von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski und Stephan Michaelis

I.            Grundfragen

Im Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 von Bündnis90/DIE GRÜNEN heißt es auf Seite 108 unter der Überschrift „Finanzberatung im Interesse der Kunden*innen“:

„Häufig werden Kund*innen Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Diese Produkte sind häufig gut für die Gewinne der Banken und Versicherungen, aber schlecht für die Kundinnen. Wir wollen die Finanzberatung vom Kopf auf die Füße stellen. Dafür schaffen wir ein einheitliches und transparentes Berufsbild für Finanzberater*innen….Wir wollen weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen…“

Es geht im Kern um die Einführung eines Provisionsverbots im Bereich der Anlageberatung, also für Versicherungsanlageprodukte nach §§ 7 b/c VVG (z. B. fondsgebundene Renten- und Lebensversicherungen) oder um Finanzinstrumente (z. B. Wertpapiere) nach §§ 2 Abs. 4, 63, 64 WpHG. Auf der Grundlage europarechtlicher Vorgaben (MiFID II/IDD)[1] werden die Kunden heute rechtzeitig vor der Beratung in verständlicher Form darüber informiert, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird oder nicht (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Versicherungsvermittler teilen dem VN beim ersten Geschäftskontakt mit, ob die Vergütung vom VN zu zahlen oder als Provision in der Versicherungsprämie enthalten ist und ob der Vermittler andere Zuwendungen als Vergütung erhält (§ 15 Abs. 1 Nr. 6/7 VersVermV). In diese europarechtlich abgesicherten Strukturen würde ein Provisionsverbot für die Anlageberatung grundlegend eingreifen. Berührt wäre die Freiheit der Produktanbieter (Versicherer/Banken) ihre Vertriebswege und die damit verbundenen Entgelte frei zu entwickeln und zu gestalten. Berührt wäre die Freiheit der Vermittler:innen bei der Gestaltung von Entgeltvereinbarungen, ebenso wie die Freiheit der Kund:innen. Sie können heute zwischen der Provisions- und der Honorarberatung sowie von Mischformen zwischen beiden Bereichen frei wählen. Diese Freiheit hätten sie in Zukunft nicht mehr.

Eingriffe dieser Art beschränken aus der Sicht der Kund:innen die Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) und die Gewerbefreiheit für die Produktanbieter und Vermittler:innen (Art. 12 GG). Eingegriffen wird zugleich in die Komplementärfreiheiten der europäischen Charta der Grundrechte (Artt. 15/16). Darüber hinaus wird in den freien und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt der EU eingegriffen (Artt. 119, 120 AEUV). Berührt ist in diesen Fällen regelmäßig auch das Stand-still-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV), das europäische Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 EUV) und – bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 56/57 AEUV).

Die letztlich entscheidende Frage ist, ob der Eingriff in die Freiheitsrechte, wie hier angedeutet, durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls möglicherweise gerechtfertigt. Die Grenzen, die bei der Beantwortung dieser Frage einerseits durch das europäische und andererseits durch das nationale Verfassungsrecht gezogen werden, sind durch ein Grundprinzip gekennzeichnet, das im Folgenden zu konkretisieren sein wird. Entscheidend ist die Frage, ob der Eingriff in die Freiheit der Entgeltgestaltung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, geeignet und angemessen ist. Sollte sich herausstellen, dass ein striktes Provisionsverbot mit den Grundwerten des Verfassungs- und Europarechts kollidiert, so stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob das Grundziel, einer guten, bedürfnisorientierten Beratung auf einem anreizkompatiblen Weg erreicht werden kann.

II.            Vermittlertypen

Die von einem Provisionsverbot möglicherweise betroffenen Vermittlertypen ergeben sich aus der Gewerbeordnung. Eine europarechtliche Vorgabe gibt es nicht. In der IDD wird ganz allgemein von Versicherungsvermittlern gesprochen, also natürlichen oder juristischen Personen, die kein Versicherungsunternehmen sind und die ihre Vertriebstätigkeit gegen Vergütung ausüben (Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD[2]). Die Gewerbeordnung differenziert zwischen Versicherungsvermittlern, Versicherungsberatern (§ 34 d GewO) und Finanzanlagenvermittlern (§ 34 f GewO).

Wer gewerbsmäßig Versicherungsverträge vermitteln will, ist Versicherungsvermittler (§ 34 d Abs. 1 GewO). Versicherungsvermittler sind entweder Versicherungsvertreter, die von einem oder mehreren VU mit der Vermittlung betraut sind (Ein-Firmen/Mehrfach-Vermittler: § 34 d Abs. 1 Nr. 1 GewO). Versicherungsvermittler sind aber auch Versicherungsmakler, die für den Auftraggeber (Kunden) die Vermittlung übernehmen, ohne von einem VU damit betraut zu sein (§ 34 d Abs. 1 Nr. 2 GewO).

Auch der Versicherungsberater (§ 34 d Abs. 2 GewO) darf die Vermittlung von Versicherungsverträgen für den Kunden übernehmen. Der Berater darf vom VU jedoch keinen wirtschaftlichen Vorteil (also auch keine Provision) erhalten und er darf auch nicht in anderer Weise von ihm abhängig sein (§ 34 d Abs. 2 GewO).

Finanzanlagenvermittler bedürfen der Erlaubnis nach § 34 f GewO. Sie betreiben die Anlagevermittlung oder Beratung nach § 2 Abs. 8 Nr. 4/10 WpHG. Sie vermitteln zum Beispiel Aktien oder Anteile an Investmentfonds oder KG-Anteile nach § 1 Abs. 2 VermögensanlageG.

1.      Der Rechtsrahmen für Versicherungsvertreter: Anspruch auf Provision

Versicherungsvertreter sind typischerweise als Handelsvertreter damit betraut, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§§ 84, 92 HGB). Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen und hierbei das Interesse des Unternehmens für das er tätig ist, wahrzunehmen (§ 86 Abs. 1 HGB). Handelsvertreter haben Anspruch auf Provision für alle während der Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf ihre Tätigkeit zurückzuführen sind (§ 87 abs. 1 HGB). Wird das Vertragsverhältnis zum VU beendet, so kann der Handelsvertreter ein angemessenen Ausgleich verlangen, wenn das VU auch nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erhebliche Vorteile von der Geschäftsverbindung hat (§ 39 b HGB).

Das Recht der Handelsvertreter beruht auf der Richtlinie 86/653/EWG vom 18.12.1986[3]. Der europäische Begriff des Handelsvertreters (Art. 1 Abs. 2) ist identisch mit der Formulierung in § 84 Abs. 1 HGB. Es geht um Personen, die als selbstständige Gewerbetreibende ständig damit betraut sind für eine andere Person (Unternehmer) den Ankauf von Waren zu vermitteln oder ihre Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Nach Art. 7 Abs. 1 hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, wenn der Geschäftsabschluss auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist. Dieser Anspruch auf Provision ist konstitutiver Bestandteil der Rechtsform des Handelsvertreters (Artt. 2, 10, 11).

