
Sehr geehrte Mandantinnen und Mandanten, sehr geehrte Versicherungsmaklerrinnen und Versicherungsmakler,
Sind Arbeitsverträge wirksam, nach denen Arbeitgeber von angestellten Außendienstlern Provisionen, die im Arbeitsverhältnis an den Arbeitnehmer ausgezahlt wurden, mit dem Argument zurückfordern, die Versicherungsträge seien nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses storniert worden?
Dr. Jan Freitag antwortet:
Einige Arbeitgeber haben die geschäftspolitische Entscheidung getroffen – oder anders formuliert, haben vielleicht auch ein Stück weit das „Geschäftsmodell“, Mitarbeiter, besonders im vertrieblichen Außendienst, mit sehr besonderen arbeitsvertraglichen Konstruktionen an sich zu binden:
Praxisfall: Die Mitarbeiter, zumeist im Vertrieb, erhalten vom Arbeitgeber eine nur sehr geringe arbeitsvertragliche Grundvergütung. Ein großer Teil der Vergütung, in der Praxis häufig deutlich mehr als die Grundvergütung, soll der (Außendienst-)Mitarbeiter „ins Verdienen bringen“, er erhält die Vergütung also nur, wenn er entsprechende Vertriebserfolge hat und vereinbarte Provisionen aus den Vermittlungen generiert.
Damit auf dem Gehaltsbogen ein ordentliches Gehalt herauskommt, operieren diese Arbeitgeber also im großen Stil auch mit Provisionsvorschüssen.
Es gibt in diesen Fällen deswegen eine fortlaufende Berechnung des Arbeitgebers, welche Provisionen der Mitarbeiter tatsächlich ins Verdienen gebracht hat, Stornierungen werden abgezogen. Zum Teil gibt es zusätzlich Stornoreservekonten. Der Mitarbeiter steht also „im Plus“ oder „im Minus“.
1.) Dieser Artikel befasst sich nun zum einen mit der arbeitsrechtlichen Frage, ob derartige arbeitsvertragliche Konstruktionen, aus geringer Grundvergütung und in der Hauptsache variabler Vergütung, überhaupt wirksam sind (siehe I)?
2.) Zum anderen beschäftigt sich dieser Artikel mit der Frage der Wirksamkeit von arbeitsvertraglichen Rückforderungsklauseln von Vergütung (siehe II).
Warum fühlt sich Kollege Dr. Freitag dazu berufen, hierzu arbeitsrechtlich Stellung zu nehmen:
Der Verfasser dieses Artikels hat bereits mehrfach Artikel zu diesem Themenkomplex veröffentlicht. Ich durfte schon vor weit über zehn Jahren und seitdem in vielen ähnlich gelagerten Fällen in solchen Konstellationen tätig werden, habe dabei vor ziemlich genau zehn Jahren ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) zu derartigen Fallkonstellationen erwirken dürfen.
Beim damaligen Fall haben wir als Kanzlei eine Reihe von ehemals angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beraten dürfen, die den Arbeitgeber gewechselt hatten. Der Mitbewerber war darüber, vielleicht sogar nachvollziehbar, erbost und konfrontierte in der oben beschriebenen Weise (mit ähnlichen Arbeitsverträgen wie oben beschrieben) seine bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit zum Teil sehr hohen Klagforderungen bezüglich der Rückforderung von Arbeitsvergütung aus Storni`s.
Nach sehr langen, bundesweit und über mehrere Instanzen geführten Verhandlungen, offen gestanden sogar mit unterschiedlichen Ergebnissen, landete nach einigen Jahren der „schnellste Fall“ vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. In diesem konnte der Unterzeichner dann (bis auf wenige Ausnahmen bei Nebenthemen) die Unwirksamkeit jedenfalls der damaligen arbeitsvertraglichen Klauseln des Wettbewerbers erreichen. Im Ergebnis musste keiner der Mandanten nach diesem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes Vergütung an seinen alten Arbeitgeber zurückzuzahlen.
Was muss man rechtlich wissen?
I. Sind Arbeitsverträge, die nur eine geringe Grundvergütung gewähren, die im Wesentlichen aus variabler Vergütung (Provisionen) bestehen, wirksam?
Jede arbeitsrechtliche Judiz lässt dies zunächst hinterfragen. Denn es ist im Arbeitsrecht der Arbeitgeber als Unternehmer, der das unternehmerische Risiko haben soll, nicht etwa der Arbeitnehmer.
