Der Frittierversuch
Landgericht Dortmund
Urteil vom 20.10.2011
Az.: 2 O 101/11
Kürzung: 50 %
Versicherungssparte: Wohngebäudeversicherung
Stichwörter: Brand, Einbauküche,
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 2.250,00 € (i. W.: zweitausendzweihundertfünfzig Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.04.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen 4/5 die Kläger und 1/5 die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages. Die Kläger können die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Kläger unterhalten bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung unter Geltung der VGB 02 für ihr Wohnhaus …
Am 08.11.2010 erhitzte die Klägerin zu 2.) auf der Herdplatte eines Ceranfeldes der Einbauküche Fett in einem Topf, um darin Pommes frittes zu frittieren. Nach Einschalten der Herdplatte verließ sie das Haus, um ihre ältere Tochter aus der Schule abzuholen. Die jüngere Tochter blieb allein schlafend im Obergeschoss des Hauses zurück. Die Klägerin zu 2.) für zunächst zu einer nahegelegenen Bäckerei. Dort fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihrer Nachbarin einen Hausschlüssel zu geben, um gegebenenfalls nach der kleinen Tochter schauen zu können. Als sie zum Wohnhaus zurückkamen, bemerkte sie schon Feuer und Rauch im Wohnhaus. Gemeinsam mit der Nachbarin zog sie den brennenden Topf vom Herd und holte die kleine Tochter aus dem Bett. Beim Eintreffen von Feuerwehr und Polizei war der Brand bereits vollständig gelöscht. Der durch den Brand verursachte Gebäudeschaden beträgt unstreitig 10.944,73 €. Davon hat die Beklagte 50 % = 5.472,37 € beglichen. Außerdem ist die Einbauküche ruiniert, die die Kläger im Jahre 2005 angeschafft hatten.
Die Kläger machen die Neuwertentschädigung für die Küche sowie den Rest des Gebäudeschadens geltend.
Sie meinen, dass die Klägerin zu 2.) nicht grob fahrlässig gehandelt habe, so dass die Beklagte zur Leistungskürzung nicht berechtigt gewesen sei. Die Herdplatte sei auf kleiner Stufe eingestellt gewesen, so dass die Klägern zu 2.) mit einem Entflammen des Fettes nicht habe rechnen können. Sie meinen, die Einbauküche sei vom Versicherungsschutz umfasst, weil sie individuell geplant worden sei.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.504,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie sieht sich leistungsfrei, weil die Klägerin durch Anrufe bei ihr und der Polizei versucht habe, das Einschalten der Herdplatte und das Entflammen der Herdplatte zu leugnen. Jedenfalls nimmt sie eine eigene Leistungskürzungsbefugnis von mindestens 50 % an. Die Einbauküche hält sie für nicht versichert, weil alle Teile serienmäßig produziert worden seien.
Das Gericht hat die Klägerin zu 2.) zum Schadensfall angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08.09.2011, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Den Klägern steht aus den zwischen den Parteien bestehenden Wohngebäudeversicherungsvertrag aus Anlass des Brandereignisses vom 08.11.2010 wegen des Gebäudeschadens kein weiterer Anspruch auf Versicherungsleistungen zu, da die Beklagte wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles gemäß § 81 VVG berechtigt war, ihre Leistung um jedenfalls 50 % zu kürzen. Lediglich hinsichtlich der Einbauküche steht den Klägern noch ein Zahlungsanspruch zu, da die Küche entgegen der Auffassung der Beklagten unter den Versicherungsschutz der bestehenden Wohngebäudeversicherung fällt.
- Die Beklagte war berechtigt, gemäß § 81 Abs. 2 VVG ihre Leistung, zu der sie aus Anlass des Brandereignisses vom 08.11.2010 grundsätzlich verpflichtet war, in einem der Schwere des Verschuldens der Klägerin zu 2.) entsprechendem Verhältnis zu kürzen, da die Klägerin zu 2.) den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat.
- a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Die Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn auch eine subjektiv auch schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH r + s 2011, 290).
