Amtsgericht Aalen
Urteil vom 31.08.2016
Az.: 12 C 148/16
Versicherungssparte: Kfz-Haftpftlicht
Kürzung: 0
Stichworte: Restschadenersatz, Schätzung von Sachverständigenkosten, Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden
Amtsgericht Aalen
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin –
gegen
1) …
– Beklagte –
2) Generali Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstand Giovanni Liverani, Adenauerring 7, 81737 München
– Beklagte –
wegen Schadensersatzes
hat das Amtsgericht Aalen durch die Richterin Dr. K. auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2016 für Recht erkannt:
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.347,41 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Am 29. Juli 2015 ereignete sich auf dem Parkplatz der … in … ein Verkehrsunfall, an welchem das klägerische Fahrzeug, geführt von der Zeugin … und das Beklagtenfahrzeug, geführt von der Beklagten 1) und haftpflichtversichert bei der Beklagten 2), beteiligt waren. Das klägerische Fahrzeug war vorwärts in einer Parkbucht abgestellt gewesen und fuhr rückwärts aus der Parkbucht aus. Ob dieser Vorgang bereits abgeschlossen war, ist zwischen den Parteien streitig. Das Beklagtenfahrzeug näherte sich in Vorwärtsfahrt. Es kam zur Kollision. Der genaue Hergang ist zwischen den Parteien streitig. Vom klägerseits geltend gemachten Schaden wurden vorgerichtlich bereits 50 % der durch die Beklagten anerkannten Schäden reguliert. Der noch offene Betrag (Weitere 50 % und außerdem die vollen Sachverständigenkosten) wird mit der Klage geltend gemacht.
Von Klägerseite wird vorgetragen, dass das klägerische Fahrzeug bereits ausgeparkt gehabt habe, vollständig quer zur Bucht auf der Fahrspur gestanden habe und den Vorwärtsgang eingelegt gehabt habe. Die Zeugin … sei gerade dabei gewesen, vorwärts anzufahren, als das Beklagtenfahrzeug aufgefahren sei. Bevor sie losgefahren sei, sei die Zeugin … ihrer doppelte Rückschaupflicht nachgekommen. Das Fahrzeug der Klägerseite habe im direkten Sichtbereichm für die Beklagte gelegen. Für die Klägerseite sei das Auffahren der Beklagten ein unabwendbares Ereignis gewesen. Durch die Kollision sei das klägerische Fahrzeug ca. 1 m nach vorne geschoben worden. Zu regulieren seien 100 % und auch die Sachverständigenkosten in voller Höhe nämlich mit 476,50 € und nicht lediglich 430,00 €, wie von Beklagtenseite zugrundegelegt.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Von Beklagtenseite wird vorgetragen, dass das Beklagtenfahrzeug sich bereits unmittelbar vor der Parkbox des klägerischen Fahrzeugs befunden habe, als das klägerische Fahrzeug plötzlich und ohne nach hinten zu sehen zügig rückwärts ausgefahren sei und in die Fahrlinie des Beklagtenfahrzeugs hineingefahren sei. Für die Beklagtenseite sei die Kollision unabwendbar gewesen. Es sei hier eigentlich eine Alleinhaftung der Klägerseite gegeben. Was sie Sachverständigenkosten angeht, so wird vorgetragen, dass keine Preisabsprache zwischen der Auftraggeberin und dem Gutachter stattgefunden habe und somit das Übliche als vereinbart gelte, die 430,00 € entsprächen der BVSK 2015.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2016.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen S. und H. sowie M. und P. B. . Außerdem wurde ein mündliches Sachverständigengutachten bei Herrn Dip Ing. … eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die alleinige Unfallverursachung durch die Beklagte 1) wurde zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nachgewiesen, so dass nach § 17,18 StVG die alleinige Haftung der Beklagtenseite gegeben ist. Die Beklagte 1) hat gegen die ihr obliegende allgemeine Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Sie ist, wie sich aus der durchgeführten Beweisaufnahme ergibt, in Vorwärtsfahrt auf das nach dem Ausparkvorgang bereits stehende Fahrzeug der Klägerin aufgefahren.