Würde der deutsche Gesetzgeber für den Bereich der Versicherungsvermittlung für Anlageprodukte (z. B. Renten- und Lebensversicherungen) den Versicherern die Zahlung einer Provision verbieten, so würden sie damit in die europarechtlichen Vorgaben des Handelsvertreterrechtes grundlegend eingreifen. Ein solcher Eingriff wäre ohne Änderung des europäischen Rechtsrahmens nicht möglich.

2.      Der Rechtsrahmen für Versicherungsmakler: Courtage nach HGB

Versicherungsmakler sind, anders als Vertreter, nicht für ein oder mehrere VU sondern als Sachwalter für den Kunden tätig. Sie vermitteln und beraten ausschließlich im Kundeninteresse Versicherungsverträge, ohne von einem VU oder einem Vertreter damit betraut zu sein (§ 34 d Abs. 1 Nr. 2 GewO). Der Versicherungsmakler handelt in der Regel gewerbsmäßig und hat deshalb auch die Rechte und Pflichten eines Handelsmaklers (§ 93 Abs. 1 HGB). Ist unter den Parteien (gemeint sind die VN und die VU) nichts darüber vereinbart, wer den Maklerlohn bezahlen soll, so ist er in Ermangelung eines abweichenden Ortsgebrauchs von jeder Partei zur Hälfte zu entrichten (§ 99 HGB). Im Bereich der Versicherungsvermittlung ist die Bruttopolice seit langem ortsüblich, das heißt, die Parteien gehen davon aus, dass die Versicherungsprämie, die Provision für den Makler (Courtage genannt) enthält und vom VU an den Makler ausgekehrt wird. Darüber informiert der Makler den Kunden (§ 15 Abs. 1 Nr. 6/7 VersVermV).

3.      Der Rechtsrahmen für den Versicherungsberater: Anspruch auf Honorar

Der Versicherungsberater ist, wie der Makler, ausschließlich im Kundeninteresse tätig (§ 34 d Abs. 2 GewO). Er vermittelt an den Kunden Versicherungsverträge. Er kann diese Verträge prüfen oder den Kunden bei der Änderung rechtlich beraten. Er kann den Kunden ferner gegenüber dem VU außergerichtlich (z. B. im Schadensfall) vertreten.

Der Versicherungsberater darf sich seine Tätigkeit nur durch den Auftraggeber vergüten lassen. Zuwendungen eines VU im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere auf Grund einer Vermittlung als Folge der Beratung, darf er nicht annehmen (§ 34 d Abs. 2 GewO). Sind mehrere Versicherungen für den Versicherungsnehmer in gleicher Weise geeignet, hat der Versicherungsberater dem VN vorrangig die Versicherung anzubieten, die ohne das Angebot einer Zuwendung seitens des VU erhältlich ist (§ 34 d Abs. 2 GewO). Wenn der Versicherungsberater dem VN eine Versicherung vermittelt, deren Vertragsbestandteil auch Zuwendungen zu Gunsten desjenigen enthält, der die Versicherung vermittelt, so hat er unverzüglich die Auskehrung der Zuwendungen an den VN nach § 48 c Abs. 1 VAG zu veranlassen (§ 34 d Abs. 2 GewO).

4.      Der Rechtsrahmen für den Finanzanlagenvermittler: Provision bei Beratung

Der Finanzanlagenvermittler vermittelt und berät über Anlagen nach dem KWG. Auf ihn sind die Verhaltensregelungen der §§ 63, 64 WpHG anwendbar. Er informiert den Kunden vor der Beratung in verständlicher Form darüber, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird (unabhängige Honoraranlageberatung) oder nicht (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Nach § 70 Abs. 1 WpHG dürfen von Dritten (z. B. Emittenten von Wertpapieren) Zuwendungen (z. B. Provision) angenommen werden, die darauf ausgelegt sind, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistung zu verbessern. Das ist etwa bei einer Anlageberatung der Fall (§ 6 Abs. 2 WPDVerOV).

5.      Conclusio

Mit Blick auf die in Deutschland üblichen und durchgesetzten Formen der Vermittlung von Finanzanlagen kann man zunächst einmal festhalten, dass der Kunde über eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten verfügt. Der Kunde kann sich an gebundene Vermittler wenden und wird darüber informiert, dass dieser Vermittler im Interesse eines bestimmten Unternehmens tätig wird. Der Kunde kann stattdessen einen Sachwalter seiner Wahl um die Vermittlung und Beratung bitten. Bei Versicherungsverträgen besteht die Wahl zwischen den Maklern auf der einen und den Beratern auf der anderen Seite. Beide Seiten müssen die Höhe des Entgelts, das sie für ihre Beratung fordern, transparent offenlegen. Für den Versicherungsmakler ergibt sich dies aus § 2 Abs. 2 VVG-InfoV, wonach die Vermittlungskosten in Euro und Cent anzugeben sind. Der Kunde kann sich, insbesondere bei Versicherungsverträgen, zwischen den Vermittlertypen frei wählen und von demjenigen beraten lassen, der das beste Preis-Leistungsverhältnis bietet. Würde der Gesetzgeber den Versicherern in Zukunft verbieten, Provisionen zu zahlen, so würde dies das gesamte Handelsvertreterrecht in Europa grundlegend verändern. Darüber hinaus würde in das Recht der Makler eingegriffen werden, bei denen es traditionell üblich ist, die Vermittlungskosten als Teil der Bruttoprämie beim Versicherer zu erheben. Auch Finanzanlagenvermittler dürfen Provisionen, die offengelegt sind, von den Produktanbietern nehmen, wenn sie Anlageberatung anbieten. Auch dies wäre in Zukunft bei einem generellen Provisionsverbot nicht mehr möglich. Die daraus resultierenden Fragen lauten, ob es Sachgründe dafür gibt, die Wahlfreiheiten, die der Gesetzgeber derzeit den Kunden in der Finanzberatung eröffnet, grundlegend zu beschränken. Diese Frage stellt sich zunächst aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechtes und sodann aus der Sicht des europäischen Rechtes.

III.            Der Eingriff in die Berufs- und Gewerbefreiheit (Art. 12 GG)

Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht den Beruf frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Ein Provisionsverbot würde in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherer und auch der Vermittler (indirekt auch der Kund:innen) eingreifen, weil dadurch der freie Wettbewerb über Vergütungssysteme (Honorare/Courtagen/Provisionen) erheblich eingeschränkt werden würde. Letztlich wäre die Privatautonomie sowohl der Versicherer als auch der Vermittler beeinträchtigt. Diese Einschränkung der Privatautonomie ist zugleich Ausdruck der Berufsfreiheit, die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird und nimmt deshalb an der Garantiefunktion dieses Grundrechts teil.[4] Die Einführung eines Provisionsverbotes würde also in den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen. Die darin zugleich liegende Beschränkung der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) tritt hinter Art. 12 GG zurück, weil Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ausgestaltet ist.[5]
Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG erstreckt sich sowohl auf Versicherer als auch auf Vermittler und zwar auch dann, wenn sie die Rechtsform einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft gewählt haben sollten.[6] Die Berufsfreiheit des Art. 12 GG bündelt die Berufswahl- und die Berufsausübungsfreiheit zu einem einheitlichen Tatbestand und ist insoweit als Abwehrrecht der Betroffenen gegen den Staat gewährleistet.[7]

