweise statt, da auch dort Voraussetzung für die Tat war, dass ein Täter unbeaufsichtigt einen Fahrzeugschlüssel manipulieren kann. Vor einer unbeaufsichtigten Überlassung von Fahrzeugschlüsseln war in dem Warnhinweis der Kriminalpolizei ausdrücklich gewarnt worden. Es ist zudem kein Grund dafür ersichtlich, warum trotz der bestehenden Warnung beide Fahrzeugschlüssel an einem Schlüsselbund geführt wurden. Erst dadurch war es für die Täter möglich, Manipulationen an einem Fahrzeugschlüssel vorzunehmen, ohne dass dies am Schluss der Besichtigung durch den Verkäufer des Autohauses bemerkt wird, sobald das Fahrzeug wieder verschlossen werden soll. Angesichts des Warnhinweises der Kriminalpolizei hätte Veranlassung bestanden, ais Sicherheitsmaßnahme jeweils nur einen Fahrzeugschlüssel bei einer Fahrzeugbesichtigung durch einen Kunden zu nutzen. Darüberhinaus wäre es geboten gewesen, die beiden Fahrzeugschlüssel am Ende des Besichtigungstermins zu überprüfen. Der Schlüsselbart des ausgetauschten Schlüssels hätte sodann als abweichend auffalten können. Das Verschulden des hier tätigen Verkäufers ist der Klägerin nach § 278 BGB zuzurechnen. Die grob fahrlässige Begehungsweise nähert sich nach dem Schweregrad bereits dem Vorsatz an, so dass die Beklagte zur vollständigen Leistungskürzung berechtigt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziffer 11 ZPO.