Die nicht am Unfall beteiligte Zeugin … gab in ihrer Vernehmung in geordneter Weise an,
dass das klägerische Fahrzeug aus dem Parkplatz bereits ausgefahren gewesen sei und bereits 2-3 Sekunden gestanden habe, als es zur Kollision kam. Die Zeugin machte ihre Angaben frei von Widersprüchen und räumte Wissenslücken und Bedenken offen ein. So schilderte sie auch, dass sie das Beklagtenfahrzeug erst nach dem Unfall vollständig gesehen habe, vorher sei die Sicht verstellt gewesen und sie habe nur ein Stückchen des roten Fahrzeugs wahrgenommen, ehe es knallte. Die ebenfalls nicht unmittelbar am Unfall beteiligte Zeugin … gab an, dass sie das Beklagtenfahrzeug von links habe kommen sehen und das Fahrzeug dann in das klägerische Fahrzeug hineingefahren sei. Das klägerische Fahrzeug habe bereits gestanden, als es geknallt habe. Wie lange das Fahrzeug genau gestanden habe, konnte die Zeugin nicht sagen, vielleicht ein paar Sekunden. Auch die Zeugin … machte ihre Angaben frei von Widersprüchen unter Belastungstendenzen. Gründe, an den Angaben der Zeugin zu zweifeln, hat das Gericht nicht. Der Zeuge … gab an, dass es zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug gekommen als das klägerische Fahrzeug schon aus der Parklücke draußen gewesen sei und die Zeugin wohl gerade den Vorwärtsgang habe einlegen wollen. Das Klägerfahrzeug habe schon gestanden. Der Zeuge gab außerdem an, dass er meine, dass das klägerische Fahrzeug nach vorne geschoben worden sei. Auch der Zeuge … räumte Wissenslücken offen ein, so gab er an, dass er nicht genau sagen könne, woher das Beklagtenfahrzeug gekommen sei. Gründe an den Angaben des Zeugen zu zweifeln, hat das Gericht nicht. Die Darstellung der Zeugen entspricht auch den Angaben der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs, der Zeugin … . Sie gab an, dass durch die Kollision das klägerische Fahrzeug ca. 1 m weiter bewegt worden sei, da sie noch nicht eingeschlagen gehabt habe. Bereits aufgrund der Angaben der Zeugen ist das Gericht daher davon überzeugt, dass das klägerische Fahrzeug stand, als es zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug kam.
Dies ist auch ein aus technischer Sicht möglicher Hergang. Alle Zeugen, sowie auch die Beklagte 1) bestätigten, dass die vorliegenden Lichtbilder den Unfallentstand dokumentieren. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen … denen sich das Gericht nach kritischer Würdigung vollumfänglich anschließt, kann anhand der Unfallendstellung und der Beschädigungen an den Fahrzeugen aus technischer Sicht eine relative Bewegungsgeschwindigkeit von mindestens 15 km/h errechnet werden. Welches Fahrzeug sich bewegte, lässt sich nicht herleiten. Aus technischer Sicht ist nicht auszuschließen, dass das Fahrzeug der Klägerin stillstand. Die relative Bewegungsgeschwindigkeit des anderen Fahrzeugs würde dann in die Kollisionsenergie einfließen, was bedeuten würde, dass tatsächlich das Fahrzeug der Klägerin um etwa 1 m nach vorne geschoben würde, wenn mit ungefähr 15 km/h das Beklagtenfahrzeug auffahren würde.
Ein Anscheinsbeweis zulasten der Klägerin greift vorliegend nicht ein. Zwar wird der Anscheinsbeweis, der gegen den Rückwärtsfahrenden spricht auch auf Parkplatzunfälle entsprechend angewandt, da § 9 Abs. 5 StVO mittelbar über § 1 Abs. 2 StVO Anwendung findet (z. B. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016, Az. VI ZR 179/15), doch greift der Anscheinsbeweis nur dann, wenn tatsächlich die erforderliche Typizität vorliegt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Fahrzeug desjenigen, gegen den der Anscheinsbeweis eingreifen soll, im Kollisionszeitpunkt bereits stand, da es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffende Sorgfaltspflicht verletzt hat (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015, Az. VI ZR 6/15). Außerdem ist hier nicht nur offen, ob das Klägerfahrzeug möglicherweise stand, sondern es wurde hier, wie bereits oben dargelegt, nachgewiesen, dass das klägerische Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt bereits stand.
Aufgrund des qualifizierten Verkehrsverstoßes der Beklagtenseite kommt es auf die Frage der Vermeidbarkeit für die Klägerseite nicht mehr an, die Betriebsgefahr tritt hinter den qualifizierten Verstoß zurück.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.