Art. 12 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen verbindlich privatautonom auszuhandeln. Dies hat das BVerfG bei Einführung des Besteller-Prinzips auf den Mietwohnungsmarkt ausdrücklich betont. Genau diese Grundsätze würden auch bei einem Provisionsverbot gelten.[8] Die Einführung des Provisionsverbotes bedürfte nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage.[9] Zu prüfen ist in jedem Falle, ob ein Gesetz die Zustimmung des Bundesrates bedarf.[10] Der Eingriff, in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich frei zu vereinbaren, kann durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein.[11] Wenn und soweit die zwingenden Gründe des Gemeinwohls eine unumgängliche Einschränkung der freien Berufsausübung verlangen, so muss der Eingriff darüberhinaus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.[12] Dies bedeutet, das Provisionsverbot müsste zur Erreichung des Eingriffsziels erforderlich und geeignet sein, es dürfte nicht über das hinausgehen, was die Gemeinwohlbelange erfordern.[13] Schließlich darf der Eingriff in seiner Wirkung nicht über das hinausgehen, was zur Zielerreichung noch angemessen ist, das heißt, die Grenzen der Zumutbarkeit und der Proportionalität müssen gewahrt sein.[14]

Die Einführung eines Provisionsverbotes bei der Vermittlung von Finanzanlagen würde in die Freiheit der Vertragsbeteiligten, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, eingreifen. Beim gebundenen Vertreter würde § 87 Abs. 1 HGB, der auf einer europäischen Richtlinie[15] beruht, außer Kraft gesetzt werden. Beim Versicherungsmakler würde in das Leitbild des § 99 HGB eingegriffen werden. Daneben ist das Leitbild des § 652 Abs. 1 BGB berührt, wonach frei vereinbart werden kann, wer den Maklerlohn in welcher Höhe zu zahlen verpflichtet ist.

Es ist richtig, dass der Gesetzgeber beim Ausgleich widerstreitender Interessen über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum verfügt.[16] Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberischen Maßnahmen (hier: Provisionsverbot) abgeben können.[17]

Ausgehend von diesen Grundsätzen lautet die Grundfrage, ob die Einführung eines Provisionsverbotes für die Vermittlung von Finanzanlageprodukten im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Denkbar wäre insoweit das Interesse der betroffenen Kund:inen, die von den Vermittlern umworben und beraten werden. Sollte ein solches zwingendes Interesse an einem Provisionsverbot aus der Perspektive der betroffenen Kund:innen begründbar sein, so wäre im nächsten Schritt zu prüfen, ob dieses Verbot im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, geeignet und in seiner Ausgestaltung angemessen wäre. Daneben ist die Frage zu stellen ist, ob ein solches auf Finanzanlageprodukte begrenztes Verbot mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) in Einklang steht. Diese später zu vertiefende Frage würde sich dann stellen, wenn man aus der Perspektive des Art. 12 Abs. 1 GG ein Provisionsverbot legitimieren könnte. Dann nämlich wäre die Frage, warum ein solches Provisionsverbot nicht auch für andere Finanz- und Versicherungsprodukte gelten müsste.

1.      Zwingende Gemeinwohlinteressen

Die eben formulierte Grundfrage lautet, ob ein Provisionsverbot für Finanzanlageprodukte im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Die Frage impliziert einen Interessenwiderstreit zwischen den Versicherern und Vermittlern auf der einen Seite und den umworbenen Kund:innen auf der anderen Seite. Die umworbenen Kund:innen müssten durch die Zahlung einer Provision strukturelle Nachteile erleiden, die sie bei einem Provisionsverbot nicht erleiden würden. Im Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 von BÜNDNIS90/Die Grünen heißt es[18], „dass Kund*innen häufig Finanzprodukte angedreht werden, die für sie zu teurer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind“. Deshalb, so heißt es weiter, „wollen wir weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen“. Ähnlich hat sich der vzbv mehrfach geäußert. Ohne Provision, so der Chef des vzbv, Klaus Müller, in einem Interview mit der Wirtschaftswoche, gäbe es sicher weniger Berater, aber die Qualität wäre höher. Dies hätten die Erfahrungen aus Großbritannien und den Niederlanden gezeigt.[19]

Der entscheidende Vorwurf lautet: „Den Kund*innen werden häufig Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Dies, so die Schlussfolgerung, wird durch Übergang von der Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung überwunden.

Genau besehen, sind es zwei Vorwürfe, um die es geht:

  • Häufig werden Kund:innen zu teure, zu riskante oder schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt.
  • Die Ursache dafür liegt im Provisionssystem.

Deshalb muss an die Stelle des Provisionssystems das Honorarsystem treten.

a)      Finanzprodukte zu teuer

Der erste Vorwurf lautet, dass Finanzprodukte häufig zu teuer vermittelt werden. Ein solcher Vorwurf ist grundlegend und würde, sollte er sich als zutreffend herausstellen, einerseits die BaFin zwingen im Wege der Missstandsaufsicht gegen Versicherer vorzugehen (§§ 294ff. VAG). Andererseits würden Versicherer und Vermittler ihre Wohlverhaltenspflichten nach § 1 a VVG, ebenso wie ihre Beratungspflichten nach § 7 c VVG verletzten und somit den Kund:innen auf Schadensersatz (z. B. Rückgängigmachung des Vertrages) haften (§§ 6, 63 VVG).

Sucht man in der Literatur nach empirischen Untersuchungen, wonach Finanzanlageprodukte zu teuer sind, so wird man nicht fündig. Schon die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Finanzanlageprodukt zu teuer ist, wird nicht beantwortet. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn auf den Märkten für Finanzanlageprodukte herrscht freier Wettbewerb. Die Preise für die Produkte und die Preise für die Vermittlung der Produkte folgen den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Die Kund:innen haben die Wahl zwischen einer Vielzahl von Produkten und Anbietern. Die Produkte werden zunehmend über Vergleichsportale täglich auf ein angemessenes Preis-/Leistungsverhältnis geratet. Die Kund:innen können zwischen gebundenen Vertretern, Maklern, Honorarberatern und Finanzberatern frei wählen. Sollte ein Produkt aus der Perspektive eines Kunden „zu teuer“ sein, so wird dieser Kunde über die Berater und/oder Vergleichsportale herausfinden, ob es vergleichbare günstigere Produkte gibt und dann diese wählen.

Anders formuliert: Es gibt im Augenblick keinerlei empirische Nachweise dafür, dass bei der Finanzanlageberatung prinzipiell „zu teure“ Produkte angeboten und vertrieben werden. Dies wäre dann und nur dann möglich, wenn der Markt für Finanzanlageprodukte monopolisiert wäre. Davon kann keine Rede sein – der Markt für Finanzanlageprodukte ist frei, unverfälscht und effektiv, das heißt, der Wettbewerb funktioniert im Sinne von Artt. 119, 120 AEUV. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Finanzanlageprodukte strukturell überteuert sind. Wenn und soweit dies im Einzelfall der Fall sein sollte, so hat die BaFin das Recht nach §§ 294ff. VAG gegen Unternehmen vorzugehen, deren Produkte überteuert sind.