Dennoch sind im begrenzten Maße die beschriebenen Konstruktionen aus geringer Grundvergütung auf der einen Seite und variabler Vergütung (Provisionen) auf der anderen Seite im Rahmen der Vertragsfreiheit möglich. Voraussetzung ist allerdings folgendes:
Die Grundvergütung muss in jedem Fall in Höhe des Mindestlohngesetzes gewährt werden (Stand April 2025: € 12,82 in der Stunde, bei einer 40-Stunden-Woche also € 2.222,00 monatliche Mindesthöhe der Grundvergütung).
Maßstab ist dabei nicht, was tatsächlich am Monatsende ausgezahlt wird (inklusive Provisionen), sondern was ausgezahlt werden würde, wenn der Arbeitnehmer gar keine Provisionen erhalten würde. Egal was passiert, muss der Arbeitnehmer immer € 2.222,00 (bei einer 40-Stunden-Woche) im Monat erhalten.
Wenn nicht, hat der Arbeitnehmer nicht nur einen Anspruch auf Zahlung der Differenz. Der Arbeitgeber beziehungsweise dessen verantwortliche Personen begehen zusätzlich eine Ordnungswidrigkeit, das Bußgeld kann im schlimmsten Fall bis zu € 500.000,00 betragen.
Dabei muss dem Mitarbeiter nicht nur mindestens, unabhängig von irgendwelchen vertrieblichen Erfolgen, € 2.222,00 bei einer 40-Stunden-Woche ausgezahlt werden.
Es darf auch nicht so sein, dass ein Mitarbeiter nach Rückzahlung von Vergütung, z.B. nach der oben beschriebenen Vertragskonstellation, in dem betroffenen Monat den Mindestlohn nicht erreicht hätte.
Wie ist nun die entscheidende Frage zu beantworten, ob Rückzahlungsklauseln von Vergütung in Arbeitsverträgen wirksam sind?
II. Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln von Vergütung in Arbeitsverträgen?
Grundsätzlich sind Vertragskonstruktionen aus geringer Grundvergütung (sie müssen aber immer das Mindestlohngesetz einhalten) und in der Hauptsache variabler Vergütung (Provisionen) wirksam.
Und grundsätzlich sind auch Vertragskonstruktionen wirksam, nach denen der Arbeitnehmer Provisionsvorschuss-Vergütung später (zumeist nach einer Stornierung von Verträgen) dem Arbeitgeber zurückzahlen muss.
Das Bundesarbeitsgericht hat in dem vom Unterzeichner erwirkten Urteil (BAG 10 AZR 84/14) am 21.01.2015 dem aber enge Grenzen gesetzt und insoweit fast ein Stück deutscher Rechtsgeschichte geschrieben:
Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht sehr hohe Anforderungen an die Stornonachbearbeitung gesetzt. Bei jedem, auch bei jedem Klein-Storni und sei es im Cent-Bereich, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass er entweder dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben hat, den Vertrag „zu retten“ oder dass er und wenn ja welche Maßnahmen er als Arbeitgeber selbst zur Rettung des Vertrages unternommen hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat also jedem Arbeitgeber eine sehr hohe Vortragslast auferlegt. In der Praxis geht es in solchen Fällen häufig um hunderte Seiten Schriftsätze für den Arbeitgeber, der Vergütung vom Arbeitnehmer zurückhaben möchte und um noch umfangreichere Anlagen.
Insbesondere verlangt das Bundesarbeitsgericht aber in diesen Fällen eine absolute Transparenz des Arbeitgebers, und zwar in verschiedenen Punkten:
Das Bundesarbeitsgericht hält in solchen Konstellationen die Rückforderung von Provisionen nur dann für wirksam, wenn dem Arbeitnehmer jeweils die einschlägigen Provisions-, aber auch die einschlägigen Stornohaftungsbedingungen bekannt sind.
Allgemeine Verweise in Arbeitsverträgen reichen dabei nicht. Der Arbeitgeber muss entsprechende Schulungen anbieten oder bei jeder Einzelabrechnung die genannten Bedingungen dem Arbeitnehmer vorlegen oder sie müssen jedenfalls im Intranet jederzeit für den Arbeitnehmer einsehbar sein.
Nach der Erfahrung des Unterzeichners scheitert es hieran bereits sehr häufig.