- b) Daran gemessen liegt sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Herbeiführung des Versicherungsfalles vor. Denn das Erhitzen von Fett gehört wegen dessen Entflammbarkeit zu den besonders gefährlichen Tätigkeiten im Haushalt. Wird dieser Vorgang unbeobachtet und ohne Kontroll- und Zugriffsmöglichkeit gelassen, liegt in objektiver Hinsicht eine derart gravierende Pflichtverletzung vor, dass vor einem besonders schweren Pflichtenverstoß gesprochen werden kann. Auch in subjektiver Hinsicht hat die Klägerin zu 2.) in nicht entschuldbarerer Art und Weise gehandelt, als sie das Haus verlassen und das sich erhitzende Fett ohne Zugriffsmöglichkeit gelassen hat. Sie war, wie sie bei ihrer Anhörung erklärt hat, in der Zubereitung von Speisen und insbesondere dem Erhitzen von Fett nicht unerfahren. Ihr war deshalb bekannt, dass das Fett einen Siedepunkt erreichen konnte. Es musste ihr einleuchten, dass sie den Erhitzungsvorgang nicht unbeobachtet lassen durfte und dass es erst Recht in außergewöhnlichem Maße leichtsinnig war, das Haus zu verlassen, um die ältere Tochter von der Schule abzuholen, ohne zuvor den Erhitzungsvorgang des Fettes zu unterbrechen. Mit ihrem leichtsinnigen Verhalten hat die Klägerin zu 2.) die gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen, was ihr im gegebenen Fall unbedingt hätte einleuchten müssen. Anders als in dem Sachverhalt, der der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag, liegt kein Augenblicksversagen der Klägerin zu 2.) vor und aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte, die das Verhalten der Kläger in subjektiver Hinsicht in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, um den Vorwurf der subjektiv groben Fahrlässigkeit abzumildern.
- Die Beklagte war berechtigt, ihre Leistung gemäß § 81 Abs. 2 VVG um jedenfalls 50 % zu kürzen. § 81 VVG findet Anwendung, weil sich der Versicherungsfall nach dem 31.12.2008 ereignet hat, so dass Artikel 1 Abs. 2 EGVVG keine Anwendung findet. Der Leistungskürzungsbefugnis der Beklagten steht § 28 Nr. 2 VGB 2002 nicht entgegen. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei grob fahrlässig herbeigeführtem Schaden überhaupt kein Versicherungsschutz besteht. Diese dem VVG 2008 nicht angepasste Bedingungsregelung ist unwirksam, was für die Beklagte jedoch unschädlich ist, weil an die Stelle der unwirksamen Regelung die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 2 VVG tritt (vgl. BGH v. 12.10.2011 –IV ZR 199/10 und v. 11.10.2011 –VI ZR 46/10). Diese durch das VVG vom 23.11.2007 eingeführte Bestimmung besagt, dass der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Anders als die Regelung des § 61 VVG a.F., wonach der Versicherer sowohl bei vorsätzlicher als auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles vollständig von der Leistung befreit war, differenziert § 81 VVG nunmehr zwischen vorsätzlichem und grob fahrlässigem Verhalten des Versicherungsnehmers. Während es nach § 81 Abs. 1 VVG im Falle des vorsätzlichen Verhaltens bei der völligen Leistungsfreiheit des Versicherers bleibt, ist bei grober Fahrlässigkeit nach § 81 Abs. 2 VVG das bisherige Alles-oder-Nichts-Prinzip zu Gunsten einer Quotierung abgeschafft worden. Das Ausmaß der Kürzungsbefugnis richtet sich nach der Schwere des Verschuldens, wobei eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles erforderlich ist (BGH VersR 2011, 1037 = r + s 2011, 376 unter II. 3 c) ff)). Danach ist die von der Beklagten vorgenommene Leistungskürzung um die Hälfte nicht zu beanstanden, da die Schwere des Verschuldens, dass die Klägerin zu 2.) trifft, nach den unstreitigen Umständen jedenfalls im mittleren Bereich anzusiedeln ist, so dass die Beklagte berechtigt war, ihre Leistung jedenfalls um 50 % zu kürzen. Demnach steht den Klägern, da sich der Kläger zu 1.) die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin zu 2.) zurechnen lassen muss, kein weiterer Anspruch auf Ersatz des Wohngebäudeschadens zu, den die Beklagte bereits mit der Hälfte reguliert hat.
- Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, den Klägern auch die Hälfte desjenigen Schadens zu ersetzen, der durch die Zerstörung der Einbauküche entstanden ist, die die Kläger nach den Bekundungen der Klägerin zu 2.) im Termin vom 08.09.2011 durch eine Neuanschaffung ersetzt haben. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten fällt die durch das Feuer zerstörte Einbauküche unter den Versicherungsschutz. Gem. § 1 Nr. 2 a der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden VGB 2002 sind Einbaumöbel/-küchen mitversichert, die nicht serienmäßig produziert, sondern individuell für das Gebäude raumspezifisch geplant und gefertigt sind. Dieser Voraussetzungen für die Einbeziehung in den Versicherungsschutz liegen bei der durch den Brand geschädigten Einbauküche vor. Diese ist ausweislich der vorliegenden Fotografien raumspezifisch geplant und gefertigt worden. Die Tatsache, dass die Küchenbestandteile wie Elektrogeräte und Küchenschränke seriell gefertigt worden sind, steht der raumspezifischen Planung und Fertigung der Küche nicht entgegen. Denn § 1 Nr. 2 a VGB 2002 setzt keine individuelle Fertigung der Küchenbestandteile voraus, sondern verlangt nur, dass die Küche als solche raumspezifisch geplant und gefertigt worden ist. Dies ist bereits dann der Fall, wenn die Küche z. B. nach den vorhandenen Anschlüssen geplant worden ist und jedenfalls Teile der Küche, wie die Arbeitsplatte individuell nach den Raumverhältnissen zugeschnitten worden ist (vgl. LG Düsseldorf VersR 2011, 525). Aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der bei aufmerksamer Durchsicht um Verständnis der Versicherungsbedingungen gemüht ist, liegt die Einbeziehung von Einbauküchen in den Versicherungsschutz nicht nur dann vor, wenn die Einzelteile der Küche wie Elektrogeräte und Küchenschränke speziell für den Versicherungsnehmer angefertigt worden sind. Bereits die individuelle raumspezifische Zusammenstellung der seriell gefertigten Küchenteile lässt die Einbauküche – wie es § 1 Nr. 2 a VGB 2002 verlangt – dem Versicherungsschutz unterfallen. Lediglich dann, wenn ein einschließlich Arbeitsplatte vorgefertigter Küchenblock gekauft und so wie gekauft in der Küche aufgestellt wird, mag der Versicherungsschutz nicht gegeben sein.
Die Beklagte ist damit verpflichtet, den Klägern weitere 2.225,00 € nebst Zinsen zu zahlen, da sie sich dazu in den Versicherungsbedingungen verpflichtet hat.
- Leistungsfreiheit der Beklagten gemäß § 28 Nr. 1 VGB 2002 ist nicht eingetreten. Zwar ist nach dieser Vorschrift der Versicherer von der Entschädigungspflicht frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer arglistig über Tatsachen täuscht oder dies versucht, die für den Grund oder die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind. Eine solche arglistige Täuschung durch die Klägerin zu 2.) oder deren Versuch hat die Beklagte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen. Zwar ist richtig, dass die Beklagte durch Anrufe bei der Polizei und der Beklagten versucht hat, den Sachverhalt und die Brandursache anders darzustellen, als es der Wirklichkeit entsprach. Mit diesem Vorgehen der Beklagten ist jedoch nicht notwendigerweise ein bewusster Versuch der Klägerin zu 2.) verbunden, zwecks Erlangung einer (höheren) Versicherungsleistung über den Grund des Anspruchs zu täuschen. Das Gericht kann nachvollziehen, dass die Klägerin zu 2.) sich selbst nicht eingestehen wollte, dass sie durch das eigene höchst leichtsinnige Verhalten den Brand verursacht und das Leben ihres im Obergeschoss schlafenden Kindes gefährdet hat. Ein die eigene Verantwortung leugnender Verdrängungsmechanismus erscheint dem Gericht als plausible Erklärung für den Versuch der Klägerin zu 2.), die Ursache des Brandes anders darzustellen, als noch unmittelbar nach den Ereignissen am 08.11.2010 geschehen.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung aus §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 ZPO.
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