Das Gleiche gilt mit Blick auf die Höhe der Provisionen. Ob Provisionen aus der Sicht der Kundennutzens zu teuer sind, entscheidet derzeit der Markt. Die Kunden können zwischen Brutto- und Nettoprodukten und insoweit zugleich zwischen der Provisions- und der Honorarberatung wählen. Bei Privatbanken, Vermögensverwaltern und Robo-Advisern werden keine produktspezifischen Abschlusskosten, sondern flat-fees pro Jahr berechnet.[20] Als Folge von Pauschalvergütungen scheint der Kundenkontakt zu den Beratern gestiegen zu sein; auch die Portfolio-Effizienz scheint sich in diesem System zu verbessern.[21] Ergebnisse dieser Art könnten zu der Frage führen, ob es sich anbietet im Markt flat-fee Vergütungssysteme verstärkt anzubieten. Jedenfalls öffnet der Markt schon heute den Kund:innen den Zugang zu unterschiedlichen Provisions- und Honorierungssystemen, so dass jeder selbst entscheiden kann, welches System für sie oder ihn den höchsten Kundennutzen verwirklicht.

b)      Finanzprodukte zu riskant

Der zweite Vorwurf lautet, häufig würden Finanzprodukte angedreht, die zu riskant seien. Was mit diesem Vorwurf genau gemeint ist, bleibt offen. Möglicherweise sind Finanzprodukte gemeint, mit denen eine hohe Verlust- oder Ausfallwahrscheinlichkeit verbunden ist. Um Ausfallrisiken zu minimieren, sind die Produktanbieter verpflichtet, sämtliche Vermögenswerte so anzulegen, dass Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität des Portfolios als Ganzes sichergestellt werden (§ 124 Abs. 1 Nr. 2 VAG). Dabei sind die Anlagen in angemessener Weise, so zu mischen und zu streuen, dass eine übermäßige Abhängigkeit von einem bestimmten Vermögenswert oder Emittenten vermieden wird (§ 124 Abs. 1 Nr. 7 VAG). Die Verwendung derivativer Finanzinstrumente ist nur zulässig, sofern diese zur Verringerung von Risiken beiträgt (§ 124 Abs. 1 Nr. 5 VAG). Die Einhaltung dieser Grundsätze, die für Versicherer wie Banken in gleicher Weise bindend sind, unterliegen der Aufsicht der BaFin.[22] Über § 294 Abs. 4 VAG werden durch die Geeignetheitsprüfung der Kapitalanlagen im Versicherungsrecht seit langem umfangreiche materielle Finanzproduktprüfungen durchgeführt. Aufgrund der großen Schnittmengen der Portfolios von Banken und Versicherern findet auf diese Weise, quasi durch die Hintertür, so Anika Patz, eine umfangreiche materielle staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente statt.[23] Richtig ist, dass die Finanzkrise Fehler im Aufsichtssystem und bei der Erfassung von Risiken in Asset-Backed-Securities (ABS) sowie Credit-Default-Swaps (CDS) offengelegt hat.[24] Diese Fehleinschätzungen betrafen aber nicht den Markt für Kapitalanlageprodukte sondern den Inter-Banken-Markt. Inzwischen sind die Fehlsteuerungen durch eine Vielzahl von Maßnahmen der G20-Staaten weitgehend korrigiert. Da die Aufsicht der BaFin über Finanzprodukte, von einzelnen Missständen abgesehen, funktionsfähig ist, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass Kund:innen prinzipiell zu riskante Finanzanlagen vermittelt werden. Da dieser Vorwurf nicht trifft, vermag er keinen Übergang von der Provisions- zur Honorarberatung zu legitimieren.

c)      Finanzprodukte schlicht ungeeignet

Schließlich, so der dritte Vorwurf, werden Kund:innen häufig Finanzprodukte „angedreht“, die für sie schlicht ungeeignet sind. Auch dieser Vorwurf wird nicht konkretisiert. Er stammt vielleicht aus der Zeit, bevor die Anbieter von Finanzanlagen verpflichtet waren im bestmöglichen Interesse der Kund:innen zu beraten. Dieser Standard ist heute in § 1 a VVG für Versicherer und Vermittler rechtlich verbindlich verankert. Das Gleiche gilt für Finanzberater nach § 63 Abs. 1 WpHG. Hinzukommt eine detaillierte Geeignetheitsprüfung für Versicherungsanlageprodukte (§ 7 c VVG) und für Finanzinstrumente (§ 64 Abs. 3 WpHG). Ermittelt werden die Anlageziele und die Risikotoleranz, sodass den Kund:innen nur solche Produkte empfohlen werden, die für sie geeignet sind und ihrer Fähigkeit Verluste zu tragen, entsprechen.

Sollte sich ein Produkt im Einzelfall als schlicht ungeeignet herausstellen, so läge darin ein Beratungsfehler, der die Kund:innen berechtigen würde den ungeeigneten Vertrag rückgängig zu machen. Zugleich könnte ein verbleibender Schaden geltend gemacht werden. Fälle dieser Art kommen vor. Sie beschäftigen die Ombudsleute und die Gerichte. Aber Hinweise darauf, dass flächendeckend schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt werden, gibt es nicht. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass schlicht ungeeignete Finanzprodukte zwar im Wege der Provisionsberatung aber nicht in den Fällen der Honorarberatung vermittelt werden.

2.      Fazit

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Wettbewerb um Finanzanlagen funktioniert – die Kund:innen können die für sie günstigsten Produkte wählen. Sie werden dabei von den Vergleichsportalen unterstützt. Irgendein Hinweis auf eine marktbeherrschende Position oder ein Marktversagen anderer Art ist nicht erkennbar. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Finanzanlageprodukte die Risikotragfähigkeit der Kund:innen prinzipiell überschreiten, also zu riskant sind. Auch statistisch überprüfbare Zahlen, Daten oder Fakten, wonach Anlageprodukte für die Kund:innen prinzipiell schlicht ungeeignet sind, finden sich in der öffentlich zugänglichen Literatur nicht. Dies bedeutet, es fehlen zwingende Gemeinwohlgründe für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Anbieter von Finanzprodukten. Es gibt keinen Sachgrund für die Überwindung der Provisionsberatung.