Zur Transparenz wird ebenfalls gehören, dass dem Arbeitnehmer die jeweiligen Abrechnungen über möglicherweise rückforderbares Gehalt immer zugänglich, immer zur Verfügung gestellt werden, und zwar nachvollziehbar.
Und auch Stornoreservekonten, die man in solchen Konstellationen findet, dürfen Arbeitnehmer nicht zu sehr benachteiligen. Hier muss der Arbeitgeber jeden Vertrag und seine Stornolaufzeit beachten und nach dem Ende der Stornohaftungszeit jedes einzelnen Vertrages die Vergütung auskehren.
In der Praxis verwendete pauschale Stornolaufzeiten, zum Beispiel pauschal 10 Jahre oder bis zum Ende der Stornohaftungszeit des zuletzt vermittelten Vertrages, sind nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes unwirksam.
In der Praxis sind daher nach den Erfahrungen des Unterzeichners viele Regelungen über Stornoreservekonten bereits von vornherein unwirksam, so dass der betroffene Arbeitnehmer sogar eigentlich per sofort die Auszahlung seines Stornoreservekontos verlangen könnte!
In jedem Fall kann ein Arbeitnehmer aber mit den oben genannten Argumenten die Rückzahlung von bereits erhaltener Vergütung (auch für Provisionen) ablehnen, wenn der Arbeitgeber nicht streng nach den eben dargestellten Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichtes verfahren ist.
Zur Vollständigkeit gehört noch, dass jedenfalls von manchen Landesarbeitsgerichten die Meinung vertreten wird, dass es trotz des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes auch andere Rechtsgrundlagen für die Rückforderung von Provisionen geben könnte, zum Beispiel aus dem Bereicherungsrecht.
Diese Auffassung vertritt jedoch der Unterzeichner nicht. Dies nicht nur, weil ansonsten das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes ins Leere liefe und weil der Unterzeichner als Prozessteilnehmer durch die mündliche Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht weiß, dass es auch das Bundesarbeitsgericht so sieht, sondern auch wegen folgender Überlegung: Bei anderen Rechtsgrundlagen für die Rückforderung müsste es um extreme Fälle, zum Beispiel um Betrugshandlungen des Arbeitnehmers im Rahmen der Provisionserzielung, gehen. Dies dürfte in der Praxis statistisch vernachlässigbar sein.
Die Rechtsgedanken des Bundesarbeitsgerichtes werden dabei auch für andere arbeitgeberseitige Rechtsgrundlagen, zum Beispiel Rückforderung von Provisionen aufgrund einer Betriebsvereinbarung, gelten.
Der Unterzeichner weiß von einschlägigen Fällen, dass manche Arbeitgeber (zum Beispiel eine mir bekannte Versicherung) argumentieren, dass sie anders als beim Urteil des Bundesarbeitsgerichtes ihre Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Vergütung nicht aus einem Arbeitsvertrag, sondern aus einer entsprechenden Betriebsvereinbarung ableiten. Es werden aber auch hier die Transparenzanforderungen, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt hat, gelten.
Dies beginnt schon mit der Transparenz der Betriebsvereinbarung, bezieht sich selbstverständlich auch auf das Vorliegen von Provisions- und Stornohaftungsbedingungen gegenüber dem Arbeitnehmer oder auf die Stornoreservekonten.
Wenn zum Beispiel, was häufig vorkommt, der Tarifvertrag für die private Versicherungswirtschaft einbezogen wurde, stellt sich zusätzlich arbeitsrechtlich die Frage der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung, und zwar wegen der tariflichen Sperrwirkung des § 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Fazit:
Wenn Sie Arbeitsverträge haben, nach denen die Vergütung nur aus einer geringen Grundvergütung und im Wesentlichen aus der Möglichkeit von variabler Vergütung (Provisionen) besteht, wenn Sie im laufenden Arbeitsverhältnis oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Rechnungssalden bezüglich der variablen oder gar mit Rückforderungsansprüchen von Vergütung konfrontiert werden, sollten Sie dies gründlich arbeitsrechtlich prüfen (lassen). Dafür stehen wir als Kanzlei, in diesem Fall sogar mit jahrzehntelanger Erfahrung mit derartigen Fallkonstellationen, jederzeit gern zur Verfügung.
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Herzliche Grüße
Ihr,
Dr. Jan Freitag
Fachanwalt für Arbeitsrecht