IV.            Erfahrungen in europäischen Nachbarländern

Die Behauptung des vzbv, wonach in der Provisionsberatung die am höchsten provisionierten Produkte vertrieben werden, egal ob das im Interesse der Verbraucher ist oder nicht, lässt sich jedenfalls nicht empirisch mit Leben erfüllen.[25] Der vzbv weist auf die Berichte der britischen Aufsichtsbehörde hin.[26] Die Berichte der britischen Financial Conduct Authority (FCA) zeigen, dass es eine verfassungs- oder europarechtliche Aufarbeitung der Frage, ob ein Provisionsverbot im zwingenden Interesse der Allgemeinheit notwendig war und ist, nicht gab. Vor allem zeigen die Berichte, dass es um die Frage strukturell fehlerhafter Finanzanlageberatung durch ein Provisionssystem überhaupt nicht ging. Im Kern wurde die Frage gestellt, ob die Kund:innen Zugang zu einer angemessenen Beratung hatten.[27] Es wurde festgestellt, dass Menschen mit einem Vermögen von über 150.000 Pfund typischerweise Beratungsleistungen in Anspruch nahmen.[28] Die Studien der FCA kommen zu dem Ergebnis, dass auch Verbraucher:innen mit geringerem Vermögen Zugang zum Beratungsmarkt bekommen sollten. Die FCA schlägt deshalb einen Markt vor, der ein breiteres Spektrum an Dienstleistungen anbietet, einschließlich einmaliger Beratungsmodelle, die verfügbar und leicht zugänglich sind und wo Dienstleister miteinander konkurrieren.[29] Im Ergebnis schlägt die FCA damit ein System vor, das dem derzeitigen System in Deutschland mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten sehr ähnlich ist, sodass auch weniger vermögende Kunden jederzeit Zugang zu einer Beratungsdienstleistung erhalten.

Sowohl in Großbritannien als auch in den Niederlanden gibt es keinerlei statistisch überprüfbare Angaben darüber, unter welchen Voraussetzungen flächendeckende Beratungsfehler vorlagen, die ursächlich im Provisionssystem wurzelten. Ob es überhaupt Zahlen, Daten und Fakten dieser Art für beide Länder gibt, wird von Brancheninsidern bezweifelt. Wie auch immer: Die Frage, ob die Provisionsverbote in beiden Ländern mit den in Deutschland geltenden Grundsätzen der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen wären und ob ein solches Verbot mit den Grundprinzipien des europäischen Recht in Einklang stünde, wurde vor den Gerichten bisher nicht überprüft. Nach den vom deutschen Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen geht es nicht darum, ob ein Provisionsverbot möglicherweise die Unabhängigkeit des Berater stärken könnte oder nicht. Die entscheidende Frage lautet, ob ein Verbot im zwingenden Allgemeininteresse erforderlich ist, ob mit anderen Worten die Verbraucher schutzbedürftig sind, weil sie sich im freien Wettbewerb um Finanzanlageprodukte nicht selbst orientieren und hinreichend schützen können. Anhaltspunkte gibt es, wie dargestellt, nicht.

Zu beachten ist, dass sich das Provisionsverbot in UK nur auf die Kapitalanlage und Altersvorsorge bezieht. Provisionsberatung ist dagegen im Bereich der RisikoLV genauso zulässig wie etwa im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Frage, ob eine solche Differenzierung mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung in Einklang zu bringen sind, wurde weder in UK noch in den Niederlanden gestellt.

Wie immer in einer freien und offenen Marktwirtschaft gibt es eine Vielzahl von Wegen, die beschritten werden können, um ein bestimmtes Ziel, z. B. eine angemessene Finanzanlageberatung, zu erreichen. Die Wege, die beschritten werden können und dürfen, sind unterschiedlich und aus der Perspektive rationaler Betrachter teilweise unteroptimal. Dies hängt häufig mit Wünschen, Bedürfnissen, Zielen und Präferenzen zusammen, die unterschiedlich sein können. Das Interesse an Sicherheit und Garantien überwiegt bei manchen Menschen, das Interesse an einer möglichst hohen Verzinsung und umgekehrt.

Eine Marktwirtschaft geht davon aus, dass die Rechtsordnung den Menschen einen Rahmen gibt, der Fairness und Transparenz gewährleistet, der sie aber nicht bevormundet. Aus diesem Grunde sind Verbote, etwa in die Berufsausübungsfreiheit, nicht zulässig, es sei denn zwingende Schutzinteressen der Allgemeinheit legitimieren einen derart massiven Eingriff. Anhaltspunkte dafür sind, wie dargestellt, auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzprodukten in Deutschland nicht erkennbar. Gelegentliche Missbräuche von Produktanbietern und/oder Vermittlern können und werden durch die BaFin geahndet. Davon abgesehen, haben die Kund:innen die Wahlfreiheit zwischen einer Vielzahl von Finanzprodukten und einer Vielzahl von unterschiedlich ausgerichteten Vermittlertypen. Sie werden über die Abhängigkeit und Unabhängigkeit der jeweiligen Vermittler informiert. Darüberhinaus gibt es eine größer werdende Anzahl von Angeboten des Internetvertriebs, das heißt, das deutsche System verwirklicht die Marktfreiheiten für alle Beteiligten geradezu mustergültig. Es spricht vieles dafür, dass aus der Perspektive des nationalen Verfassungsrechtes die in UK und den Niederlanden praktizierten Provisionsverbote nicht zu legitimieren wären. Zu einem ähnlichen Ergebnis wird die Analyse des europäischen Rechts führen, sodass sich zumindest für die Niederlande die Frage stellen wird, ob sie ihre, die Marktteilnehmer beschränkenden, Regelungen möglicherweise aufgeben müssen.

V.            Gewichtung der Gemeinwohlbelange „ins Blaue hinein“

Es ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass der Gesetzgeber beim Ausgleich widerstreitender Interessen über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum verfügt. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt zunächst in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung.[30] Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt, die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit. Wenn allerdings, wie im vorliegenden Fall, eine Schutzbedürftigkeit der Kapitalanleger nicht erkennbar ist, wenn es mit anderen Worten keine hinreichenden tatsächlichen Grundlagen, die einen Eingriff des Gesetzgebers rechtfertigen könnten, gibt, so bleibt im Ergebnis offen, ob überhaupt zwingende Gemeinwohlinteressen berührt sind oder nicht. Es geht mit anderen Worten nicht um die Frage, ob man den Interessen der einen oder der anderen Seite den Vorrang geben sollte, sondern es geht um die vorgelagerte Frage, ob überhaupt nennenswerte Interessenverletzungen zu erkennen sind.

Aus dieser Perspektive hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass der Eingriff in die Gewerbefreiheit dann und nur dann legitimierbar sein kann, wenn er sich auf hinreichende tatsächliche Grundlagen stützt.[31] Fehlen hinreichende tatsächliche Grundlagen, wie im vorliegenden Fall, so darf der Gesetzgeber, um es plakativ zu formulieren, seine Nachteils- und Gefährdungsabschätzung nicht einfach ins Blaue hinein treffen. Genauso wäre es aber mit Blick auf ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanzanlageprodukten. Es fehlen zunächst einmal nachvollziehbare Zahlen, Daten und Fakten darüber, unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine Fehlberatung vorliegt. In welchen Fällen trifft die Behauptung zu, Finanzanlageprodukte seien zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet für die jeweils Betroffenen. Diese Frage ist derzeit völlig offen. Erst dann, wenn geklärt wäre, ob es tatsächlich flächendeckende Fehlberatungen bei Anlageprodukten in Deutschland geben sollte, müsste es nun im zweiten Schritt um die Ermittlung der Ursachen einer solchen flächendeckenden, strukturellen Fehlberatung gehen. Bei dieser Ursachenforschung würde zunächst einmal geklärt werden, wieso Vermittler in der Lage waren und sind, den Kund:innen Anlageprodukte zu vermitteln, die für die Nachfragenden offensichtlich zu teuer, zu riskant oder aus anderen Gründen schlicht ungeeignet sind. Es wäre zu klären, wie es zu einer solchen flächendeckenden Fehlberatung trotz funktionsfähigen Vermittlerwettbewerbs kommen kann.

Im nächsten Schritt wäre zu klären, mit welchen Mitteln man ein solches flächendeckendes Marktversagen seitens des Gesetzgebers beseitigen kann. Muss es um klarere, tarnsparentere oder standardisierte Beratungsprozesse gehen? Sollte man für Rahmenbedingungen sorgen, die den Auswahl- und Entscheidungsprozess strukturieren und mit einem Gütesiegel versehen? Könnte es sein, dass Beratungsfehler durch das Beseitigen von Marktintransparenzen beseitigt werden können? Darüber wird gleich noch zu sprechen sein. Erst dann, wenn sich herausstellt, dass alle Maßnahmen zur Verbesserung des Beratungsprozesses und seiner Transparenz nicht zielführend sind, wäre zu fragen, ob die Fehlsteuerungen möglicherweise am Honorierungsystem liegen.

Trifft es tatsächlich zu, dass den Kund:innen flächendeckend, fehlerhafte, ungeeignete Finanzprodukte „angedreht“ werden, weil die Vermittlung provisionsgetrieben erfolgt? Ändert die Honorarberatung hieran irgendetwas? Zweifel sind erlaubt, denn aus der Sicht der Kund:innen ist es gleichgültig, ob er/sie das Vermittlungsentgelt an den Vermittler direkt oder über den Produktanbieter (als Teil der Prämie) zahlt. Auch in Großbritannien ist es üblich, dass der Berater mit den Kund:innen die Höhe des Entgelts vereinbart und der Produktanbieter als Inkassostelle tätig wird. Anders formuliert: Das Honorar entspricht der Provision – im Zweifel sind die Kund:innen, diejenigen die das Entgelt für die Vermittlung zu zahlen haben. Deshalb wäre es überraschend, wenn flächendeckende Fehlberatungen tatsächlich mit dem System der Entgelterhebung und -einziehung zu tun haben sollten.

Wie auch immer: Derzeit fehlt es an hinreichenden, tatsächlichen Grundlagen, aus denen sich ableiten ließe, dass flächendeckend zu teure, zu riskante und schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt werden würden. Da es Anhaltspunkte für eine solche flächendeckende Fehlberatung nicht gibt, fehlt es zugleich an der Legitimation für den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherer und Vermittler bei der Entgeltgestaltung für die Vermittlungsleistung. Eine darüberhinaus weisende vertiefte Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erübrigt sich. Wenn zwingende Gemeinwohlbelange nicht berührt sind, so darf der Gesetzgeber in die Freiheit der Gewerbetreibenden nicht eingreifen. Es geht somit nicht mehr um die Differenzierung in Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit.

VI.            Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)

Die Einführung eines Provisionsverbotes für die Vermittlung von Finanzprodukten würde zugleich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) aufwerfen. Nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 GG sind „alle Menschen vor dem Gesetz gleich“. Der Gleichheitssatz ist auch auf juristische Personen anwendbar.[32] Verboten ist eine unsachgemäße und ungerechtfertigte Differenzierung von Personen oder Personengruppen, ebenso wie die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.[33] Bei einem Provisionsverbot für Finanzanlageprodukte läge eine Ungleichbehandlung zu allen anderen Produkten und Vertriebswegen, die provisionsgesteuert sind, vor. Es würde sich also die Frage stellen, wieso eine Feuer-, Kfz-, Haftpflicht-, Rechtschutz-, Kranken-, BU- oder Unfallversicherung gegen Provision vermittelt werden dürfen, während dies bei Finanzanlageprodukten nicht der Fall sein darf. Man würde darüberhinaus fragen, wieso es in anderen Lebensbereichen, etwa bei der Vermittlung von Immobilien oder Zeitungsabos oder Kraftfahrzeugen zulässig ist, eine Provision zu zahlen, während dies bei der Vermittlung der Finanzanlageprodukten ausgeschlossen wäre. Letztlich ginge es auch hier um die Frage, ob die Einführung eines Provisionsverbotes aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls notwendig und im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, geeignet und in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht des Regelungsziels stünde. Anhaltspunkte dafür, Rechtfertigungsgründe für eine solche Ungleichbehandlung von Vertriebsgruppen und Vertriebssystemen zu finden, liegen, wie eben beschrieben, nicht vor.

VII.            Europarechtliche Analyse

1.         IDD

Die Vermittlerrichtlinie II (IDD) vom 20.1.2016[34] zielt auf eine Mindestharmonisierung ab. Sie soll die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, strengere Bestimmungen zum Zweck des Verbraucherschutzes beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Bestimmungen mit dem Unionsrecht, einschließlich dieser Richtlinie in Einklang stehen (Erwägungsgrund 3). Hiervon ausgehend, so heißt es in Art. 22 Abs. 3, können die Mitgliedstaaten Versicherungsvertreibern die Annahme von Provisionen, die ihnen ein Dritter zahlt, im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Versicherungsprodukten beschränken oder untersagen. Der gleiche Gedanke findet sich noch einmal in Art. 29 Abs. 3 mit Blick auf Versicherungsanlageprodukte (z.B. Lebensversicherungen). Dies bedeutet, dass die Richtlinie ein Provisionsverbot dann aber auch nur dann zulassen würde, wenn dies zum Zweck des Verbraucherschutzes erforderlich, geeignet und angemessen und mit den Bestimmungen des Unionsrechts in Einklang zu bringen wäre.

Die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass das deutsche System mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten zwischen Vermittlertypen und Produkten den Wettbewerb auf den Vermittlungsmärkten funktionsfähig macht, Diskriminierungen und Ausbeutung auf Seiten der Verbraucher:innen vermeidet und damit im bestmöglichen Interesse der Kunden aller Alters- und Vermögensklassen liegt. Aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechtes fehlt es an zwingenden Gemeinwohlgründen für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Anbieter und Vertreiber von Finanzprodukten und somit auch keinen Sachgrund für die Überwindung der Provisionsberatung. Dies bedeutet, die Zwecke des Verbraucherschutzes würden ein Provisionsverbot im Sinne der IDD nicht legitimieren können.

2.         Beratung im bestmöglichen Interesse

Deshalb hat sich der europäische Gesetzgeber in der zweiten Vermittlerrichtlinie vom 21.01.2016 (2016/97:IDD) gegen ein Provisionsverbot und stattdessen für Rahmenbedingungen entschieden, die eine qualitativ hochwertige Beratung auch bei Finanzanlagen gewährleisten (Art. 17 Abs. 1). Diese Grundsätze hat der deutsche Gesetzgeber aufgegriffen. Produktanbieter und –vermittler sind verpflichtet gegenüber den Kund:innen stets ehrlich, redlich und professionell, in deren bestmöglichem Interesse zu handeln (§§ 1 a, 59 VVG, 63 Abs. 1 WpHG). In § 48 a Abs. 1 VAG wurde festgeschrieben, dass Versicherer keine Vorkehrungen treffen dürfen, durch die Anreize geschaffen werden könnten, einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl ein anderes, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechendes Produkt angeboten könnte. Diese Regelungen gehen davon aus, dass die Produktanbieter den Vermittlern eine Provision zahlen dürfen. Ein Provisionsverbot wäre somit richtlinienwidrig.

3.         Der Grundsatz des freien, unverfälschten Wettbewerbs

Darüberhinaus sind die Mitgliedstaaten der EU dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet, sodass ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird (Artt. 119, 120 AEUV). Der Binnenmarkt (Art. 3 EUV) umfasst ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt (Protokoll Nr. 27).

Nach diesen Grundsätzen ist der Wettbewerb um Vertriebsentgelte auf Versicherungs- und Kapitalanlagemärkten frei. Provisionsverbote wären nur dann erlaubt, wenn der Wettbewerb auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzanlagen nicht funktionsfähig wäre. Beispiele sind etwa die Märkte für Strom-, Gas- oder Wassernetze, weil es dort teurer wäre durch Bau einer Vielzahl von Parallelleitungen Wettbewerb zu eröffnen. Aus diesem Grunde werden die Netzentgelte auf diesen Märkten durch die BNetzA reguliert.

Ein vergleichbares Marktversagen ist aber, wie oben vielfach gezeigt, auf den Märkten für Vermittlerentgelte bei Finanzprodukten nicht erkennbar. Aus diesem Grund würde die Einführung eines Provisionsverbotes gegen das Prinzip des freien und unverfälschten Wettbewerbs (Artt. 119, 120 AEUV) verstoßen und europarechtswidrig sein.

4.         Verletzung der Dienstleistungsfreiheit

Das Gleiche gilt für die Verletzung der Europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Immer dann, wenn ein Versicherer grenzüberschreitend in Deutschland tätig wäre, dürfte er dem von ihm beauftragten Vermittler keine Provision mehr bezahlen. Dies wäre nach Art. 56 AEUV dann und nur dann zulässig, wenn hierfür ein zwingender Sachgrund bestünde. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind im europäischen Recht als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt.[35] Zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind, wie oben entwickelt, nicht erkennbar. Es fehlt an einem flächendeckenden Marktversagen bei der Vermittlung von Anlageprodukten. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass ungeeignete Produkte nur deshalb vermittelt werden, weil Provisionen aber keine Honorare seitens der Beratenden gezahlt werden. Die Schaffung eines Provisionsverbotes würde somit gegen Artt. 56, 57 AEUV verstoßen.

5.         Verstoß gegen das Standstill-Gebot

Darüberhinaus würde ein solches Provisionsverbot auch gegen das Standstill-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) verstoßen, wonach die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die den Zielen des Binnenmarktes wiedersprechen. Zu diesen Zielen gehört insbesondere der freie und unverfälschte Wettbewerb.

VIII.            Ergebnis

  1. Ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanzprodukten würde gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen. Es fehlt an zwingenden Gründen des Gemeinwohls, die ein solches Verbot rechtfertigen würden.
  2. Es gibt bisher keinerlei tatsächliche Grundlagen dafür, dass den Kund:innen Finanzprodukte „angedreht“ werden, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind.
  3. Da es für die flächendeckende Fehlberatung auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzprodukten keinerlei, statistisch nachprüfbare tatsächliche Grundlagen gibt, gibt es erst recht keinen Sachgrund für das Einführen eines Provisionsverbotes.
  4. Aus den gleichen Gründen wäre ein Provisionsverbot auch mit Art. 3 GG nicht zu vereinbaren.
  5. Das Gleiche Ergebnis folgt aus dem europäischen Recht. Die IDD sieht Provisionszahlungen vor, ebenso wie die Handelsvertreterrichtlinie.
  6. Ein Provisionsverbot würde gegen den freien, unverfälschten Wettbewerb (Artt. 119, 120 AEUV) ebenso verstoßen wie gegen die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 56/57 AEUV) und das Standstill-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV).

IX.            Worüber man nachdenken sollte

1.      Level-Playing-Field für gleiche Anlageprodukte.

Wenig nachvollziehbar ist es, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für gleiche Anlageprodukte unterschiedlich sind. So gelten für fondsgebundene Lebensversicherungen andere Rahmenbedingungen als für Investmentsparpläne, obwohl es sich in beiden Fällen um sehr ähnliche Produkte handelt. Warum die Beratungs- und Dokumentationsgrundsätze des Versicherungsrechtes anders gestaltet sind als diejenigen des WpHG ist aus der Perspektive der Anlageprodukte nicht nachvollziehbar. Diese Unterschiede aber führen aber zu Wettbewerbsverzerrungen auf Märkten für gleiche Produkte. Der Gesetzgeber sollte diese Ungleichheiten beseitigen.[36]

2.      Betriebliche Alterssicherung: Opt-out-Prinzip

Die Alterssicherung vieler Menschen wird über die betriebliche Altersversorgung gewährleistet. Trotz vorhandener staatlicher Unterstützung machen viele Arbeitnehmer:innen von der Möglichkeit der betrieblichen Alterssicherung, insbesondere der Entgeltumwandlung, nicht Gebrauch. Dies führt mittelfristig zur Altersarmut. Der Gesetzgeber sollte an die Stelle des in Deutschland gebräuchlichen Opt-in-Prinzips das in den angelsächsischen Ländern durchgesetzte Opt-out-Prinzip verankern. Das bedeutet, die Arbeitnehmer:innen sind innerhalb des vom Arbeitgeber installierten betrieblichen Sicherungssystems erfasst, haben aber das Recht aus dem System auszutreten. Dieses Opt-out-Prinzip begünstigt die Betroffenen in erheblicher Weise, insbesondere werden sie dadurch vor Altersarmut geschützt.[37]

3.      Standards für gute Beratung

Angelehnt an die Wohlverhaltenspflichten (§ 1 a VVG/§ 63 Abs. 1 WpHG) sollten Standards geschaffen werden, um eine Beratung im bestmöglichen Interesse der Kund:innen zu gewährleisten.

Rahmenbedingungen sollten für marktorientierte Normierungen sorgen. Beispielgebend ist die ganzheitliche Beratung unter Einsatz der DIN 77230. Diese Norm, die unter Beteiligung einer Vielzahl von Marktteilnehmern freiwillig und wissenschaftlich begleitet entstanden ist, sorgt für eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Beratungsstruktur. Sie ist nicht am Verkauf bestimmter Produkte interessiert sondern ausschließlich daran, dass die Kunden eine ganzheitliche Beratung erhalten, die vor allem dafür sorgt, dass zunächst einmal solche Risiken abgesichert werden, die Vorrang haben und die für den einzelnen Kunden bezahlbar sind.

Anknüpfend an dieses Beispiel sollten Rahmenbedingungen entstehen, die weitere Standardisierungen und Normierungen anregen. Zu denken wäre beispielsweise an Normierungen für Nachhaltigkeitsfaktoren in Finanzprodukten im Sinne der VO (EU) 2019/2088[38] und der TaxonomieVO (EU) 2020/852[39]. Daneben müssten Normen entstehen, die für eine klare und verständliche Produktbeschreibung und für eine klare Gliederung der AVB sorgen. Ergänzt werden sollten diese Regelungen durch Normen, die dafür sorgen, dass bestimmte Mindeststandards bei der Produktgestaltung um- und durchgesetzt werden.[40] Schließlich sollte es um Kostentransparenz nicht nur für Finanzanlageprodukte, sondern für alle Vermittlungsleistungen, in allen Branchen gehen.

Ganz generell sollte die Frage, was letztlich eine gute Beratung für individuell Betroffene ausmacht, zum Gegenstand vertiefter, wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht werden. Hier fehlen empirische, statistisch belastbare Untersuchungen. Der Gesetzgeber sollte Forschungsanreize setzen, um herauszufinden, wovon es abhängt, ob das Principal-Agent-Problem im Sinne der Kund:innen überwunden werden kann. Zugleich sollte auf diese Weise die Flut der völlig überflüssigen Informationspflichten, die nur Bürokratiekosten verursachen, zurückgedrängt werden. Es geht nicht darum, dass Produktanbieter und -vermittler die Kunden mit immer mehr Papier und nutzlosen Informationen überhäufen, sondern umgekehrt darum herauszufinden, welche Anreize, wie zu setzen sind, um im Einzelfall eine angemessene, zielführende, bedarfs- und bedürfnisgerechte Beratung zu verwirklichen. Eines jedenfalls steht fest: Ein Provisionsverbot gehört ganz sicher nicht dazu.

[1] weiterführend: Heukamp/Stepanek, Das Provisionsabgabeverbot soll Gesetz werden – Was bringt die geplante Verankerung der umstrittenen Regelung im VAG? VersR 2017, 193, 197.

[2] Richtline (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 Abl L 26/19 v. 2.2.2016.

[3] Abl EG v. 31.12.1986, Nr. L 382/17.

[4] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 49 m.w.N.

[5] BVerfG v. 31.10.1984 – 1 BvR 35/82, BVerfGE 61, 193, 223f.; std. Rspr. des BVerfG aus neuerer Zeit BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BVerfGE 142, 268, Rn. 49.

[6] Std. Rspr. so etwa BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290, 363.

[7] Allg. M. Ruffert in: BeckOK, GG, Stand 15.08.2020, Art. 12 vor Rn. 1.

[8] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701; weitere Nachweise auf frühere Entscheidungen des BVerfG in Rn. 49.

[9] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701 m.w.N. in Rn. 52.

[10] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 43701, ab Rn. 57.

[11] Grundlegend BVerfG v. 11.06.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 405f.; seitdem std. Rspr. so auch BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317ff.; BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, ab Rn. 63.

[12] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 65.

[13] BVerfG v. 16.01.2002 – 1 BvR 1236/99, BVerfGE 104, 357, 364; BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317, 346.

[14] BVerfG v. 14.012.1965 – 1 BvL 14/60, BVerfGE 19, 330, 337; BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317, 346.

[15] Richtlinie v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter 86/653/EWG Abl EU v. 31.12.1986, Nr. L 382/17 Art. 7.

[16] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64 m.w.N.

[17] BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, juris, Rn. 103 m.w.N.; BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64 m.w.N.

[18] S. 108.

[19] So Mirko Wenig unter Hinweis auf das Interview in einer Vertriebsmitteilung v. 12.07.2018; vertiefend Veröffentlichung des vzbv zu Europäischen Provisionsverboten und deutschen Fehldarstellungen unter Hinweis auf die Reports der britischen Finanzaufsichtsbehörde.

[20] Forschungspapier von Steffen Meyer und Charlien Uhr, Same bank, and same clients but different pricing: How do flat-fees for mutual funds affect retail investor? September 2020, https://safe-frankfurt.de/fileadmin/user_upload/editor_common/Research/TFI_technical_report_Charline_Uhr_20200903.pdf.

[21] Forschungspapier Meyer/Uhr, a.a.O., Ergebnisse 4.1.

[22] Übergreifend Anika Patz, Staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente, 2016, ab S. 153.

[23] Patz, a.a.O., S. 470 These 13.

[24] Vertiefend Köhler, Die Zulässigkeit derivativer Finanzinstrumente in Unternehmen, Banken und Kommunen. Eine ökonomische und rechtliche Analyse, 2012, passim.

[25] So die Aufarbeitung der Diskussion über Provisionsverbote im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden, Stellungnahmen des vzbv zu Europäischen Provisionsverboten und deutschen Fehldarstellungen.

[26] Financial advice market review (final report), März 2016; Baseline report, Juni 2017 und Evaluation of the impact of retail distribution review and financial advice market review, Dezember 2020; vertiefend Rechtsvergleich bei Christian Schafstädt, Das Spannungsverhältnis zwischen Provisionsberatung und Honorarberatung im Versicherungsmarkt – eine rechtsvergleichende und –ökonomische Analyse, VVW H Berliner Reihe, Bd. 46, 2015, ab S. 299. Verglichen werden die Entgeltsysteme in Großbritannien, Niederlande, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, der Schweiz und Österreich.

[27] FCA Evaluation, Dezember 2020, Kurzfassung 1.3.

[28] FCA Evaluation, Dezember 2020, Kurzfassung 1.3.

[29] FCA Evaluation, Dezember 2020, S. 24, Ziff. 4.4.

[30] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64.

[31] BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, juris, Rn. 109.

[32] BVerfG v. 03.06.1954 – 1 BvR 183/54, BVerfGE 3, 383, 390.

[33] BVerfG v. 16.03.2004 – 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141, 167.

[34] Richtlinie (EU) 2016/97 Abl L 26/19 v. 2.2.2016.

[35] EuGH v. 04.12.1986 – 205/84, Slg. 1986, 37, 55, Rn. 53 Kommission/Deutschland; EuGH v. 30.11.1995 – Rs. I-41/65, NJW 1996, 579 Gebhard, seither vielfach bestätigt etwa EuGH v. 08.06.2017 – C-580/15 ECLI:EU:C:2017:429, Rn. 39 Van der Weegen u.h.

[36] Zu diesem Fragenkreis grundlegend Schwintowski, MiFID, VVR – Zeit für (die) Neuorientierung bei den deutschen Finanzdienstleistern, NOMOS-Verlag 2007, ab S. 9ff.

[37] Vertiefend Rüffert, Die Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Bereitstellung einer Durchführungsmöglichkeit für die Entgeltumwandlung, NOMOS-Verlag, 2008, zum Opt-out-System der USA ab S. 55.

[38] Seit 31.03.2021 in Kraft.

[39] Die sechs Umweltziele finden sich in Art. 9 – die VO tritt mit Blick auf die Umweltziele am 01.01.2022 in Kraft (Art. 27).

[40] Dazu vertiefend Viktoria Jank, Produktstandardisierung für Versicherungen – Eine verbraucher- und binnenmarktfreundliche Alternative?, VVW, Berliner Reihe, Bd. 52, 2017, passim; Schwintowski, Standardisierung auf den Versicherungsmärkten – Zurück in die Zukunft?, VuR 2014, 251.